„Pension Schöller“ als satirische Zitatsammlung

 

Landestheater Detmold:

„Pension Schöller“ – Komödie von Carl Laufs und Wilhelm Jacoby

Regie: Joachim Ruczynski

Bühnenbild: Michael Engel

Kostüme: Heike Fey-Anifantakis

Dramaturgie: Bettina Ruczynski

 

 

Irgendwie fühlt man sich verpflichtet zu begründen, warum man in einer ernsthaften Theater-Zeitschrift über „Pension Schöller“ schreibt – dieses Stück von zwei Mainzer Fassenachts-Dichtern, das von der Literaturgeschichte konsequent ignoriert wird, auf das sich in keinem Schauspielführer ein Hinweis findet (es sei denn, man hat noch den „Neuesten Schauspielführer“ von 1892 im Regal stehen), das aber trotz alledem an den Theatern überlebt hat (letzthin etwa in Münster oder Essen). Da hätten wir denn schon eine Begründung: die schiere Macht der Statistik. Die soeben veröffentlichte Übersicht des Deutschen Bühnenvereins zeigt, dass „Pension Schöller“ im Vorjahr an 8. Stelle der Publikumsgunst stand – knapp hinter der „Dreigroschenoper“ und vor „Sommernachtstraum“ und „Hamlet“.

 

100.000 können nicht irren? Nun ja. Versuchen wir’s lieber mit einer elitären Begründung: Wenn Kroetz in München den „verkauften Großvater“ inszeniert, dann darf wohl Ruczynski in Detmold die Schöller’schen Pensionsgäste vorführen – nachdem sogar Frank Castorf 1994 das Stück an der Berliner Volksbühne herausgebracht hat. Dort allerdings hieß es „Pension Schöller: Die Schlacht“ und als Co-Autor stand Heiner Müller auf dem Plakat. Das Ergebnis darf man sich ausmalen.

 

Ein solches Ergebnis will das Landestheater natürlich nicht anstreben. Ruczynski: „Wir wollen nicht ein abgehobenes Feuilleton beeindrucken, sondern unsere (Zusatz vom Rezensenten: provinziellen) Abonnenten im Theater halten“. Und denen meint man, nach der „schweren Kost“ von Ibsen, Hauptmann und Dorst (Rezensent: Was daran wohl schwer war?), zum Saisonabschluss noch etwas Leichtes schuldig zu sein. Und versucht auch gleich, die „Pension Schöller“ gut zu reden: dramaturgisch perfekt konstruiert, köstliche Typen, ernsthafte Fragestellung (Wo liegt die Grenze zwischen normal und verrückt?). … Und natürlich will man keinesfalls Komödienstadl-Klamauk zeigen.

 

Der lässt sich dann doch nicht ganz vermeiden Und das Stück zeigt sich halt schon mit so manchem Mangel: im Aufbau arg konstruiert, in den Dialogen wechseln sich hölzerne Banalität mit kitschigem Pathos ab, der Text ist durch Zeilenschinderei aufgebläht.

 

So ganz ernst kann es den Detmoldern mit „Schöller“ nicht gewesen sein. Bei genauem Hinsehen hat man vielmehr den Eindruck, sie hätten eine Satire inszeniert, mit einer Vielzahl von Insider-Späßchen. Bei Laufs/Jacoby finden sich am Ende zwei Liebespaare – für eine Komödie dieses Kalibers geradezu läppisch! Das können Ruczynski/ Ruczynski besser! In einer turbulenten Schlussszene werden aus den 14 Personen sieben Paare! Darüber, dass sich Dichterin und Schauspieler gemeinsam in einen Schrank zurückziehen, mag sich der brave Abonnent (Stichwort Komödienstadl) ja noch amüsieren. Aber dass sich der stocksteife Herr Major den knackigen Gärtner schnappt – das hat für Detmold fast schon Castorfsches Niveau.

 

Genüsslich vergnügen sich die Detmolder Theatermacher damit, die „Pension Schöller“ als Vehikel für eine lange Reihe von Anspielungen zu missbrauchen. Neben der Weltliteratur (Hamlet, Wallenstein, Clavigo, Gartenlaube) werden Höhepunkte der europäischen Gegenwartskultur zitiert: von den weißen Tigern „Siegfried und Roy“ bis zu James Bonds Martini. Vor allem werden geradezu exzessiv die Inszenierungen des eigenen Hauses recycelt: der namenlose Schauspiellehrer heißt plötzlich Holle-Hassenreuther (U. Holle spielt nicht nur den Hassenreuther in den Detmolder „Ratten“; er ist im wahren Leben auch frischgebackener Schauspiellehrer). Der Maler Kissling (Jan Maak) verwendet den Stift, den der Müller Horn (Jan Maak) auf dem Markt von einem fahrenden Musiker gekauft hat. Den running gag aus der „Widerspenstigen“ (Lucentio als gefürchteter Männer-Küsser) lässt man noch etwas weiterlaufen. Nachdem der Weltreisende aus dem Fenster gesprungen ist, taucht plötzlich ein Gärtner auf, dass man meinen könnte, er käme geradewegs vom Friseur. Selbst an die längst verflossenen Damen Kleinholz mit ihrer Wäsche glaubt man sich zu erinnern … und so weiter.

 

So wird denn dieses Stück für den fleißigen und aufmerksamen Abonnenten immerhin zu einem spaßig-intelligenten Suchspiel. Das Vergnügen, schon wieder ein Zitat entdeckt zu haben, entschädigt reichlich für so manche Unzulänglichkeit der Vorlage. Und wenn einem der Regisseur später sagt, er habe gar nicht alle Zitate beabsichtigt, die man erkannt hat, so kann man den immer noch auf sein Unbewusstes verweisen. Schließlich sitzt in der Detmolder Pension Schöller auch mal Dr. Freud neben einer Couch.                     (G. Wasa)

 

(aus: theater pur, 7/2000, S. 34)