Zwischen Enthusiasmus und Wahnsinn

Ein Gespräch mit Frank Wiemann von "Stattgespräch" Lemgo

 

Herr Wieman, was macht Ihnen eigentlich mehr Spaß:

 

  • als Standesbeamter für zwei hoffnungsfrohe junge Leute den sogenannten „Bund für’s Leben“ zu schließen und ihnen womöglich noch in einer netten Ansprache einige Weisheiten über Treue, Glück und Liebe mit auf den Weg zu geben –

oder

 

  • als Theaterregisseur ein Ehepaar aufeinander zu hetzen, das seit 20 Jahren verheiratet ist, wo jeder alle Nickeligkeiten des andern bis zur Erschöpfung kennt, wo man sich im besten Fall aneinander langweilt, im schlimmeren – theatralischeren – Fall das Leben zur Hölle macht?

 

 Ganz ehrlich: beides! Natürlich ist Regiearbeit meine Leidenschaft; aber auchTrauungen machen viel Spaß, gerade auch die – wie Sie’s nennen – „netten Ansprachen“. Denn wie Sie sich denken können: auch bei der Gelegenheit kann ich meinne Klappe nicht halten.

 

 

Um den Hintergrund dieser Frage zu erläutern: Für viele sind Sie die gute Seele der Theatergruppe „Stattgespräch“ – darauf werden wir noch zu sprechen kommen. Zunächst nur so viel: in ihrer letzten Regiearbeit haben Sie Albees „Amerikanischen Traum“ inszeniert, in dessen Zentrum eben ein solches in die Jahre gekommenes Ehepaar steht (wenn auch nicht in so extremer Form wie in „Wer hat Angst vor Virginia Woolfe“ desselben Autors). - Daneben haben Sie aber auch einen „bürgerlichen Beruf“ und arbeiten acht Stunden pro Tag im Sozialamt der Stadt Lemgo. Und seit einiger Zeit sind Sie auch Standesbeamter, dürfen also tatsächlich junge Paare trauen. Wie viele haben Sie denn schon ins Eheleben hinaus geschickt?

 

Einige Dutzend waren’s schon, in den paar Monaten, seit ich diese zusätzliche Aufgabe übernommen habe.

 

Und – hätten Sie Lust, die eine oder andere dieser Ehen mitzuverfolgen und daraus vielleicht mal ein Theaterstück zu machen.

 

Das verhindert schon der Datenschutz.

 

Wie kommt man eigentlich als Sozialarbeiter dazu, ein Theater zu gründen und zu betreiben?

 

Während meiner Verwaltungsausbildung in Hamburg bin ich – über einen Aushang am Schwarzen Brett – zu einer Gruppe gestoßen, die politisches Kabarett machte. Bei einer der Vorstellungen wurde ich „entdeckt“ und eingeladen, in einem kleinen Hamburger Privattheater mitzuspielen. Als ich dann meine Stelle in Lemgo antrat, war ich bereits so süchtig, dass ich das Theaterspielen nicht mehr lassen konnte. In den ersten Wochen bin ich noch regelmäßig für meine Rolle in „Arsen und Spitzenhäubchen“ nach Hamburg gefahren. Als das Stück abgespielt war, habe ich mich hier umgesehen – war als Komparse an den Theatern Bielefeld und Detmold, habe auf der Freilichtbühne Bellenberg zahlreiche Rollen gespielt und in der Lemgoer Theatergesellschaft mitgemacht.

 

Irgendwann habe ich dann gemerkt: Wenn ich alle meine Vorstellungen verwirklichen will, dann muss ich mein eigenes Theater gründen.

