Eine Zumutung! Eine Zumutung! Eine Zumutung! ....

Roland Schimmelpfennigs Schauspiel „Vier Himmelsrichtungen“ am Landestheater Detmold

alle Fotos: Landestheater Detmold

 

"Aber der Kaiser ist ja nackt!" sagte ein kleines Kind. "Hört die Stimme der Unschuld!" sagte der Vater. „Der Kaiser ist ja nackt!“ rief jetzt  das ganze Volk. Das ergriff den Kaiser, denn das Volk schien ihm recht zu haben, aber er dachte bei sich: ,Nun muß ich durchhalten.' Und die Kammerherren gingen hinter ihm und trugen die prächtige Schleppe, die gar nicht da war.

 

 

Erfolgreicher Autor! – Guter Dramatiker?

WaSa.  Detmold     -         30 Theaterstücke von Roland Schimmelpfennig listet Wikipedia auf (Stand Juli 2014 – vielleicht sind‘s ja bald schon 33). Kein Zweifel also: ein fleißiger Schriftsteller. Und ein erfolgreicher dazu: alle 30 Stücke wurden uraufgeführt (davon wagen viele – womöglich ähnlich produktive – Schubladenautoren nicht einmal zu träumen); die meisten seiner Stücke werden auch mehrfach, vielfach nachgespielt (und gerne auch noch als Hörspiel oder Oper verwertet). Aber: Ist Schimmelpfennig deshalb schon ein guter Dramenautor? Diverse Ehrungen und Auszeichnungen lassen es vermuten; seit 2000 wurden seine Stücke schon sechs Mal zu den Mülheimer Theatertagen eingeladen. - Trotzdem wollen wir die Frage zunächst nur zurückhaltend beantworten: Er hat zumindest gute Stücke geschrieben. Zum Beispiel „die arabische Nacht“: sein erster großer Erfolg, wo Menschen wie du und ich märchenhafte Talente haben und sich in absurden Situationen wiederfinden. Oder „Vorher / Nachher“, wo – ganz ähnlich wie später in den 52 Szenen von  „vier Himmelsrichtungen“ - in 51 kurzen Fragmenten die Schicksale unterschiedlichster Personen sich annähern, berühren, verknüpfen; wobei Schimmelpfennig mit seinem Talent für einen subtilen Neo-Surrealismus unter anderem die skurrile Geschichte des Mannes erzählt, der als eine Art Aussteiger die Industrialisierung in Gang bringt und ganz aus Versehen den Kapitalismus erfindet, der dann in der Globalisierung gipfeln und zur Klimaerwärmung führen wird ...  Die Probleme der Globalisierung in Form von Migrantenschicksalen finden sich dann im „Goldenen Drachen“ wieder, der (nicht nur) in Detmold sehr erfolgreich gespielt wurde ... 

 

Das wünscht man sich eigentlich von einem zeitgenössischen Stück: Dass es Gegenwartsprobleme in überraschende Zusammenhänge einbindet und so in ein interessantes Bühnengeschehen packt. Die genannten Beispiele zeigen: Schimmelpfennig kann das. Aber offensichtlich will er nicht immer, verlässt sich vielleicht zu sehr auf sein Renommee. Oder muss vielleicht einfach schnell fertig werden, weil die Gedanken schon beim nächsten Stück sind?

Norden-Osten-Süden-Westen   Osten-Süden-Westen-Norden  Süden-Westen-Norden-Osten   Westen-Norden-Osten-Süden ...

Diesen Eindruck vermitteln zumindest die „vier Himmelsrichtungen“, 2009 in Salzburg vom Autor selbst ur-inszeniert; jetzt am Landestheater Detmold in der Regie von Kay Neumann (Ausstattung:  Günter Hellweg; Dramaturgie: Christian Katzschmann).

 

Auf der ziemlich leeren Detmolder Bühne stehen zu Beginn zahlreiche Gestalten. Vermutlich überlegen sie, ob sie sich die heutige Vorführung antun sollen. Da sie aber sicherlich schon wissen, was da gleich geboten wird, setzen sie sich lieber ab – einer nach der anderen. Vier arme Schweine müssen dableiben: Philipp Baumgarten, weil er einen LKW-Fahrer spielen muss, der einen Unfall baut und Gefährt und Ladung im Stich lässt, um Räuber zu werden.

