Vom Theologie-Studenten zum Teufels-Darsteller:
Ein Gespräch mit dem Schauspieler Markus Hottgenroth (Landestheater Detmold)
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G.WaSa (WS): Dein Künstlername:
Markus Hottgenroth (MH): Hab‘ ich nicht.
WS: geboren:
MH: 1970 in Goch am Niederrhein
WS: aufgewachsen in:
MH: Kleve am Niederrhein
WS: das ist ja interessant – unser letztes Gespräch haben wir mit Michael Heicks geführt, dem Intendanten des Theaters Bielefeld; und er kommt auch vom Niederrhein und hat uns von der „reichen Kulturlandschaft“ dort vorgeschwärmt – mit Xanten, Beuys, Schloss Moyland, dem Haus Kuckuck und so weiter
MH: Ja – das kann ich nur bestätigen. Meine Familie war nicht unbedingt in Künstlerkreisen zu Hause – und doch gab es interessante Kontakte: zum Museum Kuckuck gehört das Restaurant Kuckuck, und der Wirt dort war bis vor wenigen Jahren mein Großvater; und meine Großmutter ist mit Josef Beuys zur Schule gegangen ....
WS: Dein derzeitiger Arbeitsplatz:
MH: Landestheater Detmold
WS: Deine Funktion:
MH: Schauspieler
WS: seit:
MH: 1998
WS: Die wichtigste aktuelle Herausforderung:
MH: Die schönste Herausforderung am Theater ist für mich immer das Neue. Man muss sich dauernd darauf einstellen, dass etwas Neues kommt: neue Ensemblemitglieder, ein neuer Intendant, eine neue Schauspielleitung. Und dazu immer wieder Gast-Regisseure ... auch dadurch bleibt Theaterarbeit immer interessant.
WS: Ein paar Vorlieben: Bier oder Wein: MH: Wein
WS: Kaffee oder Tee: MH: Kaffee
WS: Großstadt oder Land: MH: Großstadt
WS: Porsche oder Fahrrad: MH: Porsche
WS: Regionale oder internationale Küche: MH: international
WS: Tatort oder Pilcher: MH: Tatort
WS: Deine erste Begegnung mit der Bühne:
MH: Als Kind: das Weihnachtsmärchen; als Schüler die „Iphigenie“ am Theater Krefeld – ich war begeistert; das hat einen bleibenden Eindruck von Theater bei mir hinterlassen.
WS: Aber trotzdem hast du damals nicht gleich eine Theaterkarriere angestrebt. Zunächst einmal kam das Studium der katholischen Theologie an der Universität Bonn!
MH: Ja. Das hat sich quasi automatisch so ergeben. Ich war im katholischen Internat, das seine Schüler mehr oder weniger auf die Priesterlaufbahn vorbereitet hat. Und ich habe dann vier Jahre lang Theologie studiert, die ersten niederen Weihen erhalten und war dann auch als eine Art Pfarr-Praktikant in einer Gemeinde tätig.
WS: Und wie wird man dann plötzlich Schauspieler?
MH: So ganz plötzlich war das nicht. Wie gesagt: die Begeisterung war ja schon da, spätestens seit der „Iphigenie“. Und während des – doch recht verkopften – Studiums habe ich dann – „zum Ausgleich“ – an Theater-Workshops teilgenommen. Und der Dozent hat mich ermuntert, mehr daraus zu machen. Und dann habe ich irgendwann gemerkt: Pfarrer ist doch nicht das Richtige für mich. Da steht man vorne und wird in erster Linie als Amtsträger wahrgenommen und weniger als Mensch.
WS: Ist das nicht beim Schauspieler genauso?
MH: Nein, eben nicht. Da weiß jeder: da vorne steht einer und spielt.
WS: Aber die Aufgabe des Priesterberufes war kein Bruch mit der Kirche?
MH: Nein – auf gar keinen Fall! Bis heute könnte ich mir nicht vorstellen, auszutreten. Dazu bin ich viel zu sehr katholisch sozialisiert. Ich habe auch immer noch viele gute Freunde aus dem katholischen Bereich.
