Hobby: Leben!

Die Schauspielerin Ewa Stefania Rataj im Gespräch

G.WaSa (WS): Als vor einigen Jahren eine Kollegin von Dir in den Ruhestand ging, hatte ich gefragt, wie sie das denn aushielte, so ganz ohne Bühne. Ihre Antwort: „Jetzt kann ich’s ja sagen: Schauspielerin ist ein Traumberuf, wenn man’s werden will, aber je länger man es ist, um so mehr wird’s zum Horrorjob“. – Du bist ja noch viel jünger als jene Kollegin, aber wie weit bist Du schon fortgeschritten auf dem Weg vom Traumberuf zum Horrorjob?

Ewa S. Rataj (ESR):  Überhaupt nicht weit!  Klar! Tatsächlich es ist ein sehr sehr harter und intensiver Beruf, aber ich liebe ihn. Und gerade das Intensive daran, also auch das Leben - das ist mir wichtig. 

 

WS: Und dieses intensive Leben findest Du in Detmold? Du stammst aus Essen, hast lange in Berlin gelebt; du gibst als „Wohnmöglichkeiten“ darüber hinaus Köln, München, Hamburg, Bremen an. Und da hältst du es in Detmold aus?

in: "Am schwarzen See" - Foto: Landestheater

ESR: Ja! Ich bin jetzt seit drei Jahren hier. Und bin hier angekommen! Ich fühle mich wohl hier, finde hier ein anregendes Umfeld, mit – beispielsweise – den Hochschulen. Ich habe Freunde hier gefunden – auch außerhalb des Theaters, was ich wichtig finde, um mich meiner selbst zu vergewissern, auch mal Abstand vom alltäglichen Berufsleben zu finden.

 

WS:  Du bist in Poznan (Posen) in Polen geboren, aber in Essen aufgewachsen. Wie kam das?

 

ESR: Das war ja noch vor der Wende. Meine Eltern wollten uns Kinder nicht in diesem sozialistischen System aufwachsen lassen und sind deshalb geflohen ...

 

WS:  ... das kann man sich heute kaum mehr vorstellen! ....  

 

ESR: Ja – aber damals war das so. Mein Vater kam durch die Arbeit nach Dänemark und hat sich dann nach Deutschland abgesetzt. Und die Familie konnte dann folgen. So kam ich mit fünf Jahren nach Essen.

 

WS:  Und dort hast Du im zarten Alter von 12 angefangen, Theater zu spielen?

 

ESR: Ja, ich war vorher schon in der Theater-AG der Schule. Aber zu der Zeit gab es ja eine ganze Serie von fremdenfeindlichen Ausschreitungen: Hoyerswerda, Rostock, Solingen ... Ich hatte einen multikulturellen Freundeskreis und wir waren der Meinung, dagegen müsse man etwas unternehmen. Durch ein gemeinsamen Holland-Urlaub, der sprichwörtlich ins „Wasser“ fiel, hatten wir viel Zeit, uns Gedanken zu machen, und da ist dann die Idee geboren ein Theaterstück darüber zu machen. Ein Jahr später haben wir mit den Proben begonnen und knapp zwei Jahre darauf gab es die Uraufführung „Die Braut der Brüder – ein mittagländisches Musical“ in der Alten Synagoge in Essen mit ca. 40 beteiligten Jugendlichen. Peter Möbius hat das Buch geschrieben und sein etwas bekannterer Bruder Rio Reiser  die Musik dazu.

 
Es folgten dann eine Reihe weiterer Rollen in Jugendtheaterprojekten in Essen, zum Beispiel in „Märchenhaft – Sinbad trifft Rapunzel“.

 

WS:  So dass Du dann nach der Schule direkt in die Schauspielausbildung überwechseln konntest? 

 

ESR: Na ja, so ganz direkt war es nicht. Es stimmt, ich bin nach dem Abitur nach Berlin gegangen, und der Schauspielberuf war sehr wohl eine Perspektive. Aber noch habe ich gesucht ... und zunächst einmal „gelebt“ – wie ich schon gesagt habe: intensives Leben ist für mich wichtig!

 

WS:  Damals, nach 2000, hatte Berlin ja die unmittelbare Wendezeit hinter sich; aber es herrschte noch eine ausgeprägte Aufbruchstimmung, gerade im kulturellen Bereich. Also genau das richtige Pflaster, um „intensiv zu leben“. Wohl der, die sich das leisten kann!

  

ESR: (lacht) Na ja – leisten ... Naturlich musste ich mir meinen Lebensunterhalt verdienen – ganz klassisch. durch Kellnern!

WS:  Bis 2004. Dann hast Du an der „berliner schule für schauspiel“ Deine Ausbildung gemacht. Und dann?

  

ESR: Dann hatte ich ein Gast-Engagement am Berliner Ensemble, habe zum Beispiel in Taboris „Pffft oder Der letzte Tango am Telefon“ in der Regie von Martin Wuttke mitgespielt. Von 2008 bis 2011 war ich am Thüringer Landestheater Rudolstadt ...