 

Damit fing's an: "Doppelfehler" (1996)

Was Sie dann auch gemacht haben. Im Herbst 1996 kam Ihre erste Komödie heraus: „Doppelfehler“ von Barry Creyton. Und seither gibt’s zuverlässig jedes Frühjahr und jeden Herbst ein neues Stück. Dazuhin noch Kinderstücke und Sonderveranstaltungen. Wobei die alten Produktionen auch noch weiterlaufen, so dass Sie immer mindestens fünf, sechs Stücke auf dem Spielplan haben – die leichte Boulevard-Komödie, aber oft eben auch sehr anspruchsvolle Stücke; ich habe da beispielsweise in guter Erinnerung: Mitterers „Sibirien“, Hares „Blue Room“, „Endlich allein“ von Uli Brée, Düffels Adaption von Shakespeares „Richard III.“ oder die frühen Stücke Albees wie gerade eben sehr erfolgreich den „amerikanischen Traum“.

 

Und dabei machen Sie ja wirklich alles: Sie nennen sich zwar nicht so, aber im Grunde sind Sie Intendant; Sie führen in schätzungsweise 80 % der Fälle Regie, etwa ebenso oft spielen Sie selbst mit, meist in tragenden Rollen, außerdem machen Sie mal das Bühnenbild, die Pressearbeit, und vor und nach der Vorstellung stehen Sie hinter der Theke und versorgen das Publikum mit Getränken. Und das neben Hauptberuf und Familie. Wie kriegt man das hin?

 

Ach Gott, Woody Allen pflegt auf solche Fragen zu antworten: „Wenn man‘s kann, ist‘s gar nicht so schwer“. Wenn ich mich mit einem Stück beschäftige, habe ich ziemlich schnell eine Vorstellung davon, wie das auf der Bühne aussehen soll – ja, und dann muss ich’s nur noch umsetzen, entweder als Schauspieler oder als Regisseur.

 

„Nur noch umsetzen“ – schön gesagt.

 

Na ja, natürlich müssen dann noch viele andere mitmachen. Allen voran die Darsteller, denen ich viel abverlange. Ich bin ein autoritärer Regisseur, der klare Vorgaben macht.

 

Das ist ja vielleicht das Wichtigste an Ihrer Arbeit: Sie motivieren viele Menschen zum Mitmachen. Wie gelingt das?

 

Ach, das sind auch alles Enthusiasten. Entweder von vornherein; oder sie lassen sich von unserem Enthusiasmus anstecken.

 

Bei allem Enthusiasmus, bei all der Mitarbeit vieler unterschiedlicher Menschen: Theatermachen kostet auch Geld. Die öffentlichen Theater werden subventioniert und klagen doch dauernd über Finanzprobleme. Wie ist das bei Ihnen?

 

Tja, die Finanzknappheit ist natürlich auch für uns ein Dauerthema. Es stimmt schon: wir bekommen keine öffentlichen Subventionen; selbst für unsere Spielstätte zahlen wir ordentlich Miete an die Stadt. Sehr dankbar sind wir unseren Sponsoren, allen voran die Stadtwerke und die Landesbrand. Wobei, wenn wir von Sponsorenmitteln sprechen, die Beträge natürlich um kräftige Größenordnungen unter denen liegen, über die etwa der TBV verfügt. Wir freuen uns auch über jeden, der in unseren Programmheften inseriert, oder über Lemgoer Firmen, die uns Requisiten kostenlos zur Verfügung stellen. Aber im Grunde müssen wir schon von den Eintrittsgeldern leben. Und da scheint die Finanzkrise die Sparsamkeit zu fördern ... Deshalb: Eine Produktion mit aufwändigem Bühnenbild kann uns ganz schön zu schaffen machen.

 

Ganz ehrlich: wie oft haben Sie schon daran gedacht, alles hinzuschmeißen – oder zumindest geordnet auszusteigen?

 

Na ja, so ungefähr einmal pro Jahr schon. Aber dann macht man doch weiter. Und zwar gerne! Ich hab‘ mir allerdings vorgenommen: Nach 20 Jahren ist Schluss!

 

Das wäre ja schon in vier Jahren???!!!

 

kongeniale Partner: Markus Mogwitz und Frank Wiemann (als Gangster in v. Düfels "Shakespeare, Mörder, Pulp & Fiction")

Ja, und dabei bleibts auch – aber natürlich bin ich da nur so strikt, weil die Nachfolge geklärt ist. Markus Mogwitz ...

