Landestheater Detmold: Neubeginn mit Shakespeare:

Zwischen Genesis und Mauerfall  

Steinbachs hermetischer „Sturm“

(alle Fotos: Landestheater Detmold)

 

g.wasa     -     Detmold.     -     Am Landestheater Detmold hat die Saison 2018/19 begonnen, die erste unter dem neuen Intendanten, mit viel neuem Personal. Nach großer Oper, Komödie und Jugendstück gab’s nunmehr auch das erste Schauspiel im großen Haus: Jan Steinbach, der neue Schauspieldirektor, hat sich mit einer Inszenierung von Shakespeares „Sturm“ dem Publikum vorgestellt.

 

Die Story

Prospero, der Herzog von Mailand, hat keinen Bock aufs Regieren. Lieber steckt er seine Nase in Bücher über Okkultismus und Magie. Mit den Staatsgeschäften hat er seinen Bruder Antonio beauftragt – so lange, bis dieser meint, wenn er schon die ganze Arbeit tue, so wolle er doch auch gern den Titel haben. Mit einem Spießgesellen, dem König von Neapel, setzt er also den (wie es immer heißt: „rechtmäßigen“) Herzog ab und schickt ihn zusammen mit dessen kleiner Tochter Miranda auf einem löchrigen Schiff in den sicheren Tod. Doch Gonzalo, ein rechtschaffener Höfling, hat das Schiff heimlich mit allerlei Lebensnotwendigem und nicht zuletzt mit Prosperos Zauberbüchern ausgestattet; und so schaffen‘s die Boatpeople tatsächliche auf eine einsame Insel. Dem dortigen Ureinwohner Caliban (äußerlich halb Mensch, halb Fisch, genetisch eine Mischung aus Hexe und Teufel) entlockt Prospero zunächst die Geheimnisse der Insel und macht ihn dann zum Sklaven für niedere Arbeiten. Nicht viel besser ergeht es dem Luftgeist Ariel, der allerdings für höhere Aufgaben vorgesehen ist. - Zwölf Jahre später führt eine Schiffsreise die Feinde von einst in die Nähe der Insel.

 

Und an dieser Stelle beginnt Shakespeares Stück:

 

Im Auftrag Prosperos faked Ariel einen Sturm, spiegelt den Schiffsinsassen einen Schiffsuntergang vor und sorgt dafür, dass alle sicher an Land kommen. Ab hier passiert eigentlich nicht mehr viel: die Schiffbrüchigen ziehen in isolierten Grüppchen über die Insel, immer geführt, manipuliert oder zumindest überwacht von Prospero und Ariel. Antonio überzeugt den Bruder des Königs von Neapel, diesen umzubringen um ihn zu beerben. Der allgegenwärtige Ariel verschafft den beiden die Gelegenheit, verhindert den Mord aber im letzten Augenblick. Caliban tut sich mit zwei shakespeare-üblichen Clowns zusammen, um gegen Prospero zu revoltieren, scheitert aber kläglich.

 

Und von all den Schiffsinsassen ist es ausgerechnet der neapolitanische Königssohn, der auf Prosperos Tochter trifft – so ist sichergestellt, dass die unabdingbare Liebesgeschichte nicht etwa an Standesunterschieden scheitere.

 

Am Ende treffen sich alle bei Prospero. Die Übeltäter von damals bereuen. Prospero verzeiht, lässt seine Sklaven frei, erhält sein Herzogtum zurück, versenkt sein Zauberwerkzeug im tiefen Meer, verspricht, in Zukunft fleißig zu regieren; und alle kehren nach Hause zurück, das junge Liebespaar mit der erfreulichen Aussicht, dereinst beide Reiche zu regieren. Friede, Freude, Happy End.

 

Das Stück

Natürlich muss es ein Happy End geben auf Prosperos Insel, diesem exotischen, von Luftgeistern bevölkerten Eiland “voll von Klängen, Melodien”, wo’s Stürme nur als pädagogische Maßnahme gibt, eingesetzt vom weisen und gerechten Inselherrscher. Manche sind überzeugt, dass Shakespeare in diesem seinem „letzten Stück“ (neuerer Forschungsstand: einem der letzten) sich selbst verewigt habe: Prospero, der Meister der realen Magie, als Denkmal des Meisters des magischen Realismus.

