Tiroler Rosen ganz ohne Dolrnen

Heile Vogelhändler-Welt auf der Detmolder Operettenbühne

(Foto: Landestheater Detmold)

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WaSa. Detmold.  -  Nach einer glanzvollen Saisoneröffnung mit der Oper ==>  „Carmen“ und dem Pflichtstück der klassischen Moderne, „Puntila“, ist jetzt die leichte Muse an der Reihe: Am Landestheater hatte „der Vogelhändler“ Premiere, der zu den Top-Ten im Operettenrepertoire deutscher Theater gehört – kein Wunder, angesichts der „handwerklichen Qualität“, die Dramaturgin Elisabeth Wirtz diesem Werk Carl Zellers aus dem Jahr 1891 bescheinigt. Nachdem selbst der notorisch kritische Volker Klotz dieser Operette „vorzügliche Kunstfertigkeit und Bühnenwirksamkeit“ zugesteht, traut man sich selbst kaum mehr zu kleinlicher Krittelei, auch wenn einem so einiges aufstößt: die Banalitäten, die wichtigtuerische-redundante Beschreibung dessen, was man ohnehin sieht („Die Jäger!“) und die gelegentlich arg holperigen Verse („Durchlaucht nämlich ist erschienen / Sitzt bereits huldvoll da drinnen“), die manchmal schon wieder von einer geradezu satirischen Komik sind („...seinen Jägermeister / Den Baron Weps, so heisst er“; oder im berühmten „Kirschbaumlied“:

 

„Einen Reiter hört' ich jagen
Und mein Herz hub an zu schlagen;
... Draussen fielen Blütenflocken,
Drin der Kranz von meinen Locken“ –

 

Na, wer da nicht auf die Fortsetzung gespannt ist!)

 

Aber vielleicht ist das alles ja genre-typisch. Ebenso wie die heile Welt genre-typisch zu sein scheint, die hier vorgeführt wird: die Korrupition der Beamtenschaft (vom Förster bis zum Prodekan) ist reine Folklore; Oben und Unten sind noch schön ordentlich sortiert: oben die absolutistischen Durchlauchtigkeiten, die sich „eindirndeln“ (Klotz) um mit den Unteren Spielchen (am liebsten natürlich erotische) zu treiben, welche sie nach Lust und Laune jederzeit abbrechen dürfen, ganz im Gegensatz zum Volk, das alle Launen der Herrschaft in weiser Bescheidenheit hinnimmt ...

 

Allerdings wird Volker Klotz in seinem Standardwerk „Operette“ nicht müde zu betonen, dass es auch anders geht und diese Gattung sich keineswegs auf die „erbauliche Heimatoperette“ mit „einer verklärten ländlichen Vorvergangenheit“ beschränkt. Und der Musikkritiker (und heutige Chefdramaturg der Deutschen Oper Berlin) Jörg Königsdorf hat vor einiger Zeit in der SZ beklagt, dass die „gewaltsame Historisierung“ der – jüdisch geprägten und dazuhin „aufmüpfigen“ – Operette durch die Nazis nie so richtig rückgängig gemacht wurde, dass bis heute „das Rad der Zeit einfach auf die klassische Wiener Operette“ zurückgedreht bleibt.

 

Dabei hat es auch in Detmold sehr wohl Versuche gegeben, der Operette ihre alte Frechheit zurück zu geben, besonders gelungen vor wenigen Jahren im  ==>  Weißen Rössel“. Tempi passati! Heute ist am Landedstheater wieder Historisieren angesagt! (Wenn’s ja nur beim Vogelhändler wär, könnte man‘s ja noch gerne akzeptieren; die eine Operette der Spielzeit darf das durchaus. Aber auch aus ==> „Hair“ wurde – ganz bewusst! – ein historisches Rührstück gemacht; und selbst einem „Lehrstück“ wie dem „Puntila“ wurde jeder politische Gehalt ausgetrieben!)

