Der jüngste Band in alter Frische:

„Asterix und der Greif“

Lateinlehrer „Asterix“

Soll keiner sagen, „Asterix“ fördere nicht die Bildung: Wie oft werden wir Alten bei der Lektüre an den gerne verdrängten Lateinunterricht erinnert: durch alltags-übliche Cäsar-Sprüche (von „Alea iacta est“ bis „Veni, vidi, vici“; beide mindestens ein Dutzendmal in diversen Bänden), aber auch durch entlegenere Zitate von Vergil („Timeo Danaos et dona ferentes“) oder Ovid („Video meliora proboque deteriora sequor“), wobei manche Verfremdung für zusätzlichen Spaß sorgt, etwa „veni, vino, violi“ (was der deutsche Bearbeiter mit „Ich kam, ich trank, ich baute einen Unfall“ übersetzt hat; richtiger – und passender! – wäre: „Ich kam, trank und prügelte“).

 

Und gar unsere Jugend, die ja quasi zweisprachig-deutsch-englisch aufwächst. Wie wollte die sich einen lateinischen Zitatenschatz erwerben, wäre da nicht „Asterix“ mit seinen mal reaktionär-martialischen („Dulce und decorum est pro patria mori“), mal frechen Sprüchen, wie dem (geradezu leitmotivischen) „delirant isti Romani“ (allerdings zumeist in unseren heutigen Sprachen: „Ils sont fous, ces Romains à Die spinnen, die Römer“). Gut 100 lateinische Wendungen und Sprichwörter (viele davon wieder und wieder wiederholt) listet eine Asterix-Fan-Seite auf (www.comedix.de/lexikon/zitate ) - welch sprudelnde Quelle einer soliden lateinischen Halb-Bildung!

 

Wie enttäuscht wird da der Lateinlehrer sein, wenn der neue Asterix seinen Schülerinnen gerade mal zu einer einzigen neuen Vokabel und zwei Sprüchen verhilft, darunter „Omnia flumina Romam ducunt“ („alle Flüsse führen nach Rom“); außerdem „Venator“, was dazuhin nicht ganz korrekt übersetzt wird mit „auf Tierkämpfe spezialisierter Gladiator“; der hieß in Rom jedoch „Bestiarius“, wohingegen der Venator eher der Jäger war, der die wilden Tiere besorgte – je exotischer desto lieber.

Band 39: „Asterix und der Greif“

Und eben damit sind wir nun beim Inhalt des Asterix-Bandes 39: Cäsar wünscht eine neue Attraktion für seine Zirkusspiele, und da kommt der Geograf Globulus gerade recht mit seinem Bericht von dem furchterregenden „Greif! Halb Adler, halb Löwe mit Pferdeohren!“ Eine Kolonne kampferprobter Legionäre wird losgeschickt, geführt vom Zenturio Brudercus, dem Geografen Globulus und einem Venator mit dem passenden (?)  Namen Ausdiemaus. Ihr Ziel: das Land der Sarmaten, das irgendwo in Barbaricum liegt, also irgendwo im Osten, jenseits der römischen, sprich: der zivilisierten Welt.

 

Ihr Auftrag: Einen lebenden Greif nach Rom zu holen. Das Problem: Der Greif ist den Sarmaten heilig, sein Aufenthaltsort nur dem Schamanen bekannt. Und dieser Schamane bittet auf magische Weise seinen Freund und Kollegen, den Druiden Miraculix um Beistand gegen die römischen Eindringlinge und Greif-Räuber. Keine Frage, dass der sich sogleich auf den Weg macht, begleitet vom unvermeidlichen Kleeblatt Asterix – Obelix – Idefix. Und keine Frage, dass zum Schluss die Römer vernichtend geschlagen sind, dass Cäsar keinen Greif bekommt, sondern ersatzweise eine Giraffe in die Arena schicken muss, und dass ganz am Ende das übliche Gelage im gallischen Dorf zelebriert wird.   

 

Der neue „Asterix“ – ganz der alte?

Die Väter von „Asterix“ waren bekanntlich René Goscinny (Autor) und Albert Uderzo (Zeichner), die – nach kleineren Vorläufern – 1961 den ersten Band („Astérix le Gaulois“; 1968 auf Deutsch: „Asterix der Gallier“) veröffentlichten. Nach dem Tod von Goscinny (1977) setzte Uderzo die Reihe allein fort (Bände 25 – 34) und übergab die Aufgabe 2013 an Didier Conrad (Zeichnungen) und Jean-Yves Ferri (Text). 