 

... schon heute eine der Stützen des Ensembles und in vielen Produktionen Ihr idealer Partner oder auch Widerpart ...

 

... wird es dann übernehmen. Und ich werde dann einfach nur noch spielen.

 

Na dann: Toi toi toi!

 

So – jetzt folgt noch ein Fragebogen, mit dessen Hilfe wir Sie als Person noch etwas „enthüllen“ wollen:

 

Ihr Künstlername:   gibt’s nicht

 

Alter: 48

 

Instutition: Freie Theatergruppe „Stattgespräch“, Lemgo

 

Ihre Funktion: Intendant, Regisseur, Darsteller, Bühnenbildner, Mädchen für alles

 

seit: 16 Jahren

 

aktuelle Aufgabe: die Inszenierung unserer nächsten Produktion: „Imago“ – ein ziemlich brisantes Stück von Ulrich Hub (Premiere am 8. März 2013)

 

Ein paar Vorlieben:

 

Bier oder Wein:   Wein

Kaffee oder Tee:   Kaffee

Großstadt oder Land:   Großstadt

Porsche oder Fahrrad:   Porsche

Regionale oder inter­nationale Küche:   international

Tatort oder Pilcher:   Tatort

 

 

Ihre erste Begegnung mit dem Theater:

 

Als Kind: Peterchens Mondfahrt; später durfte ich immer mit meiner Oma „Ohnsorgtheater“ im Fernsehen gucken

 

Ausbildung/Beruf außerhalb des Theaters:

Zunächst Bäckerlehre, später Verwaltungslehre; jetzt Verwaltungsangestellter bei der Stadt Lemgo

 

Theater-Ausbildung:   da bin ich so reingewachsen

 

erste eigene Theater-Arbeit: politisches Kabarett in Hamburg

 

Ihr größter Erfolg:   Unsere Inszenierung „Mondlicht & Magnolien“

 

Ihre größte Niederlage:   Unsere Inszenierung „Pinguine können keinen Käsekuchen backen“ – ein wunderbar revolutionäres Kinderstück, das aber bei unserem Publikum nicht ankam

 

Lieblingsrolle: Richard Endlich in "Endlich allein"

Ihre liebste Rolle: Richard Endlich in „Endlich allein“

 

Ihre liebste Regiearbeit:   eigentlich alles

 

Ihr liebster Film:   Der 3. Mann

 

Ihr liebster Roman: „Mephisto“ von Klaus Mann

 

Ihr liebstes Gedicht: Fontanes „John Maynard“

 

Lieblings-Musik: klassisch

 

Ihr liebster bildender Künstler: das Multitalent Jean Cocteau; Edward Hopper

 

Ihr liebster Theater-Autor:   Shakespeare

 

Ihr liebstes Stück: Othello

 

Die anrührendste Frauenrolle: Die Vera in „Asche und Aquavit“ von Bengt Ahlfors

 

Die schurkischste Männerrolle: Arturo Ui

 

Ihre Traumrolle/ -inszenierung:   Arturo Ui

 

Welchen Schauspieler / welche Schauspielerin / welchen Regisseur würden Sie gern mal bei „Stattgespräch“ einsetzen?

Ulrich Tukur / Susanne Lothar (sie ist zwar leider schon tot – aber die Frage ist ja ohnehin fiktiv) / Peter Zadek

 

Ihr schönstes Theater-Erlebnis der letzten 12 Monate: „Der Kirschgarten“ am Hamburger Thalia

 

Das größte Theater-Ärgernis der letzten 12 Monate: Das Kinderstück „Kakao-Kuh“ am Landedstheater Detmold

 

Ihr Hobby außerhalb des Theaters?   Mein Hobby „Theater“ reicht ja wohl

 

Was wollen Sie unbedingt noch loswerden?

Danke an unser Publikum für die Treue, die es uns seit Jahren bewahrt und dabei auch für unsere Experimente offen ist. – Danke an unser Ensemble und alle Mitwirkenden, dass sie diesen Wahnsinn immer noch mitmachen