 

Jan Kott hat uns – mal wieder – den romantischen Blick auf die Sturm-Insel verbaut und das Stück gnadenlos seziert. “Was zum Vorschein kommt, sind Mordpläne, Gewaltphantasien, Machtgelüste”. Prosperos Herrschaft: übler Kolonialismus (einige Andeutungen lokalisieren die Insel bei den Bahamas – wo gut 100 Jahre vor der Niederschrift Kolumbus erstmals landete).

 

Faszinierende erste Szene

Dieses Stück, das ein solch breites Interpretations-Spektrum eröffnet, hat sich also Jan Steinbach für sein Detmolder Debut ausgesucht.

 

Es war ein erfreulicher, ein überzeugender Anfang: die erste Szene von Steinbachs „Sturm“. 

 

Wir blicken auf die rohe Bühne; die Welt ist sozusagen wüst und leer (und der Luftgeist schwebt über dem Wasser, möchte man dazufantasieren). Doch dann tritt sie tatsächlich auf: eine schmale, androgyne Gestalt, eben der Luftgeist Ariel (Alexandra Riemann). Mit sparsamer Gestik befiehlt sie: Es werde Licht. Und es ward … also: die Scheinwerfer gehen an. Und dann ein wunderbares Kabinettstückchen: Der Geist holt sich ein Mikrofon, pustet hinein, und lässt somit den Wind wehen. Er pustet stärker, und der Wind wird stärker. Und so erschafft er Meeresrauschen, Möwengeschrei, Gewitter, endlich den Sturm – faszinierend!

 

Das war dann schon der Höhepunkt der Inszenierung (ganz zum Schluss gibt‘s noch mal einen).

Als nächstes taucht irgendwo von hinten eine Horde von Männern in einer bunten Kollektion von Unterhosen auf (mein Problem, dass ich nie weiß ob ich Schauspieler in Unterhosen – soweit nicht dramaturgisch notwendig - peinlich oder lächerlich finden soll). Es sind die Passagiere des Schiffes, das in dem von Ariel so furios erzeugten Sturm (scheinbar) untergegangen ist. Aber um das zu wissen, muss man den „Sturm“ gelesen haben – denn dort zeigt Shakespeare zwar nicht die Entstehung des Sturms, dafür aber die Panik an Bord unmittelbar vor dem Kentern – für den Dichter eine gute Gelegenheit, sein Personal schon mal ein bisschen bekannt zu machen.

 

Das ist in Detmold gestrichen, und so liegt jetzt ein wirres Knäuel anonymer lebloser Leiber in der Mitte der Bühne.

 

Die hermetische Bühne

Nun kommen Bühnenarbeiter als Gehilfen Ariels und errichten rund um die Schiffbrüchigen hohe, unüberwindliche Wände (Ausstattung: Lisa Däßler). Der Schauplatz reduziert sich so auf einen winzigen, nach außen abgeschlossenen Raum, den nur Prospero und Ariel kraft ihrer Zauberkunst verlassen können. Wer von den ohnmächtigen Schiffbrüchigen gerade zu spielen hat, wird von Ariel erweckt, wer nicht gebraucht wird, von ihm durch eine knappe Geste, einen Blick, einen Gedanken wieder in Schlaf versetzt. So sind sich die diversen Grüppchen, die vielen Personen in dem engen, hermetischen Raum nicht gegenseitig im Wege.

Hermetisch! Dem entsprechenden Substantiv „Hermetik“ weist der Duden zwei Begriffe zu: neben dem luftdicht Abgeschlossenen auch: „(veraltend) Alchemie und Magie“. Was Wikipedia dazu ausführt klingt wie eine Beschreibung von Prosperos Künsten:

 

Die ‚technische‘ Hermetik bezweckt Lebensmeisterung und Naturbeherrschung durch okkultes Wissen. … Techniken wie Alchemie, Magie und Medizin verhelfen zum Verständnis und zur Meisterung der Natur“.  

