Intendant, Regisseur .... und Radrennfahrer

Ein Gespräch mit Michael Heicks vom Theater Bielefeld

Die Bielefelder "Führungsriege" bei der Spielplan-Pressekonferenz 2013/2014

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WaSa (WS): Herr Heicks, das Theater Bielefeld richtet das NRW-Theatertreffen 2013 aus. Herzlichen Glückwunsch! Nach dem, was wir gehört haben, verspricht das eine spannende Veranstaltung zu werden!

 

Michael Heicks (MH): Ja, davon sind wir überzeugt. Schließlich hat unsere Jury neun interessante Inszenierungen ausgesucht und hatte dabei die Wahl aus einem reichhaltigen, ich möchte sagen: einmaligen Theater-Angebot.

 

WS: Mit ‚einmaligem Angebot‘ meinen Sie die nordrhein-westfälische Theaterlandschaft?

 

MH: Ja, genau. Wir haben in NRW immerhin 19 Stadt- und Landestheater. Sie können mit der S-Bahn von Bonn über Köln, Düsseldorf bis nach Dortmund fahren, und alle paar Stationen können Sie aussteigen und in ein gutes Theater gehen. Und das strahlt aus bis in unsere Region.

 

WS: Damit haben wir die höchste Theaterdichte in Deutschland, wenn nicht weltweit.

 

MH: Ja, und darauf können wir stolz sein! Der Süden der Republik ist mit seinen Staatstheatern viel selbstbewusster.

 

WS: Das liegt vielleicht daran, dass es sich dort oft um die ehemaligen Hoftheater der früheren fürstlichen Residenzen handelt, wie es Ralph Bollmann für die deutschen Opernhäuser beschrieben hat. Während die Theater gerade im Ruhrgebiet eine eher bürgerliche, um nicht zu sagen: proletarische Basis haben.

 

MH: Aber deshalb müssen wir doch unser Licht nicht unter den Scheffel stellen. Auch das aus dem Bürgertum hervorgegangene Theater darf ruhig mehr Selbstbewusstsein zeigen. Und einen Beitrag dazu wollen wir mit dem Theatertreffen leisten.

 

WS: Dass beim Theatertreffen traditionellerweise auch dem Kinder- und Jugendtheater Platz eingeräumt wird, scheint ja Ihren Intentionen entgegen zu kommen. Jedenfalls haben Sie sich schon bei der Spielplan-Pressekonferenz entsprechend geäußert und dabei eine „Jugendoper“ als regelmäßige Spielplanposition angekündigt. – Wie sieht es denn zur Zeit mit dem Publikums-Nachwuchs in Bielefeld aus?

 

MH: Hervorragend! Von unserem Angebot an Kindertheater mal ganz abgesehen: das Interesse von Jugendlichen an unserem Programm ist enorm; vielleicht nicht so sehr am Musiktheater, das ist aber normal. Unsere Schauspiel- und Tanzproduktionen locken aber immer wieder zahlreiche Jugendliche an. Wobei ich übrigens von dem Begriff ‚Nachwuchs‘ nicht so viel halte, jedenfalls von ‚Nachwuchs‘ in dem häufig gemeinten Sinn von ‚das Publikum von morgen‘. Für uns ist die Jugend das Publikum von heute. Als solche nehmen wir sie ernst und wollen ihnen etwas bieten, genauso wie den Erwachsenen.

 

WS: A propos ‚allen etwas bieten‘ – wie würden Sie den Begriff „ungeniertes Hochdampf-Boulevardtheater“ erklären?

 

MH: Wieso? Hat das jemand über uns geschrieben?

 

unsere Meinung zu Heicks' Inszenierung von Rinkes "Wir lieben ..."

WS: Ja, Barbara Burckhardt in ‚Theater heute‘ über Ihre Rinke-Inszenierung. Jetzt sagen Sie nicht, das hätten Sie nicht gelesen!

 

MH: Habe ich auch nicht. So was lese ich normalerweise nicht.

 

WS: Komisch – das behaupten immer alle.

 

MH: Ist aber auch so. Wir haben eine Pressereferentin; und die verfolgt natürlich die Presse. Und wenn sie was für wichtig hält, legt sie mir’s hin. - Frau Burckhardt meint also, Rinkes ‚Wir lieben und wissen nichts‘ sei Boulevardtheater?

 

WS: Zumindest Ihre Umsetzung. Aber so richtig zufrieden schien sie auch mit den Inszenierungen in Frankfurt und in Bern nicht zu sein.

 

MH: Natürlich hat das Stück auch boulevardeske Elemente. Das ist ja auch gar nicht schlimm. Aber ungerechtfertigt ist, es darauf zu reduzieren. Rinke behandelt in seinen Stücken ernsthafte Themen, wie – gerade in diesem -: Globalisierung, Arbeitsnomaden, Kommunikationsprobleme ...

 

WS: ... oder auch, in der Person Sebastians, den Stellenwert der Kultur in der heutigen, ökonomisch dominierten Gesellschaft.

 

MH: Ja, und das teilweise sehr subtil. Ein pauschaler Boulevard-Vorwurf wird dem nicht gerecht. Überhaupt muss man Rinke genau lesen.

 

WS: ‚Rinke schreibt für den zweiten und dritten Blick‘, haben Sie das in Ihrem Beitrag zu einem Sammelband über Rinke formuliert. Sie scheinen überhaupt eine Affinität zu Rinke zu haben. ‚Wir lieben und wissen nichts‘ ist nach ‚Vineta‘ und ‚Café Umberto‘ ja schon Ihre dritte Rinke-Inszenierung. Wie kommt das? Zufall oder Seelenverwandtschaft.