 

Und so bekennt sich also Gast-Regisseur Uwe Drechsel ausdrücklich zur Absage an das (aktualisierende) Regietheater. Dass er das Werk in Ausstattung und geistigem Gehalt „in seiner Zeit“ belässt, begründet er damit, dass das heutige Publikum damalige gesellschaftliche Phänomene wie ein ius primae noctis heute ohnehin nicht mehr nachvollziehen könne und solches somit in eine „moderne“ Inszenierung nicht passen würde. Als Beleg dafür nennt er – ausgerechnet! – den „Barbier von Sevilla“: Heute wäre es schließlich nicht mehr denkbar, dass junge Frauen ins Haus eingesperrt würden. Und das in Detmold! Wo fast auf den Tag genau ein Jahr vor der Vogelhändler-Premiere eine junge Frau von ihrer Familie ermordet wurde, weil sie sich nicht einsperren lassen wollte! Wer hat eigentlich einen Regisseur mit einem derart begrenzten Weltbild ausgesucht?

 

Aber treiben wir’s nicht zu weit mit der Kritik – wie gesagt: eine Operette darf auch mal harmlos-volkstümlich, unkritisch und sogar ein bisschen banal sein, also: „einfach nur schön“. Und so wird denn dieser Vogelhändler den breiten Publikumsgeschmack bedienen: mit schönen Kostümen, einem Bühnenbild, das mal ländlich-rustikal, mal gräzisierend-elegant ist; mit einem zünftig schuhplattelnden Tiroler (Markus Gruber), einer liebenswürdigen Kurfürstin (Marianne Kienbaum-Nasrawi) und so weiter ... Ein besonderer Gag: Bruno Gebauer und Michael Klein spielen die Professoren – wie bereits vor ca. 15 Jahren, allerdings mit vertauschten Rollen. Außerdem: bunte Volksszenen und die ganzen bekannten Ohrwürmer („Christel von der Post“, „Rosen in Tirol“ ...). Und: kräftige, aber gekonnte Striche, aber auch ein paar Zutaten: mal ein Schnaderlhüpferl, mal ein herrlich boshafter Kommentar, wenn die Hofdame Adelaide (wunderschön-komödiantisch überzeichnet von Brigitte Bauma) ihr erotisches Coming Out hat: „Frühlingserwachen einer Herbstzeitlosen“. Und sogar eine aktuelle politische Anspielung: Baron Weps nimmt in sein Skandallied eine zusätzliche Strophe über die Medienpolitik der CSU auf! Beifall!

 

Unverzichtbar schließlich: die diversen Happy Ends: In Detmold erwacht sogar der (sonst durch Abwesenheit glänzende) Kurfürst zum Leben und tritt an die Seite der glücklichen Gemahlin; Baronin Adelaide bekommt den Baron Weps; dieser bekommt ihr Geld. Und natürlich kriegen sich Adam und Christel. Dass diese beiden dann die kurfürstliche Pfalz hinter sich lassen und sich ins ländliche Tirol zurückziehen (was nicht nur Volker Klotz zur Frage veranlasst: Wozu dann das Ganze?), das wird dem Publikum beinahe unterschlagen. Erst in den schon einsetzenden Schlussapplaus hinein deutet Adam diese Flucht in die Idylle an: „B'hüt enk Gott, alle miteinander! I geh' ham ...“

 

 

 

 

Der Vogelhändler – Operette in drei Akten

Musik: Carl Zeller

Libretto: Moritz West und Ludwig Held

 

Musikalische Leitung:   Matthias Wegele  

Inszenierung:   Uwe Drechsel  

Ausstattung:   Heiko Mönnich  

Choreinstudierung:   Marbot Kaiser  

Dramaturgie:   Elisabeth Wirtz

 

Kurfürstin Marie:   Vera-Lotte Böcker / Marianne Kienbaum-Nasrawi

Baronin Adelaide:   Brigitte Bauma / Evelyn Krahe  

Baron Weps:   Jürgen Schultz  

Graf Stanislaus:   Kai-Ingo Rudolph  

Süffle:   Bruno Gebauer  

Würmchen:   Michael Klein  

Adam:   Markus Gruber  

Christel:   Katharina Ajyba / Sarah Davidovic  

Schneck:   Michael Klein