Der Zauber der Sprache

Eine Shakespeare-Wanderung durch den Detmolder Schlossgarten

Die Kraft der Phantasie

Ein Reich zur Bühne! … Diese Hahnengrube,

Fasst sie die Ebnen Frankreichs? Stopft man wohl

In dieses O von Holz die Helme nur,

Wovor bei Agincourt die Luft erbebt?

… lasst uns auf eure einbildsamen Kräfte wirken!

Denkt euch im Gürtel dieser Mauern nun

Zwei mächt'ge Monarchieen eingeschlossen,

… Ergänzt mit den Gedanken unsre Mängel,

Zerlegt in tausend Teile einen Mann

Und schaffet eingebild'te Heereskraft.

Denkt, wenn wir Pferde nennen, dass ihr sie

Den stolzen Huf seht in die Erde prägen.

Denn euer Sinn muss unsre Kön'ge schmücken …

 

Shakespeares Welten“ – das sind zunächst und vor allem die Welten der Phantasie! Phantasie des Autors, der Schauspieler und natürlich: Phantasie der Zuschauer, welche mit ihrer Gedankenkraft die Mängel der Bühnendarstellung überwinden, die in dem „O von Holz“, dem Bühnenrund, ganze Königreiche erkennen, und die mit ihrem Vorstellungssinn den einfachen Schauspieler zum König schmücken! Und wer könnte diese Phantasie besser beschreiben als der Meister selbst, wie hier im Prolog zu „Heinrich V.“? Wer wäre berechtigter, diese „einbildsamen Kräfte“ einzufordern, als der, der – bis heute, über vier Jahrhunderte hinweg – es wie kein zweiter versteht, diese Kräfte zu wecken?

 

Durchaus verständlich also, dass das Landestheater Detmold diesen Text über die Kraft der Phantasie ziemlich an den Anfang der mit „Shakespeares Welten“ überschriebenen „Wanderung durch die fürstlichen Gärten“ stellt, zu der es die Zuschauer anlässlich des „2. Schlossfestivals im Residenzschloss Detmold“ eingeladen hat.

 

 

„Shakespeares Welten“ = Gärten?

Oder sollte dieser Appell an die Phantasie etwa der Rechtfertigung dienen? Für den Zusammenhang, der – unterschwellig (?) – hergestellt wird zum Thema „Garten“? Da man anlässlich des „Schlossfestivals“ der Versuchung nicht widerstehen konnte, den sonst nicht öffentlichen Schlossgarten einem exklusiven Besucherkreis zugänglich zu machen (maximal 30 Teilnehmer bei jeder der sechs Führungen)? Die eine oder andere Teilnehmerin hat denn auch zugegeben: weniger Shakespeare habe sie gelockt, als die seltene Gelegenheit, einmal den Privatgarten der Schlossherrin (immerhin promovierte Biologin) zu bewundern.  

 

Aber: „Shakespeares Welten“ = Gärten? Gewiss nicht! Gärten – im Sinne von ordentlich gepflegten Grünanlagen – waren nun wahrlich nicht Sache des ungebärdigen Theatergenies! So wirken denn die wenigen Texte, die sich wirklich auf einen Garten beziehen, ziemlich gesucht:

 

Die Szene II-2 von „Romeo und Julia“ spielt tatsächlich „in Capulets Garten“ (wobei umstritten ist, ob die Ortsangabe von Shakespeare stammt oder einem späteren Herausgeber), aber auch dort schwärmt der schwärmerische Held weder von Blumenrabatten noch von Rosensträuchern, sondern – natürlich! – von „meiner Göttin! meiner Liebe!“:

 

wären ihre Augen dort, die Sterne

In ihrem Antlitz? Würde nicht der Glanz

Von ihren Wangen jene so beschämen,

Wie Sonnenlicht die Lampe? Würd' ihr Aug'

Aus luft'gen Höh'n sich nicht so hell ergießen,

Daß Vögel sängen, froh den Tag zu grüßen?

Oh, wie sie auf die Hand die Wange lehnt!

Wär' ich der Handschuh doch auf dieser Hand,

Und küßte diese Wange!

 

Dass sich die finale Szene dieser Liebestragödie auf einem Friedhof („also in einem Garten“) abspielt …. Nun ja …

 

Und lediglich als Metapher dient der Garten in „Othello“ (I-3), wenn Jago sein Credo verkündet:

Tugend! Abgeschmackt! – In uns selber liegt's, ob wir so sind, oder anders. Unser Körper ist ein Garten, und unser Wille der Gärtner, so daß, ob wir Nesseln drin pflanzen wollen oder Salat bauen, Ysop aufziehn oder Thymian ausjäten, ihn daürftig mit einerlei Kraut besetzen oder mit mancherlei Gewächs aussaugen, ihn müßig verwildern lassen oder fleißig in Zucht halten, – ei, das Vermögen dazu … liegt durchaus in unserm freien Willen. … wir haben die Vernunft, um die tobenden Leidenschaften, die fleischlichen Triebe, die zügellosen Lüste zu kühlen, und daraus schließe ich: was du Liebe nennst, sei ein Pfropfreis, ein Ableger.

