Klamauk in Illyrien

Shakespeares LGBTQ*-Stück „Was ihr wollt“ in Detmold

Olivia (Noack) - Mario (Thomser) - Feste (Riemann) - Toby (Stüßer) (Foto: Landestheater/B. Stöss)

Was für ein sozialer Abstieg!

(g.wasa   -   Detmold.)   Was doch drei Buchstaben für einen Unterschied machen können! Anno 1797 hat A. W. Schlegel Shakespeares „Was ihr wollt“ ins Deutsche übersetzt. Und seither kennen wir Malvolio, eine der wichtigeren Figuren des Stücks, als den Haushofmeister der Gräfin Olivia: Als solcher übte er „eines der wichtigsten Ämter der Hofgesellschaft“ aus, im Rang dem Hofmarschall vergleichbar (Wikipedia). Dem sieht man schon mal den Drang zu Höherem nach, versteht vielleicht sogar seine Ambitionen, durch eine Ehe mit seiner Chefin selbst zum Grafen zu aufzusteigen. –

 

Olivia (Noack) - Malvolio (Schmidt) (Foto: Landestheater/B. Stöss)

In der aktuellen „Was Ihr wollt“-Inszenierung des Landestheaters Detmold wird dieser Quasi-„Kabinettsminister“, dieser Haushofmeister, herabgestuft zum Hausmeister, und zwar nicht zum heute üblichen Facility-Manager mit anspruchsvollem Aufgabenspektrum, sondern zur altbackenen Karikatur, wie wir sie allenfalls noch aus klamaukigen TV-Serien kennen: Mit Sauberkeitsfimmel, Lappen und Sprühseife klopft er heftig-berlinernd-nuschelnd die immer gleichen Sprüche: „Kann doch wohl nit wahr sein! .. Ick jeh putzen“; die gelegentlichen Variationen „Ick jeh petzen … ick jeh protzen“ sind dann schon mal für ’nen Lacher gut); und Spontanapplaus gibt’s für den berüchtigten Auftritt in gelben Strümpfen und Schweißband (letzteres als gelungener Ersatz für die – heute kaum verständlichen – „kreuzweisen Knieriemen“). – Aber nein! Den will man sich bestimmt nicht im Bett der Gräfin Olivia vorstellen.

 

Oder sollte dieser Malvolio womöglich ganz gut ins Personal-Tableau dieser Inszenierung passen? – Wir werden sehen.

 

Das Stück

William Shakespeare (1564 – 1616) schrieb „Twelth Night or What You Will“ um 1600 (Uraufführung wohl 1601 oder 1602), also gegen Ende der Regierungszeit Elisabeths I. Das Stück wird - zusammen mit „Wie es euch gefällt“ (um 1599) – mit Recht „als Höhe- und Endpunkt der shakespearschen Komödie“ bezeichnet (Detmolder Programmheft), in welchem der Dichter „seine früheren Lustspielmotive  … noch einmal mit vollendeter Meisterschaft aufgreift“ (HENSEL, S 170).  

 

Der englische Titel „Twelth Night“ erlaubt die Vermutung, dass das Stück gezielt für „die zwölfte Nacht“ geschrieben wurde. Denn hier findet man reichlich all das, was etwa GÜNTHER dieser Nacht zugeschrieben hat:

 

Die zwölfte Nacht nach Weihnachten (ist) das Ende der Weihnachtsfestivitäten …: eine Art dionysisch-anarchischer Karneval, eine verkehrte Welt … derb und deftig, obszön und närrisch mit Tanz, Suff und Gelagen. Verkleidung, Maskenspiel und Kleidertausch zwischen den Geschlechtern …“ (GÜNTHER; S. 227 f.) *)

 

Die Story:

Die Zwillinge Viola und Sebastian erleiden vor der Küste Illyriens Schiffbruch. Beide werden unabhängig voneinander gerettet, glauben den anderen ertrunken. Da die Zeiten besonders für Frauen unsicher sind, verkleidet sich Viola als Mann, nennt sich Cesario und tritt in die Dienste des Herzogs Orsino. Der ist unsterblich (na ja, zumindest momentan) verliebt in die schöne Gräfin Olivia. Doch die hat kürzlich ihren Bruder verloren und beschlossen, sieben Jahre um ihn zu trauern – inklusive amouröser Enthaltsamkeit. Schlechte Karten also für Orsino. In seiner Not schickt dieser seinen neuen Angestellten Cesario als Liebesboten zu Olivia, ohne Angst, der Werber könnte zum Nebenbuhler werden. Doch genau das geschieht: Die bis eben so kühle Olivia verliebt sich Hals über Kopf in den hübschen jungen (vermeintlichen) Burschen und lässt den das auch ganz ungeniert wissen. Aber Cesario ist ja in Wirklichkeit Viola, und die hat nun mal (entgegen der LGBTQ*-Grundierung des Stücks) so gar keine lesbische Ader. Und vor allem hat sie sich unverzüglich in ihren neuen Chef verliebt, ebenso unsterblich wie dieser in Olivia (aber dauerhafter).

 

 

Und damit haben wir eine der schönsten und raffiniertesten Dreiecksgeschichten in der an Dreiecksgeschichten reichen Weltliteratur:

Viele dieser literarischen Dreiecksgeschichten enden unglücklich. Nicht so in einer Shakespeare-Komödie: Der Meister schickt einen Überraschungsgast, um aus dem fragilen Dreieck zwei stabile Zweierbeziehungen zu formen: Wir, als Zuschauer, wissen bereits seit Beginn des zweiten Aktes, dass Violas/Cesarios ertrunken geglaubter Zwillingsbruder Sebastian noch am Leben ist. Endlich, im fünften Akt, als alles auf eine Katastrophe zuläuft, taucht er plötzlich auf und wird von Olivia sofort geheiratet, die in ihm ja einen vollwertigen (mehr als vollwertigen: schließlich ist er ein echter Mann) Ersatz für Cesario/Viola bekommt. Und der Herzog? Der fand den tollen Cesario schon immer ganz geil, und wer weiß, wenn er seine schwule Ader nicht unterdrückt hätte … Aber so: Kaum hat er erfahren, dass sein Cesario in Wirklichkeit eine Viola ist, verlangt er ihre „Hand“ und kanns kaum erwarten sie in Frauenkleidern zu sehen (warum eigentlich überhaupt in Kleidern?). Olivia vollendet dann das (mit der letzten Zeile für den Lipper maßgeschneiderte) Happy End:

 

Mein Fürst, wenn Sie nach alledem als Schwester

Mich mögen könnten statt als Ehefrau,

Soll, wenn Sie wolln, ein Tag zwei Ehen krönen

Auf meine Kosten hier in meinem Haus.

 

Die Parallelhandlung

Bis dahin war’s ein weiter Weg mit diversen Täuschungen und Verwechslungen, welche aber doch nicht ganz ausreichen, einen zwei-ein-halb-stündigen Theaterabend zu füllen. Manche meinen, (auch) deshalb habe Shakespeare die übliche Nebenhandlung so ausgeweitet, dass man tatsächlich von einer Parallelhandlung sprechen kann.  

 

Zum festen Bestandteil fast aller Shakespeare-Stücke (auch der Tragödien!) gehören ja die „Clowns“-Szenen. In diesen Szenen treiben die Clowns – als Rüpel, Narren, Hanswurste usw. – ihr (Un-)wesen mit viel Klamauk und reich an – gerne derben bis obszönen – Wortspielereien. Und das besonders ausgiebig eben in „Was Ihr wollt“, wo schon der Originaltitel „Twelth Night“ auf den Charakter des Stücks verweist:

 

Zur Handlung nur in aller Kürze: Olivias eitler Haushofmeister Malvolio wird von einem Rüpel-Quartett grausam veräppelt (Shakespeare würde wohl eher sagen: verarscht). Die Langfassung sollten Sie sich im Theater ansehen.