 

WS:  ... wo Du dann auch gleich schöne Hauptrollen bekommen hast: die Stella, die Antigone, Königin Elisabeth in „Maria Stuart“ ...

 

ESR: ... und jetzt, seit 2011 bin ich hier, am Landestheater Detmold.

 

WS:  ... wo Du uns immer wieder beeindruckt hast! Hier – so ganz unter uns – können wir’s ja noch mal wiederholen: selbst in der kleinen Rolle der Tochter in „Hair“ bist Du aufgefallen; dann natürlich als Mutter John in den Ratten, als Lady Milford  in „Kabale und Liebe“, als Hippolyta/Titania im „Sommernachtstraum“ und und und ...... und schließlich in jüngster Zeit in „Mefisto“ und ganz besonders als Cleo im „schwarzen See“ und als „Weibsteufel“. –

WS: Apropos „Mefisto“ - da spielst Du (wie die meisten Beteiligten) eine Doppelrolle, in der Du zwei gegensätzliche Charaktere zu verkörpern hast: Einerseits die Starschauspielerin Rebecca, die Diva, die als Jüdin ins Exil muss. Und Lina Lindenhoff, ein deutsches Blondchen, eine Gemüts-Schauspielerin, die zwar kein Talent hat, aber die Protektion eines Nazibonzen genießt. Wie schwierig ist es eigentlich, eine schlechte Schauspielerin gut zu spielen?

Foto: Landestheater

ESR: Gar nicht so einfach, zumindest wenn es – wie im Fall „meiner“ Lina Lindenhoff – keine ganz schlechte Schauspielerin sein soll. Eine ganz schlechte Schauspielerin ist wahrscheinlich ziemlich leicht darzustellen. Das habe ich bei den Proben gemerkt, wo ich zunächst in Versuchung geriet, eine wirklich schlechte Lina zu geben und dann immer zu hören bekam: „Nein!!! Soo schlecht ist sie auch wieder nicht!“ Und so hat sich allmählich die Lina entwickelt, die dann auf die Bühne kam. 

 

WS:  Und jetzt? Was ist aktuell Deine größte Herausforderung?

 

ESR: Ach je .... dass ich hier sitze und euch Rede und Antwort stehen muss. Das macht mich ganz nervös!

 

WS:  Endlich mal eine, die uns den schuldigen Respekt zollt! Na, dann wollen wir mal ein paar ganz einfache Fragen stellen – nach Deinen alltäglichen Vorlieben:

 

WS:  Bier oder Wein:   

ESR: Das ist launenabhängig. Grundsätzlich: Beides!

 

WS:  Endlich mal eine, die das zugibt! [Es folgt ein Gespräch über Alkohol ... aber das wird Sie, liebe theaterbegeisterte Leserin, lieber kulturliebender Leser, nicht so sehr interessieren]

 

WS:  Kaffee oder Tee:      
ESR: Unmengen von Kaffee; gelegentlich gerne Tee

 

WS:  Großstadt oder Land:      

ESR: Großstadt oder Land .... und das nennst Du eine einfache Frage! Also das eine ... aber auch das andere ...

 

WS:  Also Tucholskys „Ideal“:

Eine Villa im Grünen mit großer Terrasse,
vorn die Ostsee, hinten die Friedrichstraße;
mit schöner Aussicht, ländlich-mondän,
vom Badezimmer ist die Zugspitze zu sehn -
aber abends zum Kino hast dus nicht weit ...

      
ESR: Genau! Das ist es!

 

WS:  Porsche oder Fahrrad:      

ESR: Motorrad!

WS:  Aber Du fährst doch Fahrrad ...       

ESR: Ich besitze ja auch kein Motorrad!

 

WS:  Regionale oder inter­nationale Küche:      

ESR: Schon wieder so ne schwierige Frage ... also ... polnische Piroggen ... Ist das für mich, bei meiner Herkunft, jetzt regional oder international? Grundsätzlich: Da wo ich bin, da probiere ich ganz gern mal was Regionales; ansonsten liebe ich italienische Küche.

 

WS:  Falls Du Sonntagabend mal zu Hause bist: Tatort oder Pilcher:      

ESR: Ich hab‘ gar keinen Fernseher.

 

WS:  Was war bisher dein größter Erfolg.  

 

ESR: Oh je .... Was ist Erfolg? Vielleicht „Gretchens Faust“, 2008 am Berliner Ensemble, mit Martin Wuttke als Regisseur. Zumindest für mich selbst war das ein Erfolg, weil ich da viel gelernt habe, viel mitgenommen habe, auf dem ich aufbauen konnte.  

Stella - Foto: Theater Rudolstadt

 

WS:  Und – gab’s auch eine größte Niederlage?      

