Gerechtigkeit durch Selbstjustiz?

„Michael Kohlhaas“ im Detmolder Grabbe-Haus

(alle Fotos: Landestheater Detmold)

g.wasa     -     Detmold.     -     Üblicherweise bin ich ja recht penetrant in meiner Ablehnung von Roman- (oder Film-) Dramatisierungen. Manchmal bin ich vom Ergebnis dennoch begeistert. Und manchmal finde ich es sogar verdienstvoll, den Inhalt eines Prosawerkes auf der Bühne zu zeigen. So erst kürzlich, als Konstanze Kappenstein vom Detmolder „Jungen Theater“ es mit einer pfiffigen Idee schaffte, das Tagebuch der Anne Frank den heutigen Altersgenoss-inn-en der Autorin nahezubringen.

 

Diese Konstanze Kappenstein hat jetzt, für Erwachsene, auf der kleinen Detmolder Grabbe-Bühne Kleists Novelle über den Gerechtigkeitsfanatiker Michael Kohlhaas dramatisiert: über ein rechtschaffenes, ordentliches Mitglied der Gesellschaft, das aber von dieser Gesellschaft ungerecht behandelt wird, und auf der Suche nach seinem Recht ganze Landstriche mit Mord und Totschlag überzieht, ganze Städte in Schutt und Asche legt.

 

Reales Vorbild für Kleists Novelle war die Fehde eines Hans Kohlhase gegen das Kurfürstentum Sachsen, in den Jahren 1534 – 1540. Dramaturg Arne Bloch weist darauf hin, dass in jener Zeit „moderne Staatlichkeit und das staatliche Gewaltmonopol gerade erst etabliert“ wurden, während vorher derartige Fehdezüge durchaus noch das gängige Mittel waren, um seine persönlichen Rechte zu wahren und gegebenenfalls für sich privat Gerechtigkeit zu erlangen.

 

Rechtsphilosophisches

Recht und Gerechtigkeit, Naturrecht und positives Recht, staatliches Gewaltmonopol und Widerstandsrecht des Einzelnen – über solche Begriffspaare haben sich zu allen Zeiten (Rechts-)Philosophen und Ethiker gestritten: ob im Fall einer Antigone, die das Recht der Götter über das des Staates setzt, ob über die heutige Frage, ob sich die Scharia dem Grundgesetz unterordnen muss. Reichsbürger bestreiten dem Staat – und damit: dessen Rechtsordnung – das Existenzrecht. Pegida-Schreier behaupten, SIE seien das Volk. Und Wald- und Klimaschützer glauben, die bedrohten Lebensgrundlagen aller Menschen gegen Kabinettsbeschlüsse und Ansprüche von Konzernen verteidigen zu dürfen. 

 

Da böte es sich durchaus an, mal wieder den „Michael Kohlhaas“ zu lesen, die Geschichte dieses sprichwörtlich gewordenen Streiters für Gerechtigkeit und gegen staatliche Willkür.

 

Ja, unbedingt! 

 

Schwere Lektüre

Wenn nur diese Kleist‘sche Novelle für uns Heutige nicht gar so schwer zu lesen wäre. Schon die Sprache von 1800 ist nicht mehr unsere. Wenn Kohlhaas eine „Resolution“ bekommt, so würden wir das heute „Bescheid“ nennen. Und selbst von den Gebildeteren unter uns wird so mancher Wikipedia bemühen müssen, um zu verstehen, was ein Gubernium ist („politische Verwaltung eines Gouvernementsbezirkes“).

 

Und wenn Sie schon bei Wikipedia sind, dann könnten Sie gleich noch das Schaubild  konsultieren, das wenigstens versucht, einen Überblick zu geben über die wichtigsten Stationen von Kohlhaas‘ schwierigem und langwierigem Zug durch die Instanzen: Gubernium, Staatskanzlei und Tribunal … Als Akteure: Hinz und Kunz und die Kurfürsten von Sachsen und Brandenburg; Junker, Ritter, Grafen und Prinzen: Vögte, Präsidenten, Kanzler und Ersatzkanzler … Und der Doctor Martin Luther mischt auch noch mit. Der flüchtige Leser hat keine Chance, da durchzublicken. Und dass man sich durch einen wahren Verhau von ellenlangen und komplizierten Schachtelsätzen kämpfen muss, erleichtert die Lektüre auch nicht gerade.

 

Kohlhaas auf der Bühne: publikumsfreundlich

So mag es durchaus ein Verdienst sein, wenn die Geschichte gestrafft und vereinfacht und in sitzfleisch-freundlichen 90 Minuten anschaulich dargeboten wird! Genau das hat das Detmolder Team getan! Chapeau! UND sie haben es geschafft, die wesentlichen Inhalte in das Stück herüberzuretten (mit einer bedeutsamen Ausnahme, jedoch – s.u.), was bei Dramatisierungen von Prosatexten nur selten gelingt. – Ebenfalls gelungen: wie aus den Kleist‘schen Satzungetümen eine verständliche Sprache herausdestilliert wurde – gerne mit heutigen Alltagsformulierungen („Da ist was schiefgelaufen“, „Ich hefte es ab“).   

