„Angriff aufs Publikum“

Anna Bause macht Jon Fosse zum Erlebnis

 

Landestheater Detmold:

 

Die Nacht singt ihre Lieder – Stück von Jon Fosse

 

Inszenierung:                      Joachim Ruczynski

Ausstattung:                        Michael Engel

Dramaturgie:                       Juliane Wulfgramm

 

 

g.WaSa     -     Detmold     -     Was ist en Happy End? Happy End ist, wenn sich am Ende eines Boulevard-Stücks oder eines Hollywood-Films die beiden Liebenden nach vielerlei Wirrungen endlich kriegen – im Idealfall unter dem feierlichen Klang der Hochzeitsglocken. Natürlich wissen wir alle längst, was Juliane Wulfgramm im Progammhieft zu Foses „Nacht“ noch einmal betont: DANN fangen die wahren Probleme erst an: die kleinen Macken des Partners, sein Unwille / seine Unfähigkeit zur Kommunikation, Langeweile, ... kurz: der Ehe-Alltag.

 

Jon Fosse ist zählt seit gut zwei Jahren zu den Shooting-Stars auf den deutschen Bühnen. Vielleicht, weil er ein Meister ist in der Darstellung solcher Alltage, die geprägt sind von  gegenseitigem Anöden, von Beziehungslosigkeit, von aktiver Nicht-Kommunikation. Für diese Nicht-Kommunikation verfügt Fosse über die geeignete Sprache: lauter Banalitäten, Sprachschablonen; kurze, meist unvollständige Sätze, aber x-mal wiederholt; die ewigen „Ja“s, die dauernden Pausen ... So kann man sich allenfalls über den Busfahrplan austauschen, aber nicht kommunizieren über Theater, Kunst, Politik, soziale Skandale, Urlaubserlebnisse, das Wetter, den neuen Hund der Nachbarn, Familienfreuden, Beziehungsprobleme ....

 

Dabei sind es gerade Beziehungen, die Fosse schildern will, da sie unser Leben steuern. Aber kann man in dieser Sprache eine Beziehung aufbauen und am Leben erhalten, wie es in Fosses Stücken anscheinend immer geschieht und wie seine Fans nicht müde werden zu betonen? Nein! In einem „normalen“ Fosse-Stück entstehen die Beziehungen von selbst, aus dem Nichts, im sprachfreien Raum. Sie werden uns vom Autor, vom Regisseur, von den Darstellern präsentiert, lassen sich aber nicht aus dem Text herleiten, nicht auf das zurückführen, was da (nicht) gesagt wird. So wird alles zufällig, beliebig. Die Beziehungen sind einfach da, und man wundert sich nur, dass sie im Lauf der Nicht-Handlung nicht zerbrechen.

 

Wenigstens letzteres geschieht in „Die Nacht singt ihre Lieder“. Durch das ganze Stück zieht sich – unerhört bei Fosse! – ein dramatischer Gegensatz: Ihrem penetranten „Ich halte das nicht aus“ setzt Er sein unbeirrtes „Uns gehts doch gut“ entgegen. Am Schluss steht sogar der Selbstmord des verlassenen Ehemanns. Insofern ist dieses Stück ein dramatischer Gipfel in der Fosseschen Spracheinöde. Auf Nachfrage gibt der Detmolder Oberspielleiter und „Nacht“-Regisseur Ruczynski auch zu, es sei der „dramaturgische Gehalt“, der ihn veranlasst habe – wenn schon Fosse – gerade dieses Stück auszuwählen. Dabei weiß er sehr wohl, dass „Fosse weder seine Personen noch das Publikum schont“ und dass auch dieses Stück einen „Angriff auf die Bereitschaft des Publikums (darstellt), das mit zu machen“. Das Premierenpublikum ist dann auch tatsächlich deutlich irritiert. Und zwar von Anfang an: Wenn zum eintönigen Tick-Tack der (hier unsichtbaren) Uhr auf der Bühne ein schweigender Mann auf dem Sofa liegt und nach Minuten eine schweigende Frau dazu kommt, dann befürchtet (hofft?) ein Zuschauer hinter mir: „Stummfilm(?)“. Und angesichts der zahlreichen Pau.......sen (dem bevorzugten rhetorischen Stilmittel Fosses) mögen die Zuschauer gar nicht glauben, dass jetzt „richtig“ Pause ist, wenn zur Stückmitte das Saal-Licht angeht. Immerhin kommen die meisten danach wieder! (Übrigens: mein erstes Fosse-Stück, bei dem die Macher den Mut zu einer Pause hatten!). Der Schlussbeifall ist dann recht zögerlich.

 

Dabei haben sich die Darsteller ihren Applaus redlich verdient! Vor allem Anna Bause zeigt ein herausragendes Kabinettstückchen an psychologischer Charakterisierung einer „jungen Frau“ (auch Personennamen sind bei Fosse nicht üblich), die an ihrer armseligen Situation verzweifelt, einen Ausweg sucht, diesen auch findet, aber dann doch nicht begehen kann. Was der Rolle an sprachlichem Ausdrucksvermögen fehlt, macht die Schauspielerin durch ihre Mimik, durch ihre Körpersprache mehr als wett! Allein das schon macht dieses – unbestritten schwierige – Stück in dieser Inszenierung sehenswert! Wie häufiger bei Fosse zeigt sich auch hier: NICHT die Beziehungen, die Fosse verkündet (aber nicht beschreibt), sind das Spannende, sondern die Charaktere, deren Darstellung Fosse ablehnt.

 

Übrigens: Man mag dieser jungen Frau die Lösung gönnen, die sich am Schluss doch noch abzeichnet: Wenn ein Selbstmord – fast wie ein verquerer Deus ex machina – sie am Ende von ihrem Mann befreit, ist der Weg in die neue Beziehung frei. Happy End, also.

 

Happy End? Siehe oben.