ESR: Meine erste Hauptrolle, die „Stella“, da war ich ganz und gar nicht zufrieden!

 

WS:  Nun ja ... mit der Zufriedenheit mit sich selbst ist das ja immer so eine Sache. Das Publikum sieht das ja oft ganz anders. Die Ostthüringer Zeitung schrieb damals: „Gerade Cäcilie (Charlotte Ronas) und Stella (Ewa Rataj) entwickeln ungeahnte Stärke bei dieser Menage à Trois“; und die Thüringer Allgemeine kritisiert zwar die „von Goethe halbherzig angelegte“ Titelfigur, erwähnt aber im gleichen Atemzug das „schauspielerische Können von Ewa Rataj“. Kein Grund also, die „Stella“ in Deiner Biografie zu verstecken!

      

WS:  Was war denn bisher deine liebste Rolle:

ESR: Die Mutter John in den "Ratten". Diese reiche Persönlichkeit, die innerlich wahrscheinlich ganz anders war, als der äußere Eindruck glauben lässt.- Die Lady Milford aus „Kabale und Liebe“, weil sie so kläglich scheitert...

WS:  Dann wollen wir Dich mal als Bildungsbürgerin abprüfen. - Dein liebster Film:    

ESR: Kubricks Shining.

 

WS:  Dein liebster Roman: 

ESR: Bulgakows „Der Meister und Margarita

 

WS:  Dein liebstes Gedicht:     

 

ESR (rezitiert Christian Morgensterns „ästhetisches Wiesel“):

Ein Wiesel

saß auf einem Kiesel

inmitten Bachgeriesel.

 

Wißt ihr

weshalb?

 

Das Mondkalb

verriet es mir

im Stillen:

 

Das raffinier-

te Tier

tat's um des Reimes willen.

 

 

WS:  Lieblings-Musik:

ESR: ein breites Spektrum ... von Bach bis Electro

 

WS:  Dein liebster bildender Künstler: 

ESR: Otto Dix

 

WS:  Dein liebster Theater-Autor: 

ESR: Goethe, Schiller, Horváth .... und natürlich Shakespeare

 

WS:  Dein liebstes Stück: 

ESR: Horváths „Geschichten aus dem Wiener Wald“

 

WS:  Die anrührendste Frauenrolle – jetzt sag aber nicht „Marianne“ aus dem „Wienerwald“

ESR: Dann sag ich eben: Helga. Aus Kroetz‘ „Nicht Fisch nicht Fleisch“. Aber es ist wirklich so: Ich wollte immer aus der Rolle der Marianne einen Vorsprech-Text nehmen, aber leider gibt es da nicht so recht einen geeigneten zusammenhängenden längeren Text. Und da habe ich in der Helga eine verwandte Figur gefunden mit einem passenden Vorsprech-Text!

 

WS:  Die schurkischste Männerrolle: 

ESR: Schon wieder so eine schwierige Frage. Natürlich fällt einem da der  Wurm in „Kabale und Liebe“ ein. Aber ist der wirklich so einseitig böse? Ist das nicht eigentlich ein ganz armer Kerl?

 

WS:  Deine Traumrolle: 

ESR: Die Medea ...  Macbeth.  

 

WS (nicht ganz ernst):  Die Lady Macbeth? Oder eine Hexe? 

ESR (lacht): Beides! Ganz nach dem Motto: „Lasst mich auch den Löwen spielen“.   

 

 

WS:  Mit welchem Regisseur würdest du gerne mal zusammenarbeiten?

ESR: Darf ich mir was ganz Hochgestochenes wünschen? Michael Haneke.

 

WS:  Dein schönstes Kultur-Erlebnis der letzten 12 Monate: 

ESR: Tennessee Williams‘ „Orpheus steigt herab“ in der Regie von Sebastian Nübling an den Münchner Kammerspielen

 

WS:  Das größte Kultur-Ärgernis der letzten 12 Monate:

ESR: Irgendwas von Vontobel in Bochum.

 

WS:  Ha! Das freut mich jetzt aber! Eine der schrecklichsten Aufführungen, die ich je gesehen habe, war Vontobels Inszenierung von „Scherz, Satire, Ironie uund tiefere Bedeutung“ am Hamburger Schauspielhaus. Zufälligerweise hatte damals auch das Landestheater Detmold das Stück im Programm. Mein damaliges Fazit: „Hamburg : Detmold = 0 : 4“

 

WS:  Gibt es Hobbies außerhalb der Bühne?  

ESR: Kunst ... wenn ich mehr Zeit hätte, würde ich gerne malen  ....

 

WS:  ... Vielleicht kannst Du für uns ja gelegentlich eine Kunstkritik schreiben?  ...

 

ESR: ... kochen   .... leben (siehe oben)

 

WS:  „Leben“ ... oh ja, wahrlich ein schönes Hobby. Dazu bleibt uns nur noch: viel Spaß und viel Erfolg zu wünschen!  

 

 

 

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