 

Astérix-Fans vermissten nach Goscinnys Tod dessen satirischen Humor und anspielungsreichen Wortwitz, doch in den letzten Jahren darf man ein Wiederaufleben der alten Qualität konstatieren. (In den deutschen Ausgaben waren die Unterschiede in der humoristisch-literarischen Qualität weniger auffällig, da die Texte mit ihren zahlreichen sprachlichen, historischen, kulturellen … Anspielungen ohnehin recht frei übertragen werden mussten.)

 

Wie auch immer: „Asterix und der Greif“ braucht den Vergleich mit den besten Geschichten der Reihe nicht zu scheuen. Wobei der neue Band in Einigem gravierend von alt- und wohlbekannten Traditionen abweicht!

 

Kühne Neuerungen neben Altbewährtem

Klar: Auch in „Asterix und der Greif“ gibt’s die liebevoll gezeichneten Bilder mit vielen Details, die sich oft erst bei genauerem Hinsehen erschließen; es gibt die üblichen absurd-witzigen Personennamen (der Koch Ötküsine, der Forscher Rigoros von Migraene, die Legionäre Dienstschlus, Regengus, Sagleiseservus …; die Amazonen Primadowna, Supernova …).

 

 

 

Natürlich gibt’s wieder aktuelle Anspielungen: Ein Legionär namens Fake-njus verbreitet die eine oder andere Verschwörungs(?)theorie. Und die Halstücher, die plötzlich alle tragen – sollen die vor der Kälte schützen oder sind es womöglich runtergerutschte Gesichtsmasken? Schließlich, ganz klar: Auch hier ist Obelix der stärkste Mann der Welt, da er ja bekanntlich als Kind in den Zaubertrank gefallen war.

 

Stichwort Zaubertrank: Hier geht’s schon los, mit den Besonderheiten, denn diesmal müssen unsere Helden – zum ersten Mal nach 38 Bänden – ihre Kämpfe ohne dieses hochwirksame Doping bestehen. Zwar hat der Druide wie immer vor der Abreise noch einen ordentlichen Vorrat gebraut, doch in der eisigen Steppe des Ostens gefriert der Trank und wird damit unwirksam. Wenigstens kommen die Adepten, die seit Jahren sämtliche Asterix-Bände akribisch nach Hinweisen auf die Zaubertrank-Rezeptur durchforschen, hier einen guten Schritt weiter.

 

Was den andern der Zaubertrank sind für Obelix die Wildschweine – aber auch die gibt’s bei den Sarmaten nicht; Obelix kann allenfalls mal kurz davon träumen und wird im Übrigen mit Gemüsesuppe abgespeist!

 

Ebenfalls unerhört: Das gallische Dorf kommt nicht vor (außer im obligatorischen Schlussbild). Die Geschichte beginnt bei Cäsar in Rom; das wäre noch nicht außergewöhnlich, doch unsere gallischen Helden starten ihre Reise nicht wie üblich im Dorf; vielmehr stoßen wir erst kurz vor ihrem Ziel, mitten in der östlichen Steppe auf das ziemlich durchgefrorene Quartett.

 

Allerdings: Bereits im Sommer 2021 wurden unter dem Titel „Die große Reise“ einige kleine Szenen veröffentlicht, welche die Vorgeschichte erzählen, insbesondere, auf welch wundersamem Weg der sarmatische Schamane Terrine seinen Druidenfreund Miraculix gerufen hat. (Zu finden etwa hier: www.comedix.de/medien/lit/hefte/asterix_und_der_greif.php )

 

In Band 39 jedoch: kein Majestix, kein Troubadix, kein Methusalix. Lediglich die Piraten haben einen kurzen Gastauftritt in einem Bild: chillend genießen sie offensichtlich, dass ihre Dauergegner weit weg von jeglicher Küste beschäftigt sind: „Carpe diem“.

