Der letzte Mensch vor dem Absturz

Dystopie „asche“ im Grabbehaus

 

 

Treffen sich zwei Erden auf der Milchstraße.

Sagt die eine zur andern:

„O je! Siehst du aber schlecht aus. Geht’s dir nicht gut?“

Die zweite: „Nein, mir geht’s verflucht schlecht!“ –

Sich kratzend: „Ich fürchte, ich habe Menschen.“

Die Erste: „Au verdammt! Das ist echt übel! –

Aber tröste dich: Das geht bald vorbei.“

 

 

Mal wieder ein düsteres Endzeitszenario

g.wasa     -     Detmold.     -     Ja, bald ist’s vorbei, mit den Menschen. Zumindest im Grabbehaus, der kleinen Nebenbühne des Detmolder Landestheaters. Hier ist nur noch ein Exemplar übrig von diesem Ungeziefer namens Mensch, und auch das steckt sich schon den Lauf der Beretta in den Mund. Denn die Erde ist (wieder) wüst und leer. Wie es dazu kam, weiß man nicht, es ist nur vage die Rede von „sterilisierter erde, einem großen knall, inferno, einer sintflut aus feuer, asche und gammastrahlung“.

                                                                                              

Dabei wäre DAS doch das Interessante: wie es zur Katastrophe kam, zur Apokalypse, zum Ende der Menschheit. Wer und was war daran schuld? Wo waren die Wendepunkte, welches waren die entscheidenden Weichen? Wo hätte man (wer?) umsteuern können? Einige der Wege, die zum Ende der Spezies Homo sapiens führen könnten, hat Dramaturgin Johannsen im Programmheft in Form von ein paar Stichworten aneinanderreiht: “Atomkrieg, Gammablitze, Kriege, Flüchtlingsströme, Umweltkatastrophen, Zerfall sozialer Strukturen und Dekadenzerscheinungen“. All diese (oder einige der) Gegenwartsprobleme auf die Bühne zu bringen - das wäre doch mal aktuell! Das wären tatsächlich die „existenziellen Themen“, die uns die Regisseurin angekündigt hat.

 

 

Wenigstens hält sie ihr Versprechen, uns „einen Menschen im Nichts, im Nicht-Raum“ vorzuführen. Denn anstatt die Gegenwart dramatisch aufzubereiten, hat auch Küspert lieber nur eine weitere Dystopie, eine negative Utopie verfasst; sein Werk ist damit bloß eines von „zahlreichen Filmen und Büchern (darüber), wie wohl das Ende der Welt aussehen wird“ (Johannsen).

 

Grünes Licht als Roter Faden

Und leider handelt es sich hier um eine recht langweilige Endzeitgeschichte: eine dramatische Auseinandersetzung findet nicht statt, dafür fehlt dem Protagonisten der Antagonist. Wenn immer wieder von „anderen“ die Rede ist, weiß man nicht, ob das Erinnerungen sind, oder Phantasie, oder ob doch richtige Menschen – womöglich Gegner, Feinde? – gemeint sind. Auf die Bühne hat es jedenfalls nur einer geschafft. Und dieser Eine textet uns also 90 Minuten lang zu: Über die ewigen dosenravioli und die Erinnerung an / die Hoffnung auf omas zwetschgenstreusselkuchen. Über die Versuche, einen einsamen (eingebildeten?) Löwenzahn am Leben zu erhalten und über die Asche die allein noch von Menschen, Häusern, Städten übrig ist. Über die Langeweile und Eintönigkeit („es gibt einfach sonst nichts mehr zu tun“), die zu Selbstmordphantasien führt und über „diesen nervig nagenden hoffnungswurm im hinterkopf, diesen nicht-aufgebens-krebs“, der dann doch verhindert, dass die Beretta abgedrückt wird. Auch mit der eigenen Vergangenheit (und womöglich Mit-Schuld) setzt sich unser Held nicht auseinander, und so plätschert das Jammern so dahin, in Satzfetzen, angereichert mit Kraftausdrücken („arschlöcher“) und aufgemotzt durch Häppchen klassischer Hochbildung („dorsal gepfählt … masturbationseugenik…   olfaktorisch codiert … biologischer imperativ … griechisch holókauston …“).

 

Keine wirkliche dramatische Auseinandersetzung also. Aber vielleicht eine dramatische Entwicklung: Nach 30 Minuten bemerkt Er „ein grünes leuchten“; nach 60 Minuten wird daraus ein „grünes licht“. Womöglich kann das sogar Tote wiedererwecken. Das grüne Licht als roter Faden? Immerhin: grün ist die Hoffnung. Und die Hoffnung stirbt auch hier zuletzt.

 

 

Bewundernswert: der Darsteller

Bewunderung verdient hat Hartmut Jonas, der uns diesen übriggebliebenen Menschen in seinem Elend, seiner Verwirrtheit, seiner Wut und Verzweiflung und Hoffnung, in seinem Wahnsinn so mitreißend wie anrührend vorführt. Fast möchte man sich fragen, wie er diesen 90-Minuten-Monolog, diesen nicht etwa logisch aufgebauten sondern erratischen, bruchstückhaften Text lernen konnte. Aber von einem  Schauspieler kann man das erwarten.

 

 

Die Bühne: aber sowas von originell!

So wie man von einem Regieteam erwarten sollte (dachte ich bisher jedenfalls), dass es seine Darsteller unterstützt, ihnen ihre Arbeit – gerade bei einem solchen Stück – möglichst erleichtert. Es sei denn, höhere Werte stünden dem entgegen. Diese höheren Werte waren hier: schon im Bühnenbild zu vermitteln, dass die Menschheit, der kleine Rest der Menschheit am Abgrund steht, immer kurz davor, abzustürzen, den Boden unter den Füßen zu verlieren.

Und auf welche geniale, nie dagewesene Idee ist da der Bühnenbildner gekommen?  Er stellt den Schauspieler (der all das kraft seiner Persönlichkeit auch ohne äußere Hilfe zu vermitteln vermochte, s.o.) auf eine schiefe Ebene! Wow! Das grobe Bruchsteinmauerwerk der Grabbebühne hätte eine überzeugende Kulisse für diese Endzeitlandschaft abgeben können. Aber nein, Schauplatz ist eine etwa 2,50 x 3,50 Meter große Plattform, so schräg, dass man sich darauf – 90 Minuten lang! – nur mit Mühe halten kann. Im Pressegespräch hat das Regieteam geradezu genüsslich von den Schwierigkeiten des Darstellers berichtet, stolz erzählt, dass er sogar Bewegungstipps von einem Mitglied des Ballett-Ensembles einholen musste. Ja – so beweist man seine Macht über den Schauspieler!

 

 

 

 

 

Landestheater Detmold - Grabbe-Haus:

 

asche

Monolog von Konstantin Küspert
Uraufführung

 

Inszenierung                   Kathrin Mayr
Ausstattung                    Fabian Wendling
Dramaturgie                    Marie Johannsen

 

Mensch                           Hartmut Jonas
 

Uraufführung:                  Freitag, 26. Januar 2018