Und Jürgen Roth, weil der den LKW voller bunter Luftballons finden und mit den Ballons eine Karriere als Clown starten soll. Marianne Thies, weil die beiden Männer eine attraktive Frau brauchen, um die sie sich bis zum Totschlag prügeln können. Und Kerstin Klinder wegen der geografischen und der Geschlechter-Symmetrie und weil sich einer Wahrsagerin verschwurbelte Texte besonders gut in den Mund legen lassen. Und das war jetzt auch schon die ganze Geschichte; die wird dann noch sozusagen geerdet durch ein paar Herkunftsangaben (Norden, Süden, Osten, Westen – nur, damit Sie sich nicht über den Titel wundern) sowie ein paar Sätze aus dem Wetterbericht; und schließlich noch verziert mit ein bisschen griechischer Mythologie (Perseus und Medusa), weil sich sowas in einem ... äh ... anspruchsvollen Stück immer gut macht,

 

Dieses Geschichtchen liegt also in Form kleiner Textfragmente vor. Und die werden dann wiederholt. Und wiederholt. Und wiederho ... äh ... Und nochmal gesprochen. Und nochmal wiederholt. Man könnte meinen, der Autor habe während der Ideensammlung für das Stück ein paar Sätze formuliert und diese dann – als das Uraufführungsdatum näher rückte – per „Copy & Paste“ immer wieder hintereinander gefügt.Und wenn dann am Ende die 90 Minuten (die man dem Zuschauer fürs Geld nun mal bieten muss) immer noch nicht vorbei sind, dann sagen die vier halt ihre paar Sätze nochmal auf. Diesmal wenigstens in einem gewissen Zusammenhang. Bevor sie endlich auch zu ihren Kollegen in die Kantine dürfen. .

Die Schönheit der Wiederholung

Aber sind diese Wiederholungs-Wiederholungen tatsächlich nur die Verlegenheitslösung für eine inhaltsarme Story? Womöglich folgt Schimmelpfennig ja einer Art künstlerischem Manifest, das ein Jahr vor den „Himmelsrichtungen“ von einer gewissen Ilse verkündet wurde (die in dem Theaterstück „Hier und jetzt“ des derzeit wohl produktivsten und erfolgreichsten deutschen Theaterdichters auftritt):

 

Tilo: Das hast du doch schon erzählt.

Ilse: Das macht doch nichts.

Tilo: Aber das erzählt sie jedes Mal – jedes Mal

Ilse: Das macht doch nichts, dass wir die Geschichte schon kennen, das macht doch nichts. Um so besser! Das ist doch das Schöne! Dafür sind Geschichten doch da – dass man sie wieder und wieder erzählt und man sie wieder und wieder hört.

 

OK – dass jemand seine Geschichte wieder und wieder erzählen will, verstehen wir noch ganz gut (geht uns allen ja so). Aber Schimmelpfennigs – in ihrer Mehrzahl nun nicht gerade weltbewegende – Sätze wieder und wieder und noch einmal anzuhören: das empfand ich als Zumutung! (Diesen Satz dürfen Sie gerne beliebig oft wiederholen!) Und nicht nur ich. Noch nie habe ich nach einer Premiere so oft die (hier von Injurien gesäuberte) Frage gehört: Weißt du, was das sollte? Nein, ich weiß es auch nicht! Oder ...?

 

Lob der Schauspieler

 

Bevor ich aber darüber nachdenke, will ich über all dem Ärger keinesfalls vergessen, die Leistung der vier Darsteller anerkennend zu würdigen, die souverän mit dem fragmentierten Text umgehen und als Persönlichkeiten auf der Bühne präsent sind.

Grundsätzliches

Apropos „Lob der Schauspieler“: überfliegt man die Besprechungen der „Vier Himmelsrichtungen“-Uraufführung, so gewinnt man den Eindruck: so richtig begeistert waren die Rezensenten auch damals schon nur von den Darstellern. Zwar gibt es kaum richtige Verrisse, doch zur Beurteilung des Stücks behelfen sich die meisten Kritiker mit vage-geschwollenen Formulierungen, die der Verquastheit des Textes kaum nachstehen – kleine Kostproben: „Alltagsbanalität mit Spuren zu Mythos und Psychologie“; „artifizielles Konstrukt“1) ; „verschachteltes Textgebilde mit großem Sog zu einer Art höheren Klarheit“2) ; „bedrohliche Schönheit des Mehrdeutigen“ 3) ; „Annäherung an ein namen-, end- und wohl auch sinnloses Gebiet“ 4) ; „viel schwebende Bedeutungshuberei“ 5) ;  „Bühnennebel, der bedeutungslos vorüberzieht“ 6) . Es bleibt Gerhard Stadelmeier vorbehalten, in der FAZ Klartext zu schreiben: „Alles zusammen ist das kein Drama“, sondern allenfalls ein „Schicksalsmythenkneipenwetterbericht“, „ein Ragout aus der windigen Ecke“ – „heiße Luft“.

 

Ähnlich dezidiert äußert sich sonst nur Volkes Stimme auf der einen oder anderen Kommentarseite – zum Beispiel: „leerer Text“; „die banale Begegnung zweier Männer und Frauen, die in umständlichen Wiederholungen ... vortragen, dass ein Riesenrad erst nach oben und dann wieder nach unten fährt“; „abgehoben, selbstreferenziell und banal“; „ „zutiefst gelangweilt ... öde Bedeutungshuberei“; „wie endlos sich hundert Minuten dehnen können“.