 

Ein komplexes, vielschichtiges Stück

Viola/Cesario (Hanheide) - Olivia (Noack) (Foto: Landestheater B. Stöss)

Gehört „Was ihr wollt“ zu den „romantischsten Shakespeare-Komödien“?

 

„Von allen Interpretationen Shakespeares war die romantische die falscheste, (welche) die fatalste Theatertradition hinterließ … Die Maskerade – Hauptmotiv von ‚Was ihr wollt‘ – ist ein gefährliches Spiel. … Die gefährlichste Maskerade ist der Wechsel des Geschlechts“.

 

Am Ende des Detmolder Programmheftes steht ein Auszug aus JAN KOTTs  „Shakespeare heute“ – einer Art Bibel für die Shakespeare-Gemeinde **). Der polnische Theatermann (1914 – 2001; seit 1965 in den USA) gehört sicherlich zu den kenntnisreichsten und originellsten Shakespeare-Interpreten, der so tief wie kein zweiter in die (psychischen) Abgründe shakespearscher Figuren blickt.

 

In seinem - mit „Bitteres Arkadien“ (!) überschriebenen – Komödien-Kapitel geht er ausführlich auf das Verkleidungs/Geschlechtertausch-Thema ein, wobei er natürlich auch die Tatsache betont, dass zu Shakespeares Zeiten die Frauenrollen von jungen Männern, „Knaben“, gespielt wurden, so dass sich am Beispiel Violas die Konstellation ergab: junger Mann spielt junge Frau welche einen jungen Mann spielt …

 

Zugegeben: Gerade bei „Was ihr wollt“ scheint mir KOTT die Genderproblematik gar zu weit zu treiben, wirken manche seiner Behauptungen arg weit hergeholt. Immerhin ist bemerkenswert, wie gründlich er auf das Changieren zwischen den Geschlechtern eingeht – in einem Text, der erstmals 1965 erschienen ist, als von LGBTQ* noch nirgends die Rede war.

 

Festhalten können wir sein Fazit:

 

Hier „stehen zwei große Motive einander gegenüber: (einerseits) das idealisierte Bild von der Liebe, (andererseits) die blutige Kumpanei der Rüpel“, also: „Illusion“ contra „Wirklichkeit“ (S. 283).   „Das höfische Modell der idealen Liebe ist bis auf den Grund ironisiert worden. Oder so realistisch gezeigt worden wie möglich“ (S. 261).

 

Die Detmolder Inszenierung

Was haben sich Regisseur Jan Steinbach und Dramaturg Reinar Ortmann bei ihrer Inszenierung gedacht? Die Antwort findet man – wenigstens teilweise – in einem Frage-und-Antwort-Spiel im Programmheft. Klar: sie haben die einschlägigen Vokabeln drauf, wie sie immer für „Was ihr wollt“ verwendet werden: „Changieren zwischen praller Komik und zarter Melancholie … Natur des menschlichen Begehrens … Frage nach der eigenen Identität… Spiel mit den geschlechtlichen Identitäten …“. Natürlich auch die Frage, die offenbar dauernd von Kommentator zu Interpretin weitergereicht wird: Ob sich am Ende tatsächlich die Richtigen gefunden haben: „Dabei scheinen alle die Falschen zu lieben“ – was jedoch aus dem Text kaum belegt werden kann, ebenso wenig wie die Behauptung „bemerkenswert, wie schnell sich die Figuren verlieben“:  auch wenn’s im Theater nur ein paar dicht aufeinander folgende Szenen sind, aber Viola und Orsino kennen sich immerhin schon drei Monate (V,1). Und Orsino kriegt ja noch rechtzeitig die Kurve von der „falschen“ Olivia zur „richtigen“ Viola. (Natürlich ließe sich die Frage nach den „Richtigen“ bei jedem klassischen Hollywood-Happy-End stellen, beziehungsweise mag sich dies so mancher Hochzeitsgast im realen Leben fragen).