WS: Und der Schauspielerei hat’s nicht geschadet. Einige deiner – wie ich finde – eindrucksvollsten Rollen haben einen religiösen Hintergrund. Ich erinnere mich bis heute gut an einen deiner ersten Detmolder Auftritte: als Judas in Walter Jens‘ Ein-Personen-Stück. Und der Spitta in den „Ratten“ war ja geradezu eine biografische Rolle für dich. Und zur Zeit natürlich der „Jedermann“. – Aber bleiben wir zunächst noch bei deinen Anfängen: du hast dann an der Schauspielschule Krauss in Wien eine Theater-Ausbildung gemacht.
MH: Ja. Damals musste es unbedingt Wien sein. Ich glaubte, die Wiener hätten ein ganz besonderes Verhältnis zum Theater. Haben sie auch, wenn vielleicht auch nicht ganz so, wie ich’s mir ursprünglich erträumte ...
WS: Verstehe ich ... wenn ich etwa an das Verhältnis der Wiener Theater-Hautevolee zu Peymann an der Burg denke ...
MH: Ja – heute sehe ich das auch ganz anders ...
WS: Und wie ging’s dann weiter?
MH: Zunächst noch in Wien: im Bernhard Ensemble, einer freien Bühne, die von der Autorin Grischka Voss (einer Tochter Gert Voss‘) geleitet wurde und beispielsweise 2001 den angesehenen Nestroypreis bekommen hat. Später Tournee-Theater.
WS: Und was war deine erste Rolle:
MH: Ach, das war noch vorher, in der Schule. Da habe ich in einer Schultheateraufführung einen fiesen Lehrer verkörpert.
WS: Nicht deine letzte fiese Rolle! Nimm mir’s nicht übel – aber ich habe den Eindruck, in solchen fiesen Rollen läufst du immer zu großer Form auf. Jago, Wurm, der Alex in „Clockwork Orange“ und so weiter ... Dabei gibst du dich im persönlichen Umgang doch als der nette Kerl ...
MH (lacht): Das bin ich doch hoffentlich auch! Aber es stimmt schon: ich mag die abgründigen Rollen, das Merkwürdige, das „Angeschrägte“. Aber ich glaube, das gilt für die meisten Schauspieler. Solche Rollen sind einfach ergiebiger.
WS: Aber bei dir habe ich darüber hinaus das Gefühl, dass du ganz gerne auch – ich sag mal: - „neutralen“ Rollen so ein bisschen Fiesigkeit mitgibst. Ich erinnere mich etwa an den Figaro in Horvaths „Figaro lässt sich scheiden“ oder ganz aktuell an den Matti im „Puntila“. Dieser Matti setzt sich schon äußerlich ab: als der einzig „korrekt gekleidete“, ja overdressede inmitten all dieser grotesken Commedia dell’arte-Figuren. Und vor allem ist dieser Matti nicht der brave Proletarier, sondern, wenn man genau hinsieht, derjenige, der sich gekonnt durchlaviert, seine Interessen verfolgt und die andern ganz schön manipuliert.
MH: Na ja, das war mir wichtig, das Zwiespältige in diesem Charakter zu zeigen.
WS: „zu zeigen“ ist ein gutes Stichwort für ein Brecht-Stück. Eine solche subtile Darstellung, die es dem Publikum erlaubt, Erkenntnisse aus der Rolle herauszulesen – gerade das will Brecht ja gar nicht. Ihm wäre ja lieber, neben dem Schauspieler stünde ein zweiter mit einem Plakat, auf dem steht, was der Zuschauer jetzt sehen soll.
MH: Mir liegt diese Art des Theaters nicht, wo die Erkenntnisse mit dem Holzhammer herausgeklopft werden.
WS: Also eher Stanislawski-Theater, in dem der Schauspieler möglichst eng mit seiner Roller verschmilzt?
MH: Na ja, wenn ich mich auf diesen Gegensatz einlassen soll: dann schon eher: ja.
WS: Was war dein größter Erfolg – auch so was Fieses, Abgründiges?
MH: Den eigenen Erfolg kann man selber schlecht beurteilen. Aber ich denke: der Pegleg in „Black Rider“. Also schon auch schräg, abgründig.