 

Publikums-Verwirrung

Allerdings scheint man sich auch ein Vergnügen daraus gemacht zu haben, das Publikum immer wieder zu irritieren. Zum Beispiel durch Video-Spielereien. – Wofür sollen die gut sein? Oder wenn dauernd die Rollen zwischen den Darstellern hin und her getauscht werden. Soeben war Anton Becker noch Kohlhaas, da verwandelt er sich in dessen Frau Lisbeth; während an seine Stelle Alexandra Riemann tritt, die bisher das Pferd gemimt hat. Dann wird auch mal eine Szene dreimal hintereinander gespielt, jeweils mit einem anderen Kohlhaas-Darsteller. Das mag man sich noch erklären: Jede( r ) ist Kohlhaas. Wir alle sind ein Stück weit Kohlhaas …  

 

Oder: Eine Begegnung zwischen Kohlhaas und Ehefrau Lisbeth wirkt zunächst leidenschaftlich, wandelt sich dann zur Gewaltszene. Was da passiert ist, muss hinterher mit Hilfe von Kleists Text erklärt werden.

 

Doch eine solche Verlegenheitslösung bleibt die Ausnahme. Eher versucht man, den epischen Text durch theatrale Mittel zu veranschaulichen. Wenn auf der Bühne ewig nichts passiert, das Publikum unruhig hin und her zu rutschen beginnt – dann kann es vielleicht die Ungeduld Kohlhaas‘ nachvollziehen, wenn der ungebührlich lange auf eine Antwort auf seine Klageschrift warten muss.

  Die Ausstattung

Auch das Bühnenbild dient der Stimmungs-Mache: die kleine Bühne wird völlig beherrscht von einem kompakten Bretterverschlag: Spielfläche; Abbild von Tronkas Raubritterburg; Symbol für das festgefügte, von Vetternwirtschaft geprägte Staats- und Justizsystem, das einem Außenseiter keine Chance lässt; natürlich auch: Gefängnis; aber auch mal – geöffnet – die Klause Martin Luthers.

Zu Beginn ist der Schauplatz sauber aufgeräumt. Die Welt ist noch in Ordnung. Im Laufe des Abends gleicht nicht nur die Bühne, sondern auch der Zuschauerraum immer mehr einer Müllkippe: voller (wenn auch eher: Pappmaché-) Trümmer, Hinterlassenschaften des Brennens und Sengens der Kohlhaas‘schen Horden.

 

Einer ähnlichen Verwandlung unterliegen auch die Personen, die zu Beginn ordentlich gekleidet sind, teils in Uniform; die Darsteller machen sich als Kohlhaas kenntlich, indem sie einen eleganten Mantel anziehen. Dann wird die Kleidung immer ärmlicher. Und – wie auch die Personen selbst – immer schmutziger – von Asche und Rauch befleckt.

 

Verdienter Jubel für die Darsteller

Apropos Darsteller: alle vier wurden am Ende vom Premierenpublikum begeistert gefeiert (wie auch das Regieteam). – Mit Recht! Anton Becker, André Lassen, Alexandra Riemann und Adrian Thomser haben eine überzeugende Leistung geboten – sie alle vier und in allen ihren vielfältigen Rollen!

 

 

Offene Frage

 

Bleibt noch das größte Rätsel dieser Inszenierung – der Schluss.

 

Kohlhaas befindet sich in dem offenen Bretterverschlag. Doch der wird jetzt, Brett für Brett, wieder geschlossen. „Bin ich gefangen?“, fragt der unglückliche Held. „Bin ich gefangen?‘“ - wieder und wieder. Er bleibt ohne Antwort.

 

Auch das Publikum, bleibt ohne Antwort. Nach dem bisherigen Verlauf war mit einer Gefangennahme eigentlich nicht zu rechnen. Gerechtfertigt wäre sie ohnehin nicht. Und doch wird es wohl eine gewesen sein. – Die Bestätigung steht in Kleists Text, in meiner Ausgabe auf Seite 57. Danach folgen noch 22 Seiten, deren Inhalt Kappenstein & Co. einfach unterschlagen. Warum? Haben sie sich womöglich von Franz Kafka beeinflussen lassen, der geschrieben hat:

 

„ … wäre nicht der schwächere, teilweise grob hinuntergeschriebene Schluß, [der „Kohlhaas“] wäre etwas Vollkommenes …“

 

Eines stimmt schon: Dieser Schlussteil enthält auch die ziemlich absurde und für den Gang der Erzählung irrelevante Geschichte von einer wahrsagenden Zigeunerin. Das ist nun wirklich verzichtbar. Aber eine Auskunft über das weitere Schicksal Kohlhaas‘ und den Ausgang seines Rechtsstreits hätte dem Publikum schon zugestanden.

 

So bleibt lediglich ein Hinweis des Dramaturgen im Programmheft:

 

  … dass dem Aufrührer „das Rechtssystem in seiner Sache schlussendlich recht gibt“, nachdem „ihm die ordentliche Durchführung eines Prozesses verweigert“ wurde, „solange er sich wie ein ordentlicher Bürger verhielt“ …

 

Eine richtige und wichtige Erkenntnis. Welche aber die offenen Fragen auch nicht beantwortet. – Bleibt halt doch nur: selber lesen!

 

 

 

 

Landestheater Detmold – Grabbe-Haus:

 

Michael Kohlhaas

nach der Novelle von Heinrich von Kleist

in einer Fassung von Konstanze Kappenstein

Inszenierung: Konstanze Kappenstein
Ausstattung:    Franz Dittrich
Dramaturgie:   Arne Bloch

 

Mit:                  Anton Becker,

André Lassen,           

Alexandra Riemann,  

Adrian Thomser

 


Premiere: Mittwoch, 31. Oktober 2018, 19.30 Uhr, Grabbe-Haus

Fotos: Landestheater / Jamie Lay