 

Schauplätze für Schurken, Hexen und Kobolde

Natürlich stimmt es, was im Programm steht: „Flora und Fauna sind aus Shakespeares Werken nicht wegzudenken“. Aber es sind eben nicht die wohlbestellten, kultivierten Gärten, sondern es sind die ungezähmten, die wilden, ja die abgründigen Biotope, in denen Shakespeare seine Dramen ansiedelt, die der Dichter zum Schauplatz für seine „Schurken, Hexen und Kobolde“ macht:

 

Da ist die Heide, die passende Umgebung für Lears Wahnsinn, die Heimat von Macbeths Hexen und Lebensraum für die faunistischen Zutaten zu deren gräulichem Gebräu:

Um den Kessel dreht euch rund,      

Werft das Gift in seinen Schlund.

Kröte, die im kalten Stein‘

Tag‘ und Nächte, dreimal neun,

Zähen Schleim im Schlaf gegoren,

Sollst zuerst im Kessel schmoren! …

Sumpf’ger Schlange Schweif und Kopf

Brat und koch im Zaubertopf;

Molchesaug und Unkenzehe,

Hundemaul und Hirn der Krähe;

Zäher Saft des Bilsenkrauts,

Eidechsbein und Flaum vom Kauz …

Wolfeszahn und Kamm des Drachen …

 

zeitgenössische Begleitmusik: Hermann Hickethier auf der Gambe

 

Und da ist der Wald, den Shakespeare immer wieder gerne auf die Bühne beschwört: mal als Liebeslabyrinth, wie der Wald von Arden als Zufluchtsort für (politische / verliebte) Flüchtlinge, mal als existentielle Bedrohung, wie „der große Birnams-Wald“, der sich von seinen Wurzeln löst, um Macbeth zu vernichten …

 

Aber schließlich ist die Frage nach „Wald oder Garten“ müßig. Es ist völlig egal, dass der im 16. Jahrhundert angelegte Detmolder Garten „aus der Zeit Shakespeares“ stammt. Wenn die „einbildsamen Kräfte“ des Publikums in „dieser Hahnengrube“, der Shakespare-Bühne, „die Ebnen Frankreichs“ zu erkennen vermögen – wie sollten sie dann nicht fähig sein, sich im Detmolder Schlossgarten wie im Zauberwald des Sommernachtstraums zu fühlen?!

 

 

Sprache pur!

Sicherlich ließ sich die eine Besucherin, der andere Besucher von der Anlage der „fürstlichen Gärten“ bezaubern. Was in jedem Fall bezaubert hat: die Sprache Shakespeares, diese Sprache, die über die Jahrhunderte nichts von ihrer Kraft, von ihrem Reichtum, von ihrem Zauber verloren hat. Gerade bei dieser Wanderung, wo nur einzelne Ausschnitte aus dem immensen Werk zu Gehör gebracht wurden, konnte diese Sprache wirken, konnte man sich ganz auf diese Sprache konzentrieren. Während die Aufmerksamkeit bei einer „normalen“ Shakespeare-Aufführung sich doch in erster Linie auf das dramatische Geschehen richtet, hat man hier das Erlebnis von „Sprache pur“. Das schließt nicht aus, dass zwischendurch Hermann Hickethier mit zeitgenössischen Melodien auf der Gambe erfreute.

 

Natürlich hängt die Wirkung von Sprache immer auch von der Übersetzung ab. Dass hier die – heutzutage nicht ganz zu Unrecht als gar zu „romantisierend“ kritisierte -  Version von Schlegel-Tieck gewählt wurde – zumindest das passt nun tatsächlich hervorragend mit dem Garten-Ambiente zusammen.

 

Die Sprecher-in

Lukas Schrenk, Markus Hottgenroth, Marie Luisa Kerkhoff

 

Und natürlich hängt die Wirkung von Sprache auch immer von den Sprechern ab. Mit der Wahl von Markus Hottgenroth, Marie Luisa Kerkhoff und Lukas Schrenk hat das Landestheater auch hier für ein Optimum gesorgt!

 

Zettels (Rollen-)Traum

“Lasst mich auch den Löwen spielen“ – Markus Hottgenroth (Mitte) als rollengeiler Zettel (Sommernachtstraum)

...

Und zum Schluss konnten die drei tatsächlich auch noch als Schauspieler, nicht „nur“ als Rezitatoren glänzen: In einer Szene aus dem Zauberwald des Sommernachtstraums, einem Höhepunkt Shakespearescher Komik: dem ersten Treffen der Handwerker zur Vorbereitung ihres grotesken Theaterspiels.

 

Da hätte es schließlich der Schlussworte Pucks aus eben diesem Stück (hier in Erich Frieds Übersetzung) gar nicht mehr bedurft, um begeisterten Applaus auszulösen:

 

„Nun gut Nacht! – Doch haltet ein:

Klatscht erst Beifall unserm Stück!

Dann bringt Puck euch nichts als Glück.“