WS: Na, das passt ja wunderbar! Da fällt mir überhaupt auf: in deinen Rollen mit religiösem Bezug verkörperst du ja eher die Gegenseite: den Abtrünnigen Spitta, den großen Sünder Jederman, den Verräter Judas (wenn auch in einer sozusagen dialektisch-positiven Interpretation) und jetzt auch noch den Pegleg, also die Verkörperung des Teufels, des Bösen an sich! – Wenn das dein größter Erfolg war, dann bin ich gespannt auf deine größte Niederlage?
MH: Ach je. Ich denke oft, ich hätte viel mehr aus einer Rolle machen müssen. Ich könnte jetzt meinen „Faust“ nennen, mit dem ich gar nicht zufrieden war. Das würde natürlich perfekt in dein Schema passen, aber vielleicht lag es auch nur daran, dass ich den am Ende einer ohnehin vollgepfropften Spielzeit noch obendrauf packen musste.
WS: Was war denn bisher deine liebste Rolle:
MH: Der Katurian im „Kissenmann“
WS: Dein liebster Film:
MH: Coppolas „Pate“
WS: Dein liebster Roman:
MH: Bulgakows „Der Meister und Margarita“
WS: Das gibt’s ja inzwischen auch als Theaterstück.
MH: Ja, schrecklich, diese ganzen Roman-Dramatisierungen!
WS: Dein liebstes Gedicht:
MH: Einiges von Goethes, der „Prometheus“ etwa
WS: Lieblings-Musik:
MH: Klassik, Benjamin Britten, Musical-Musik
WS: Dein liebster bildender Künstler:
MH: Horst Janssen
WS: Dein liebster Theater-Autor:
MH: Goethe
WS: Dein liebstes Stück:
MH: Wagners „Parsifal“
WS: Die anrührendste Frauenrolle:
MH: Luise Miller in „Kabale und Liebe“
WS: Die schurkischste Männerrolle:
MH: Franz Moor in den „Räubern“, Wurm in „Kabale“
WS: Deine Traumrolle:
MH: der mörderische Barbier in Stephen Sondheims Musical „Sweeny Todd“ (1979 verfilmt mit Johnny Depp)
WS: Mit welchen welchem Regisseur würdest du gerne mal zusammenarbeiten?
MH: Mit Johan Simons, dem derzeitigen Intendanten der Münchner Kammerspiele
WS: Und mit welchem anderen Schauspieler / welcher Schauspielerin?
MH: Jerome Williams / Angela Winkler
WS: Dein schönstes Kultur-Erlebnis der letzten 12 Monate:
MH: Das Straßentheater-Festival in Detmold
WS: Das größte Kultur-Ärgernis der letzten 12 Monate:
MH: „Macbeth“ in der Regie von Luc Perceval am Hamburger Thalia
WS: Gibt es Hobbies außerhalb der Bühne?
MH: Kochen, reisen ....
WS: Kochen? Na, dann hoffen wir auf eine Einladung zum Essen!
Aktueller Hinweis zu Johan Simons
Zur Frage:
WS: Mit welchen welchem Regisseur würdest du gerne mal zusammenarbeiten?
MH: Mit Johan Simons, dem derzeitigen Intendanten der Münchner Kammerspiele
Kurz nach diesem Interview hat die Süddeutsche Zeitung gemeldet, dass Johan Simons seinen Vertrag mit den Münchner Kammerspielen nach der Spielzeit 2014/15 nicht verlängert. In einem
SZ-Interview hat er das mit der zu großen Entfernung zu seiner niederländischen Heimat – wo seine Frau als erfolgreiche Schauspielerin arbeitet – begründet. Bis zum Ende seines Vertrages wolle er
aber weiter daran arbeiten, die Spitzenstellung der Kammerspiele in der deutschen Theaterlandschaft zu erhalten und möglichst „Europameister“ werden.
Inzwischen wurde Johan Simons als neuer Intendant der Ruhrtriennale berufen. Ab 2015 wird er dieses renommierte nordrhein-westfälische Theaterfestival leiten – nicht nur für Markus Hottgenroth eine Chance, die Arbeit dieses herausragenden Theatermannes in Zukunft noch intensiver zu verfolgen.