 

Natürlich geben die „Profis“ wenig auf Volkes Stimme, verorten diese gern am „Stammtisch“; und von dort ist es nicht weit zum „gesunden Volksempfinden“, das – gerade in Deutschland mit seiner Erblast der „entarteten Kunst“ – in seiner dumpfen Spielart mit Recht verpönt ist. Nun mag man darüber räsonnieren, wie groß oder klein die Schnittmenge zwischen Stammtischhockern und Theaterabonnenten wohl sein mag. Erwiesen ist, dass Schimmelpfennigs Stück weder das schicke Salzburger Premierenpublikum begeistert hat (Anwesende berichten von „verhaltenem Premieren-Anstandsapplaus mit Buhrufen“), noch die provinziellen Besucher einer Landestheater-Abstecheraufführung  rundum zu überzeugen vermochte (von „genialem Theatererlebnis“ bis zu „Wann ist das nun endlich zu Ende?“ reichte die Zuschauerreaktion in Warendorf laut „Westfälischen Nachrichten“).  

 

Wohlgemerkt: hier wird keinesfalls dafür plädiert, die Spielpläne allein am (womöglich: „breiten“) „Publikumsgeschmack“ auszurichten!

 

Allerdings wäre denn doch einmal der grundsätzlichen Frage nachzugehen, warum solch langweilige und „leere Texte“, derart banale Inhalte, dermaßen gehäufte ärgerliche Wiederholungen – warum also derart mißlungene Stücke so gern von Dramaturgen ausgewählt, von Intendanten auf die Spielpläne gesetzt und von Regisseuren inszeniert werden. Und warum sich – vom enfant terrible unter den deutschen Großkritikern, Gerhard Stadelmeier, abgesehen – kaum mal ein Kritiker dazu durchringt, derartigen Mist auch als Mist zu bezeichnen.

 

Ein nackter Kaiser und beflissene Höflinge

Sollte einer der Laienkritiker im Internet  Recht haben, der an Andersens Märchen von des Kaisers neuen Kleider erinnert? An die Geschichte von den Höflingen, die überzeugt sind, der Kaiser müsse ja prächtig gekleidet sein, und denen man eingeredet hat, es könne ja wohl nur an ihrer Inkompetenz liegen, wenn sie die Kleider nicht sähen? Die deshalb die kaiserliche Garderobe preisen, bis endlich ein naives Kind ausruft: „Der Kaiser ist ja nackt!“? Sollten all die Theaterfachleute (hinter, auf und vor der Bühne) derart geblendet sein vom hervorragenden Ruf eines Autors, dass sie seine „Nacktheit“, die Leere und Banalität seiner Texte nicht mehr wahrnehmen? Oder: nicht mehr zu konstatieren wagen, weil sie sonst in den Verdacht gerieten, die Genialität die Dichters nicht kapiert zu haben?

 

Der Hinweis auf des Kaisers neue Kleider hat mir besonders gefallen, erinnert er mich doch an einen anderen Autor, den erklärten Theater-Hasser Jon Fosse, der um die Jahrtausenwende wie ein Komet am Theaterhimmel aufgestiegen ist, dessen schweigsam-öde Stücke zwischen Wien und Paderborn, zwischen Bochum und Bielefeld überall gespielt wurden, natürlich auch in Detmold (weniger im englischsprachigen Raum, wo man spottete, „Jon“ klinge wie „yawn“), der allerdings auch kometengleich wieder verschwunden ist und heute allenfalls noch Schlagzeilen macht, wenn er erklärt, sich vom Theaterbetrieb zurückziehen zu wollen – nachdem er (übrigens) 33 Stücke geschrieben hatte.  

 

Quellen:

  1. R. Kriechbaum in nachtkritik
  2. R. Müller in tageszeitung
  3. U. Weinzierl in der Welt
  4. P. Michalzik in der FR
  5. K. Fischer im Deutschlandfunk
  6. J. Danielczyk in Salzburger Nachrichten

 

Roland Schimmelpfennig

Die vier Himmelsrichtungen

Schauspiel

 

Besetzung

Regie:   Kay Neumann

Ausstattung:   Günter Hellweg

Dramaturgie:   Christian Katzschmann

 

Ein Mann:   Jürgen Roth

Eine junge Frau:   Marianne Thies

Eine Frau:   Kerstin Klinder

Ein kräftiger Mann:   Philipp Baumgarten

 

 

Wiederaufnahme am 04.09.2014, 19:30 Uhr Im Landestheater Detmold

 

Weitere Termine: 28.09., 30.09., 02.10., 18.10.2014