 

 

Mit einigem guten Willen lassen sich ansonsten die genannten Begriffe in Steinbachs Inszenierung wiederfinden. Es bleiben allerdings einige Unklarheiten, zumindest Auffälligkeiten:

 

So z. B. eine eigentümliche Traumsequenz um Malvolios Einkerkerung, deren Sinn sich auch durch Steinbachs Erläuterung („eine Art surrealen Albtraum“ - „Exorzismus“) kaum erschließt. Und dass der Herzog konsequent „Duke“ genannt wird? – Albern! Oder was?

 

Steinbachs Absicht, „das Spiel mit den geschlechtlichen Identitäten aufzunehmen und aus heutigem Denken heraus zu behandeln“ bleibt doch sehr oberflächlich: Da wird Olvias Kammermädchen Maria von einem Mann dargestellt, der nebenbei als Mario einen Höfling beim Herzog mimt. Man fragt sich: spielt Adrian Thomser tatsächlich EINE Transperson (Mario=Maria)? Oder eine Doppelrolle (Mario + Maria), um den Darsteller des originalen Curio einzusparen? Und wenn (demzufolge?) aus Sir Toby eine Lady Sirtoby wird, so ist dies lediglich eine ansonsten folgenlose Namensänderung (s. u.).

 

Überhaupt: die Personen …

 

Personen und Bühnenbild

Die eingangs gestellte Frage, ob der zum ordinären Hausmeister herabgestufte Malvolio (Gernot Schmidt) ins Detmolder Personaltableau passt, muss mit einem eindeutigen Ja beantwortet werden:

 

Olivia (Ewa Noack) ist bei Shakespeare „ein sittsam Mädchen“, das sieben Jahre lang um den kürzlich verstorbenen Bruder trauern und „wie eine Nonne im Schleier gehen“ will. Hier hat sie sich aufgebrezelt als wolle sie gleich bei Dieter Bohlen vorsingen … wozu wiederum Outfit und Benehmen ihres Verehrers, des Herzogs Orsino (Aom Flury) passen Der tritt auf wie ein unbedarfter Möchtegern-Zuhälter - diese Assoziation hatte ich allerdings erst im Nachhinein: nachdem ich im Programmheft gelesen hatte, dass Steinbachs Inszenierung „in einem ans Rotlichtmilieu angelehnten Etablissement stattfinden“ soll. Davor habe ich diesen Typen in Unterhemd und Jogginghose und mit alberner Lache schlicht für einen unterbelichteten Proleten gehalten, den der Narr mahnt: „Dein Schneider soll dir einen Anzug machen“.

 

Und das Bühnenbild (Franz Dittrich) hatte ich einfach als Bar namens „Illyrien“ interpretiert; die rumliegenden Tigerfelle erinnern an „Dinner for One“; und allenfalls ein paar Herzen als Deko-Elemente könnten Richtung „Rotlichtmilieu“ weisen. Wenn allerdings gegen Ende Olivia sich den verblüfften aber durchaus willigen Sebastian (Leonard Lange) schnappt und ihn ins Chambre separée abschleppt …  Trotzdem: Was soll das bringen? Diese Geschichte im „Rotlichtmilieu“ anzusiedeln?

 

Olivia (Noack) - Maria (Thomser) - Feste (Riemann) - Sirtoby (Stüßer) (Foto: Landestheater / B. Stoess)

So ein Klamauk! (Shakespeare, halt)

Sirtoby (Stüßer) - Leichenwang (Enev) - Sebastian (Lange) - Feste (Riemann)

Wenn schon die illyrische Upper Class derart degradiert wird, was haben Steinbach & Co. dann erst mit der Unterschicht, mit den Rüpeln gemacht? Aus Sir Toby, dem Onkel(?) der Gräfin, machen sie eine „Tante Lady Sirtoby“ (Manuela Stüßer): eine stockbesoffene Schlampe, die mit ihrem Saufkumpel für Krawall und Radau sorgt. – „Das ist mir viel zu viel Klamauk“, sagte meine Tischnachbarin in der Pause. Und fast hätte ich ihr zugestimmt, so manche bravere Inszenierung in guter Erinnerung. Aber dann habe ich mich doch gefragt, ob dieser Klamauk nicht doch der „echtere“ Shakespeare ist, welcher es zu seiner Zeit darauf anlegte (anlegen musste), das einfache Volk zu unterhalten und deshalb (wie schon erwähnt) gerne in derben bis obszönen Wortspielereien schwelgte. Und das natürlich gerade in „Twelth night“ (eine heutige Entsprechung für die „zwölfte Nacht“ wäre vielleicht Halloween). Immerhin heißt auch im Original Sir Toby bereits „Belch“, was Frank Günther mit „Rülpser, Zotenreißer“ übersetzt, und den auch der gesittete Schlegel schon „Tobias von Rülp“ nannte. Beim Saufkumpan Sir Andrew Aguecheek (Paul Enev) haben die Detmolder das Schlegel’sche „Bleichenwang“ noch zu einem „Leichenwang“ verkürzt.

 

Die Darsteller – ein Pauschallob

Verzeiht mir, liebe Darsteller innen, wenn ich nur kurz erwähne, dass ihr alle eure Sache außerordentlich gut gemacht habt! Ein Lob, das um so verdienter ist, als die von der Regie „verschlimm-besserten“ Rollen bestimmt nicht immer einfach zu gestalten waren!

 

Viola   oder  Der gute Shakespeare

Bleibt aber noch Viola. Auch sie grob herabzuwürdigen, haben sich die Detmolder dann doch nicht getraut. Stella Hanheide macht immer „bella figura“, ob in der weiblichen oder in der männlichen Ausprägung, als Viola und als Cesario. An sie mag sich auch der Fan Shakespear‘scher Poesie halten, welche sich natürlich auch hier – neben aller Derbheit – reichlich findet.

 

 

So hatte das Landestheater seinem Publikum schon bei der Saisoneröffnung im Schlosspark einen Ausschnitt aus „Was Ihr wollt“ als Appetithappen dargeboten: den Dialog, in dem Orsino dem vermeintlichen Cesario sein Liebesleid klagt, während gleichzeitig Viola ihm ihre Liebe gesteht - eine der sprachlich schönsten und zugleich inhaltlich raffiniertesten Szenen aus Shakespeares Œuvre (s. Textauszug in unserer Vorankündigung).

 

Der Narr und der Schwule

Feste (Riemann) (Foto: Landestheater / B. Stöss)

Und dann gibt’s natürlich noch Feste (Alexandra Riemann), welche(r) allerdings im ganzen Stück nur einmal bei diesem Namen genannt, ansonsten aber als „Narr“ (englisch. Clown) tituliert wird. Natürlich ist er Teil des Rüpelquartetts, aber man mag sich fragen, ob der Narr nicht (wie gelegentlich bei Shakespeare) der einzige Weise im Spiel ist. Seiner Rolle obliegt – vor allen anderen – der berühmte überbordende shakespearesche Sprachwitz. Jan Steinbach weist allerdings zurecht darauf hin, dass viele der „geistreichen Wortakrobatik-Elemente sich auf den (damaligen) Alltag beziehen und für uns heute nicht mehr nachvollziehbar sind“. Der Regisseur hat für das Problem dann eine – ich bin versucht zu sagen: geniale – Lösung gefunden: Er hat „heutige Comedians als Äquivalent entdeckt“, was mich angesichts all der TV-Witzfiguren noch nicht überzeugt hätte. Aber Torsten Sträter  ist mit seinem satirischen und fast schon subversiv-kritischen Sprachwitz ein würdiges Vorbild für den Shakespeare-Narren (und dass er deutsch-englisches Kauderwelsch im Allgemeinen und den penetranten „Duke“ im Besonderen blöd findet, freut mich ganz besonders).  

 

Dass hinter diesem Narren eine Frau steckt, ist eigentlich gar nicht weiter erwähnenswert. Das ist bei „Was ihr wollt“-Inszenierungen gar nicht so selten, und die Schauspielerin versteckt sich – unterstützt durch die Verkleidung – sehr gekonnt hinter dem Vorbild.

 

Der eine oder die andere mag die Lieder des Narren vermissen, die dieses Stück illustrieren, welches auch schon mal als „die musikalischste Komödie Shakespeares“ bezeichnet wurde (das Original – nicht die Detmolder Inszenierung – beginnt mit der berühmten Aufforderung: „Wenn die Musik der Liebe Nahrung ist, spielt weiter!“).

 

Sebastian (Lange) - Antonio (Weber) (Foto: Landestheater / B. Stoess)

So ist auch Festes Schlusslied gestrichen. Stattdessen tritt an dieser Stelle noch einmal Antonio (Emanuel Weber) in Erscheinung, der in vielen Inszenierungen recht stiefmütterlich behandelt wird, und dessen Beziehung zu Sebastian früher gerne als gewöhnliche Männerfreundschaft verharmlost wurde. Von circa einem Dutzend „Was ihr wollt“-Inszenierungen kann ich mich nur an eine erinnern, in dem sich Antonio am Schluss immerhin mit Curio (in Detmold durch Mario ersetzt) zusammentun durfte. Das war ausgerechnet im katholischen Paderborn, 2001, kurz nachdem das neue „Lebenspartnerschaftsgesetz“ in Kraft getreten war. In Detmold wird jetzt Antonios schwule Neigung zu Sebastian deutlich herausgearbeitet (und damit ist er tatsächlich einer, der den "Falschen" liebt), aber ein Happy End versagt man ihm auch hier. Ist es nun lobenswert, dass er sich am Schluss wenigstens noch einmal in Erinnerung bringen darf? Oder ist es zynisch, wenn er – nachdem sich all die Paare gekriegt haben – fragt: „Und was wird aus m…“, ihm aber das letzte Wort sozusagen vom fallenden Vorhang abgeschnitten wird?  

 

Fazit

Olivia (Noack) - Malvolio (Schmidt) - Maria/o (Thomser)

Vom „Changieren zwischen praller Komik und zarter Melancholie“ hat der Regisseur gesprochen. Mag sein, dass für den herkömmlichen Abonnenten (gibt’s den?) die Melancholie zu kurz kam, zugunsten der Komik. Andere mögen gerade im Klamauk ein bisschen vom „echten“ Shakespeare wiedergefunden haben.

 

Der Beifall war eher freundlich als frenetisch – ein bisschen mehr hätte die Inszenierung, hätten vor allem die Darsteller schon verdient gehabt.

 

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Landestheater Detmold:

 

 

Was ihr wollt

 

Komödie von William Shakespeare

 

Aus dem Englischen von Thomas Brasch

 

 

 

Inszenierung             an Steinbach

     Bühne                   Franz Dittrich

     Kostüme               Jule Dohrn-van Rossum

     Dramaturgie          Reinar Ortmann

     Ton                      Timo Hintz

     Licht                    Udo Groll

     Maske                  Kerstin Steinke

 

Orsino, Herzog von Illyrien          Aom Flury

Viola                                             Stella Hanheide

Sebastian, Violas Bruder              Leonard Lange

Antonio, Sebastians Freund          Emanuel Weber

Olivia, eine reiche Gräfin             Ewa Noack

Sir Toby Rülps                             Manuela Stüßer

Sir Andrew Leichenwang             Paul Enev

Maria / Mario                               Adrian Thomser

Feste, der Narr                              Alexandra Riemann

Malvolio, Olivias Haushofmeister      Gernot Schmidt

 

Premiere: 29. September 2023

 

 

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*)   William Shakespeare: Was ihr wollt. -

       Zweisprachige Ausgabe. Deutsch von Frank Günther.

       dtv klassik   dtv   München   1996

**)  Jan Kott: Shakespeare heute (Erweiterte Neuausgabe)

       Aus dem Polnischen von Peter Lachmann.

       Alexander Verlag Berlin. - Berlin, 2. Aufl. 2002 (Reprint von 1970)

       Originalausgabe Warschau 1965

 

 

 

Mehr "Was ihr wollt":

Münster 2002

Paderborn 2001

Detmold  2001

Bielefeld  2000