 

Die Inszenierung

Auf der Bühne wird ein sehr heutiges Deutsch gesprochen (Ariel: „geht klar!“) – ein spannender Kontrast zu den Renaissance-Kostümen. Manchmal vermisst man die Poesie von Shakespeares Sprache. Darüber kann die Reverenz an die Mainzer Fassenacht („wolle mr se freilasse?“) ebenso wenig hinwegtrösten wie die gelegentlichen witzigen Kalauer („da brachte die Äxte sie“, heißt es, wenn Alexandra Riemann die Verschwörer mit Mordwaffen versorgt). –

 

Das Regieteam überrascht mit so mancher interessanten Idee:

 

So sollte Ariel anlässlich der Verlobung des jungen Paares eigentlich ein paar hochrangige Göttinnen auftreten lassen. In Detmold stellt sich Prospero an die Rampe, lässt im Zuschauerraum das Licht angehen und weist mit großartiger Geste ins Publikum: Die Damen im Saal verkörpern keine Geringeren als Juno, Iris und Ceres. - Nur dumm, dass sie das gar nicht wissen, es sei denn, sie hätten den Text vorher gelesen (was man aber – nicht nur – in Detmold nur von einer Minderheit erwarten darf). Während Ferdinand, für den dieser hübsche „trick“ (so schon im englischen Original) bestimmt ist, sich freut („wunderbares Schauspiel“), fragt eine verwirrte Zuschauerin in der Reihe hinter mir „Was sollte denn das jetzt?

Und das ist überhaupt das Manko des Abends: diese Inszenierung ist „hermetisch“, insofern als sie für „Eingeweihte“ gemacht scheint, für Kenner, für Insider. Den andern fehlen immer wieder die Zusammenhänge. Das mag an den kräftigen Strichen liegen, obwohl die spärliche Handlung eigentlich (durchdachte) Textkürzungen gut vertragen müsste. Ein Übriges tut die schlechte Sprechkultur. Wenn Prospero zu seinem Schlussmonolog ansetzt, beginnt er mit „Prost!“ Er wiederholt das Wort. Oder heißt das jetzt „Trost“? Beim dritten Mal ist man sich fast sicher: „Trost“ (mal schnell bei Shakespeare nachschlagen – geht nicht: dort lautet der Monolog ganz anders). Und so geht das schon die ganze Zeit! Da könnte man es fast für Selbstironie halten, wenn das Gelalle der besoffenen Clowns noch nicht mal mehr als Übertitel verständlich ist. - Wenn ich schlecht verstehe, fürchte ich immer erst mal, dass mit zunehmendem Alter mein Gehör nachlässt. Da beruhigt es wenigstens persönlich, wenn man beim Hinausgehen eine deutlich jüngere Dame sagen hört: „So ein Genuschel habe ich schon lange nicht mehr erlebt!“, und man erinnert sich, dass man bei den Theaterbesuchen an den beiden Vortagen eigentlich ganz gut verstanden hat. - Wenn dann noch zu schnell gesprochen wird, oder nach hinten, oder ins Lachen des Publikums hinein, dann …

 

Die Darsteller

… dann ist es schade, dass von den Schauspielern fast nur in Erinnerung bleibt, dass sie schlecht zu verstehen waren. Dabei war dies doch die „Vorstellung“ des neuen Ensembles! Aber unter den wenigen, die positiv aufgefallen sind, war mit Jürgen Roth (als Alonso) ausgerechnet einer der „alten Detmolder“. Gut gefallen hat auch Alexandra Riemann als Ariel, nicht nur in der ersten Szene (s.o.), sondern immer wieder, wenn sie zwar die brave Dienerin ihres Herrn spielt, ihre heimliche Aufmüpfigkeit aber deutlich in Körpersprache und Mienenspiel zum Ausdruck bringt. Oder André Lassen als Caliban: als der zum Schluss (fast wie der Schmetterling aus der Puppe) aus seinem (wohl von Prospero aufgezwungenen) unförmigen Körper (= Charakter?) schlüpft, kommt ein Schwiegersohn zum Vorschein, wie ihn wohl viele Mädchen ihren Müttern wünschen möchten.