 

Erotik & Brutalität

Zugegeben: Obelix war schon gelegentlich mal verliebt. Doch das waren eher pubertäre Regungen, die zugunsten einer ordentlichen Römer-Prügelei schnell wieder vergessen waren. Diesmal scheint’s fast, als wäre sein Schwärmen für die attraktive Amazone Casanova ernster (wenn auch kaum zukunftsträchtiger). –

Überhaupt die Amazonen (= die weiblichen Sarmaten, welche das Kriegshandwerk für sich beanspruchen und ihre Männer an den Herd geschickt haben)! In den bisherigen Asterix-Geschichten waren ja Frauen eher vom matronenhaften, mütterlichen Typ (frühe Ausnahme: die gutgebaute junge Frau des uralten Methusalix). Bekam wirklich mal eine Schönheit eine Hauptrolle, dann waren das puppenhaft-brave, fast schon aseptische Figuren (Falbala, Latraviata). Doch neuerdings tauchen in den Asterixheften schon mal (wenn der Begriff in Zeiten von „MeToo“ noch zulässig ist) Sexbomben mit erotischer Ausstrahlung auf. Schon in Band 37 (der Italien-Rundfahrt) gingen zwei afrikanische Rennfahrerinnen an den Start, die Obelix (durchaus nachvollziehbar) „kuschelig“ fand. Und nun also die Amazonen: Zwar nicht alle mit Model-Figuren (aber wer steht schon auf Bohnenstangen?!), jedoch durchweg ansehnlich, so manche ausgesprochen sexy (neben Obelix‘ Favoritin Casanova vor allem Kalaschnikowa, die Geisel der Römer, welche bei diesen schon mal schwüle Männerträume auslöst: „Mit der Gefangenen in der Arrestzelle?“). – Und selbst Cäsar gibt seine Befehle von einem Lotterbett aus, während er sich von zwei Gespielinnen unterhalten lässt.

 

 

 

Ist die Erotik ziemlich neu im Asterix-Universum, so ist es erst recht die Brutalität. Aus all den Prügeleien gingen die Römer bisher immer mit leichten Blessuren hervor: blaue Augen, Beulen, Verstauchungen; war überhaupt mal ein gebrochener Arm dabei?). – Jetzt jedoch gibt es Tote; man darf sogar vermuten, dass keiner der Römer die Expedition überlebt, außer einem einsamen Wachtposten und – vielleicht - den drei Führungskräften (natürlich! Wer denn sonst?). Die andern werden von einem eisigen Wildbach fortgespült oder von gefräßigen Wölfen gehetzt. Auch wenn das Sterben selbst nicht gezeigt wird, so machen verschiedene Äußerungen doch klar, dass „die Mannschaft reduziert“ ist, dass es „nur noch halb so viele Legionäre“ sind und dass von den Verfolgern Kalaschnikowas „keiner zurückgekehrt“ ist, dass die Amazone ihre Gegner also wohl in Partisanen-Manier erledigt hat.

 

Und die Bildung?

Als Grundkurs Latein eignet sich dieser Asterix-Band also nicht. Aber auch er mag für die Weiterbildung breiter Volksschichten taugen. Oder wie genau wussten Sie vorher über die Amazonen Bescheid? Oder haben Sie jemals von den Sarmaten gehört? So ganz viel werden Sie hier darüber auch nicht erfahren; immerhin gibt es auf der offiziellen Asterix-Webseite eine Karte, die sehr viel informativer ist als die doch recht pauschale „Barbaricum“-Karte im Heft selber. 

 

Und womöglich wird ja der eine oder die andere Bildungsbeflissene angeregt, bei Wikipedia unter „Sarmaten“ oder „Amazonen“ nachzuschauen; dort wird man ausführlich informiert und erfährt auch, dass – wie nicht immer, aber doch oft bei Asterix – viele Details „historisch richtig“ sind, beispielsweise die „hohe Stellung sowie kämpferischen Ausstattung von Frauen in der sarmatischen Gesellschaft“. Übrigens: Was es mit dem „Greif“ auf sich hat, erfahren die überraschten Besucher aus dem Westen gegen Ende des Heftes. Wer von den Lesern schon mal den Wikipedia-Artikel konsultiert hat, wird nicht ganz so überrascht sein.

 

Irgendwann darf auch Obelix seine Bildung an den Ma … also: an die Frau bringen: Als Asterix den Amazonen von einem „Ultimatum“ berichtet, verkündet Obelix: „Könnt ihr nicht verstehen. Das ist Latein!

 

für die Bildungsbeflissenen: