Theater-Kunst als politische Demonstration
Städtische Bühnen Münster (Kleines Haus):
Was ihr wollt – Komödie von William Shakespeare
Übersetzung: Thomas Brasch
Inszenierung: Karin Neuhäuser
Bühne: Jürgen Lancier
Kostüme: Franz Lehr
Dramaturgie: Horst Busch
Mit zwei kräftigen Paukenschlägen wurde in Münster die neue (Schau-) Spielzeit eröffnet. Der erste Schlag war ein greulicher Mißton und kam von der städtischen so genannten Kulturpolitik: Nachdem sich Stadt und Theater vor zwei Monaten bereits auf Einsparungen von 725.000 Euro in den nächsten drei Jahren geeinigt hatten, musste Intendant Bockelmann jetzt in der Zeitung lesen, die Mehrheitsfraktion wolle in der kommenden Spielzeit zusätzliche 840.000 Euro sparen = das Aus für 25 Stellen und damit das drohende Aus für eine ganze Sparte.
Das Theater wehrt sich mit Protestlisten. Und mit der Premiere von „“Was ihr wollt“, die dem Theater zu einer Demonstration seiner Unverzichtbarkeit geriet – der zweite Paukenschlag, diesmal ein künstlerisch-beeindruckender!
Anspruchsvolle Verwechslungs-Komödie
Die oft gespielte Verkleidungs- und Verwechslungskomödie ist in Wirklichkeit sehr anspruchsvoll. Dieses vielfältige Changieren zwischen den Geschlechtern, diese homoerotischen Anmutungen, dieses Schillern zwischen traurig-melancholischem Tiefsinn und derb-drastischer Komik. Um all diese Illusionen angemessen auf die Bühne zu bringen, bedarf es eines wahren Illusionskünstlers. Schon Oscar Wilde wusste: "When there is no illusion, there is no Illyria."
Gelungene Inszenierung
Da erhofft man sich – ihre phantasievoll-respektlose „Maria Stuart“ in guter Erinnerung – einiges von Karin Neuheuser. Und wird nicht enttäuscht! Zunächst einmal bricht sie mit eingefahrenen Seh- (und See-) Gewohnheiten. Ihr Illyrien liegt nicht mehr an einer wild-arkadischen Küste; daran erinnern allenfalls noch drei Quadratmeter Südseepalmen-Fototapete; ansonsten sieht man sich in Hoppers berühmtes Gemälde „Nighthawk’s Cafe“ versetzt: eine elegante Bar namens „Illyrien“. Hier treffen sich zur Happy hour all die normal-skurrilen Shakespeare-Kinder und suchen zwischen Theke und Tischtelefon, zwischen Rechts (Damen-) und Links (Herrenklo) nach ihrer sexuellen Identität.
Ein Pianist im tuntigen Fummel spielt zum Tanztee; die Rüpel tänzeln als Ballerinen; der Clown Feste (Marie-Claire Ludwig) wirkt als kesser Vater und Barkeeper im Hintergrund und rezitiert – an Stelle seiner elisabethanischen Lieder – freche Robert-Gernhardt-Verse (die sich erstaunlich gut in Shakespeares Text einfügen). Orsino (Johannes P. Kindler) tritt mal als Hamlet mit Totenschädel auf („auf sein oder nicht auf sein“), mal als Julius Cäsar, mal im eleganten Cocktailkleid (Lady Macbeth?), wenn er sich nicht mit Hilfe einer Augenklappe aus dem letzten Urlaubsflieger in sich selbst zurückzieht. Olivia (Therese Dörr) – ganz in schwarz – tanzt schon vor Beginn selbstversunken über die Bühne, wobei sie die Urne mit der Asche ihres Bruders verzückt an den Busen presst. Später wird sie das Trauerschwarz zunächst durch Erotikrot und dann durch bräutliches Weiß ersetzen und mal Malvolio zum Cha-Cha-Cha, mal Orsino zum Wiener Walzer auffordern. Wenn der Kapitän bei der Trauzeremonie verkündet „Hiermit erkläre ich euch zu Mann und Frau“, dann fragt der naive Bleichenwang zurecht: „Und was waren sie vorher?“
Es gibt viel zu lachen, ja, aber noch mehr melancholisch zu lächeln, in Neuheussers wunderschöner Geschichte über diesen „wundersamen Zwang zur Paarung“. Am Schluss bekommen alle etwas ab. Selbst die Soufleuse (Heidemarie Kunze, die als „Heidi“ und Mutter der Kompanie ihre Schutzbefohlenen mit Zigaretten, Papiertaschentüchern und Trost versorgt hatte): sie nimmt sich der von Olivia vernachlässigten Urne an. Malvolio (Jürgen Wink) kehrt – als hätte es nie seine unglückseligen erotischen Obsessionen gegeben – in seine öde Buchhaltung zurück – offensichtlich zufrieden, wenn auch gewiss nicht glücklich. Aber ob die ganzen jungen Paare glücklich sind? Es wurde schon oft gefragt, ob sich in dieser turbulenten Verwechslungskomödie am Ende wirklich die Richtigen kriegen. Selten wurde diese Frage so eindringlich-anschaulich in Handlung umgesetzt wie jetzt in Münster.
Fazit:
Eine nachdenkliche und gut durchdachte, eine ungewöhnliche und doch shakespeare-gerechte Inszenierung, mit der das Schauspiel Münster großstädtisches Niveau erreicht hat. Der donnernde Applaus des Premierenpublikums mag durchaus auch als Demonstration gegen provinzielle Kulturpolitik gedacht gewesen sein – verdient war der jubelnde Beifall allemal!
(theater pur, 2002/09)