 

MH: Zunächst war es wohl Zufall. Und dann habe ich seine Art, Stücke zu verfassen, schätzen gelernt. Seine Sprache, seinen Sinn für Dramaturgie und vor allem seine Bereitschaft, ernsthafte aktuelle Probleme anzugehen ...

 

WS: Und seine Art, diese Probleme anzugehen: das Leichte, Heitere, mit dem er das Schwere, Problematische behandelt. Um nochmal Ihren Beitrag zu zitieren: die „eigentümliche Verquickung von Tragik und Komik“. – Diese Suche nach dem „Tragischen im Komischen“ und umgekehrt scheint Sie ja nicht nur bei Rinke zu faszinieren, sondern ein Grundprinzip Ihrer Arbeit zu sein.

 

MH: Ja, natürlich. Aber das ist doch auch realistisch. Das haben Sie doch auch oft im alltäglichen Leben. Und in der Literatur. Denken Sie an Shakespeare, an das Tragische in seinen Komödien, an die Komik in seinen Tragödien ...

 

WS: Shakespeare ist immer ein guter Schluss! Aber bevor wir zum Ende kommen, möchten wir mit Hilfe unseres Standard-Fragebogens Sie als Person noch etwa enthüllen.

 

MH: Nur zu!

 

 

WS: Ihr Name:                   

MH: Michael Heicks

 

WS: Künstlername:          

MH: Brauche ich nicht.

 

WS: Geboren:                    

MH: 1957

 

WS: Aufgewachsen:         

MH: Am Niederrhein – einer reichen Kulturlandschaft (nur als Stichworte: Xanten, Beuys, Schloss Moyland, Haus Kuckuck ...)

 

WS: Institution:                  

MH: Stadttheater Bielefeld

 

WS: Funktion:                    

MH: Intendant, Regisseur

 

WS: Seit:                            

MH: 2005; vorher fünf Jahre Schauspieldirektor an diesem Haus.

 

WS: Aktuelle Herausforderung:

MH: Laufende Herausforderung: unter den gegenwärtigen Umständen den Betrieb ordentlich am Laufen zu halten; dazu kommen dann immer wieder die besonderen Herausforderungen: mal die Schultheatertage, mal das NRW-Theatertreffen

 

WS: Ein paar Vorlieben: Bier oder Wein:        

MH: beides

 

WS: Kaffee oder Tee:       

MH: Tee

 

WS: Großstadt oder Land:           

MH: Großstadt, mit Anbindung ans Land

 

WS: Porsche oder Fahrrad:

MH: ich bin begeisterter Rennradfahrer; also Fahrrad. Obwohl ... so manchmal eine Fahrt mit einem Porsche – das hätte auch was ...! Dann aber ein schöner alter, nicht so ein hässlicher neuer

 

WS: Regionale oder internationale Küche:     

MH: regional

 

WS: Im Fernsehen: Tatort oder Pilcher:           

MH: Weder noch. Ich gehöre nicht zu den Tatort-Fans. Dann schon lieber die Schwedenkrimis spätabends, wie kürzlich mit Kommissarin Lund

 

WS: Ich konstatiere: ‚Pilcher‘ übergehen Sie einfach.

MH: - - -

 

WS: Ihre erste Begegnung mit dem Theater:

MH: Sagen wir mit dem Theatralischen: als Messdiener in der Kirche. Wobei ja das abendländische Theater überhaupt sakrale Wurzeln hat.

 

WS: Ausbildung/Beruf außerhalb des Theaters:

MH: Studium der Sozialwissenschaften

 

WS: Theater-Ausbildung:

MH: 1979 - 84 an der Akademie der darstellenden Kunst, Otto-Falckenberg-Schule in München: ein Doppelstudium Regie und Schauspiel, allerdings von Anfang an mit dem Ziel Regie; Tätigkeit als Schauspieler nur in ein paar kleineren Filmrollen; aber natürlich hilft das Schauspielstudium in der Regiearbeit.

 

WS: Ihre erste eigene Theaterarbeit:

MH: als Zivi in einem Kinderdorf: Inszenierung eines selbst entwickelten Stücks mit den Kindern

 

WS: Ihre bisher liebste Regiearbeit:

MH: Jeweils die, die ich gerade mache

 

WS: Ihr liebster Theaterautor:

MH: Immer noch Shakespeare

 

WS: Die schurkischste Männerrolle:

MH: Jago

 

WS: Die anrührendste Frauenrolle:

MH: Da gibt es so viele .... vielleicht Effie Briest

 

WS: Ihre Traum-Inszenierung:

MH: Ein großes, die drei Sparten integrierendes Projekt, also die große, über alle Kontinente reichende Schauspiel-Oper mit Tanz

 

WS: Wen würden sie gern mal in eine Ihrer Inszenierungen holen:

MH: Zunächst mal bin ich mit meinem Ensemble hier sehr zufrieden. .... Aber vielleicht mal Hans Christian Rudolph  

 

WS: Ihr schönstes Kultur-Erlebnis der letzten 12 Monate:

MH: Dass wir das NRW-Theatertreffen nach Bielefeld bekommen haben.

 

WS: Und das größte Kulturärgernis?

MH: Soll ich als Intendant jetzt etwa die Arbeit von Kollegen runtermachen? Oder den üblichen Jammer über die Kulturpolitik anstimmen?

 

WS: Ihr Hobby außerhalb der Bühne?

MH: Ach, da gibt’s einiges: Musik, Klavier, Gitarre, Rennrad fahren, schwimmen ...

 

WS: Na, dann hoffen wir, dass Ihnen auch dafür etwas Zeit bleibt. Vielen Dank!