Publikums-Verarschung

Rainald Goetz' "Jeff Koons" in Hamburg und Bielefeld

g.WaSa     -     Anlässlich der Verleihung des Büchner-Preises an Rainald Goetz habe ich meine Besprechung seines Stücks „Jeff Koons“ und zweier Inszenierungen (in Bielefeld und Hamburg, um den Jahreswechsel 2000/2001) noch einmal herausgeholt:

 

 „bum tscha bum tscha bumm tscha bumm ...“  und so weiter – der Suhrkamp-Verlag füllt in seiner für ein Heidengeld verkauften Buchfassung von Goetz‘ „Jeff Koons“ fast eine Seite mit diesem Un-Sinn. Immerhin lassen dort die vier vorangehenden Szenen und die Überschrift („let the bass kick“) vermuten, dass wir uns in einer Disko befinden. In Michael Heicks‘ Bielefelder Bühnenfassung ist das nicht so klar, wenn seine sieben Darsteller – schön symmetrisch aufgestellt – gleich zu Beginn während elend langer Minuten vor sich hin tscha-bummen.

 

Dabei war es doch Heicks‘ erklärtes Bestreben, „Handlungslinien“ aus diesen 150 Buchseiten herauszudestillieren, die ja einige Anforderungen an den Leser stellen. Der Autor postuliert, es sei ein „Stück“, das er denn auch brav in „Akte“ einteilt, und zwar in der Reihenfolge „3. Akt – 1. Akt – Draußen – 2. Akt – Nach der Pause – 6. Akt ...“ etc.; die parallel dazu laufende Nummerierung „III – I – III – II – IV – III – V“ wird vollends zur unverständlichen Zahlenmystik. Man denkt, der Junge schreibt im Fieber. Und: das ist noch lange nicht vorüber. So geht das ganze Buch.

 

Denn nicht viel verständlicher als diese dadaistische Nummerierung ist der Text, der mal in inhaltlich zusammenhanglosen aber formal streng daktylischen Rap-Rhythmen voranrast, mal in klassischem Erzähl-Duktus dahinschlendert, mal in lähmender Wiederholung heftig auf der Stelle stampft („der Vorhang fällt / der Vorhang ist gefallen / der Vorhang hebt sich / ... / der Vorhang geht jetzt wieder hoch ...“), überwiegend aber einfach Gesprächsfetzen aneinander reiht, ohne dass klar würde, wer hier worüber zu wem spricht, geschweige denn warum.

 

Bald kommt man zur Überzeugung, der Autor spinne schlicht (ja, stimmt – das war doch dieser Goetz, der sich damals beim Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt die Stirn aufgeschnitten hat). Andererseits ist der Mann doppelter Doktor (Medizin und Geschichte – was natürlich noch lange kein Beweis für nicht-spinnen ist) und hat mit seinen literarischen Werken Erfolg (was erst recht kein Beweis ist).

 

Dennoch: der spinnt nicht, der macht sich schlicht einen Spaß daraus, sein Publikum zu verarschen – zum Beispiel auch, indem er seine aussortierten Texte als „Abfall für alle“ ins Internet stellt (und dafür auch noch den Wilhelm-Raabe-Preis bekommt!). – Das mit der Publikumsverarschung gibt er auch ganz offen zu: in einem SPIEGEL-Interview geht er so weit, seine Fans (also die, die auf ihn und sein Geschwätz hereinfallen) als „strukturelle Idioten“, vulgo „Deppen“ zu beschimpfen! Recht hat er!

 

Dabei nimmt er offensichtlich gerne in Kauf, dass sich seine Texte oft genug gegen ihn selbst richten (lassen): „weiß schon, es reicht“, heißt es gleich zu Beginn von „Jeff Koons“ („JA!“, schreit der Zuschauer); „Das ist doch der totale Quatsch“, heißt es später in diesem wirren Stück („wirr, ... ja wirr / genau, sehr wirr“). Wohl wahr! mag manch „armes Schwein, Theatergeher“ denken und sich immerhin freuen, wenn endlich auch „der Künstler merkt, er kann das nicht“!

 

Aaaber ... er kann halt doch so einiges! Zum Beispiel entlarvende Wortspiele (das „offensichtlich so Verborgene“); herrliche Aperçus; witzige Parodien auf biblische Schöpfungsgeschichte wie auf die Internationale; eine wunderbare Miniatur in Brecht’scher Lakonik über den Wert unseres Bildungswesens („... ich fand das toll / das Wissen erzählt kriegen“) ... und vor allem eine glänzende Satire auf den Kunst- und Kulturbetrieb, die stellenweise erstaunlich aktuell ist („Der Kritiker hat gefordert, Rassismus zu verbieten ... Rassismus ist doch längst verboten ...“), dabei zu überraschenden Einsichten verhilft und die (gefährliche) Hohlheit so mancher intellektuellen Argumentation entlarvt.

 

Was will man mehr von zeitgnössischem Theater?

 

Diese Satire ist denn auch der wesentliche Handlungsstrang, den Heicks in Bielefeld herausgefunden hat. Darin folgt er Stefan Bachmanns aufsehenerregender „Jeff Koons“-Inszenierung am Hamburger Schauspielhaus, welche allerdings die – ohnehin gut verborgenen – Inhalte dieses Stücks noch zusätzlich durch „schöne Bilder“ zugedeckt hatte. Gerade die zentrale „Kunst“-Szene hat man dort von Darstellern in Plüschtier-Kostümen spielen lassen, die vor allem durch exzessives Kotzen, Scheißen und Ejakulieren in Erinnerung geblieben sind. Der Jubel der Kritiker darob weckt den Verdacht, diese verharrten – gefördert durch übermäßigen Fernsehkonsum? – fortdauernd in ihrer analen-Teddybären-Phase ("strukturelle Idioten", eben - s. dazu das Goetz-Zitat aus dem SPIEGEL – aber, wie gesagt, auch in „Jeff Koons“ selbst lässt sich so manches treffende Zitat finden: „Der Künstler ist real zu infantil ...“)

 

In Bielefeld dagegen wird die Satire um so schärfer, als hier der Kunstbetrieb in einer Art Vernisage sehr realitätsnah vorfgeführt wird: mit banalen Party-Plaudereien und wortreich-leerem Kritiker-Gewäsch. Auch hier bedurfte es allerdings sehr genauen Hinhörens und respektabler Szenekenntnisse, um den Sinn in etwa zu erfassen, geschweige denn, alle raffinierten Anspielungen würdigen zu können. Sicher, ein im Hinausgehen aufgeschnappter Zuschauer-Ausspruch („Das war manchmal ganz schön treffend“) lässt vermuten, dass zumindest einiges rübergekommen ist. Auch wer nicht durch die Hamburger Inszenierung vorbelastet war, hat unter dem Künstlervölkchen auf der Bühne Andy Warhol herauserkannt. Auch Dalí war sicherlich für viele noch zu erkennen – dass aber Spezialisten auch noch van Gogh, Beuys und sogar die hierzulande kaum bekannte Frida Kahlo auf der Bielefelder Bühne identifizieren konnten (Anmerkung anno 2015: den "Frida"-Film mit Selma Hayek gab’s damals noch nicht), das macht den Unbedarfteren dann doch etwas neidisch. Er mag sich mit einem – letzten – Zitat trösten: Goetz zumindest weiß,

 

„daß das nicht reicht, daß Kunst

so sehr sich nur auf sich bezieht,

daß nur noch letzte Spezialisten die Sensationen sehen können,

die sich da verstecken“