Und Henning Bormann als Prospero? Da tu ich mich schwer, den Neuen zu beurteilen. Dass er gleich beim ersten Auftritt die Souffleuse bemühen muss, macht voreingenommen. Aber dann zeichnet er einen Herrscher, indem er den alten Nimbus von „Shakespeares Superman“ (weise, gerecht, gütig) endgültig zerstört. Bei jedem neuen Auftritt drängen sich neue Adjektive auf: unbeholfen – blasiert – selbstgefällig – trottelig; dazu die, die man beim genauen Lesen des Textes bisher schon im Kopf hatte: herrschsüchtig, brutal, egoistisch … Selbst seine geliebte Tochter verschachert der ja nach dynastischen Gesichtspunkten.

Überzeugender Schluss

Der Detmolder Schluss ist die logische Folge dieser Charakterisierung. Ich habe mich gelegentlich schon gefragt, warum die (Vor-)Herrschaft dieses alten Ekels auch dann noch von allen akzeptiert und anerkannt wird, nachdem er auf seine Machtmittel, seine Zauberkunst, verzichtet hat. Jetzt, in dieser Inszenierung revoltiert ausgerechnet die Tochter als erste: sie schlägt eine Bresche in die Wand, die den Herrschaftsbereich Prosperos den ganzen Abend hermetisch abgeschlossen hatte. Dann macht sich einer nach der andern durch die geöffnete Mauer davon. Prospero bleibt als greinender Erich Mielke (für die Jüngeren: der Stasi-Minister der untergegangenen DDR) zurück:

 

„Ich liebe euch doch alle – Ich liebe doch alle Menschen“

 

Ein starker, ein überzeugender Schluss. (Nur – wie es eigentlich zu dieser plötzlichen Wende kam, das habe auch ich nicht so ganz kapiert.)

 

 

 

 

Landestheater Detmold:

 

Der Sturm

Schauspiel in fünf Akten von William Shakespeare

Übersetzung: Anna Cron

 

 

Regie:                                        Jan Steinbach

Ausstattung:                              Lisa Däßler

Dramaturgie:                              Lea Redlich

 

Prospero:                                  Henning Bormann

der rechtmäßige Herzog

von Mailand

Miranda:                                    Jorida Sorra

seine Tochter

Antonio:                                    Heiner Junghans

sein Bruder, der angemaßte

Herzog von Mailand

Ariel:                                          Alexandra Riemann

ein Luftgeist

Alonso:                                     Jürgen Roth

König von Neapel

Ferdinand:                                Anton Becker

sein Sohn

Sebastian:                                 Patrick Hellenbrand

sein Bruder

Gonzalo:                                   Emanuel Weber

ein ehrlicher Rat

Caliban                                      André Lassen

Sklave Prosperos

Trinculo                                     Ewa Noack

ein Spaßmacher

Stephano:                                  Adrian Thomser

ein betrunkener Diener

 

Fotos:   Landestheater Detmold Media Archiv

 

Premiere: 21.09.2018

 

Weitere Vorstellungen:

 

So.30. Sep 2018   14:15 Uhr    Detmold, Landestheater

So.07. Okt 2018   18:00 Uhr    Detmold, Landestheater

Mi.10. Okt 2018   15:00 Uhr   Detmold, Landestheater

                              19:30 Uhr   Detmold, Landestheater

Do.11. Okt 2018   19:30 Uhr   Detmold, Landestheater

Sa.27. Okt 2018   19:30 Uhr   Detmold, Landestheater

Fr.02. Nov 2018   19:30 Uhr   Detmold, Landestheater

Sa.03. Nov 2018   19:30 Uhr   Detmold, Landestheater

Di.13. Nov 2018   20:00 Uhr   Ratingen, Stadttheater

Do.20. Dez 2018   19:30 Uhr  Detmold, Landestheater

Mi.16. Jan 2019   19:30 Uhr   Detmold, Landestheater

Do.21. Mär 2019  19:30 Uhr   Witten, Städt. Saalbau

Mi.03. Apr 2019   20:00 Uhr   Versmold, Haupstschule