„Totgesagte leben lange“

Mord im Bordell

Jupp-Schulte: auch in seinem 17. Krimi unkaputtbar

g.wasa     -     Lippe.     -     Was für ein Teufel hat Jürgen Reitemeier und Wolfram Tewes bloß geritten, dass sie ihren Helden derart abstürzen lassen?! Eine Fallhöhe wie in der klassischen Tragödie! Dabei geht’s hier nicht um Könige à la Ödipus oder Feldherren wie Wallenstein, sondern lediglich um den „Detmolder Provinzbullen“ Jupp Schulte.

 

Glorreiche Vergangenheit

Vor zwei Jahren fungierte Schulte noch als von „Angie“ persönlich nach Berlin berufener Sonderermittler der Kanzlerin und ermittelte in Kreisen, die wir in unseren linken Studententagen als „militärisch-industriellen Komplex“ verunglimpft haben (nur um Missverständnisse zu vermeiden: jene Kreise sind auch heute noch – mindestens – ebenso kritikwürdig wie damals).

 

Danach wurde er zwar schon kräftig gezaust („Dreck am Stecken“), hatte aber immer noch so gewichtige Gegner wie die rechtsterroristischen Reichsbürger von den „Lippischen Identitären Patrioten (LIP)“ sowie einen Super-Geheimagenten mit großem Namen.  

 

Auf dem Abstellgleis in Lippisch-Sibirien

Und nun? Anstatt in der Hauptstadt Staatssekretären und hohen Offizieren zu zeigen, was eine lippische Harke ist, ermittelt Jupp Schulte mühsam irgendeinem Faktotum eines Lemgoer Provinzpuffs hinterher, in welchem ein Kunde – angeblich – einem Herzschlag erlegen ist. Wenn der Tod im Puff wenigstens ein aktueller Skandal wäre! Aber nein, Schulte hat sich den Jahre zurückliegenden Fall aus alten Akten herausgeklaubt. Aus Langeweile!

 

Im – erwartungsgemäß kurz vor Weihnachten erschienenen - 17. Band der Lippe-Krimi-Reihe um Jupp Schulte gehört dieser nämlich nicht länger der Kreispolizei in Detmold an. Sein Vorgesetzter Klaus Erpentrup – so unfähig, wie Chefs in Krimis nun mal zu sein pflegen, aber karrieregeil und dementsprechend Partei-Mitglied – ist beim Regierungswechsel von Rot-Grün zu Schwarz-Gelb gemäß Peter-Prinzip zum Staatssekretär aufgerückt. Als solcher schafft er eine neue Polizei­dienst­stelle, die großspurig „Think-Tank“ genannt wird, aber „nichts anderes (sein soll) als ein Abstellgleis für ältere, unbequeme, ignorante oder sonst nicht zu gebrauchende Polizeibeamte“. Als Ersten versetzt Erpendrup natürlich seinen Intimfeind Schulte zu diesem „innovativen Projekt“, das – wohl um zu zeigen, wes Geistes Kinder die dorthin Abgeschobenen sind – im Obernkrug, einer aufgegebenen Traditions-Kneipe im Detmolder Ortsteil Heidenoldendorf, untergebracht ist.

 

Und von hier aus ermitteln also die fünf aus ganz NRW nach „Lippisch-Sibirien“ zwangsversetzten Außenseiter, die sich allerdings zunächst einmal zu einem Team zusammenraufen müssen, was (Stichwort „unbequem …“) alles andere als einfach ist. Aber es ist schließlich ein Charakteristikum der Schulte-Krimis, dass die skurrilen Figuren mindestens ebenso viel zum Lesevergnügen beitragen, wie die Handlung! So auch hier! Die neuen schrägen Vögel haben ebenso viel Unterhaltungswert, wie Jupps – hier zwangsläufig in den Hintergrund tretende – Ex-Kollegen. (Und keine Angst: Der komischste Kauz dieser Reihe, der alte Fritzmeier, läuft auch hier zur Höchstform auf!)

 

Natürlich liegt die Haupt-Ermittlungsarbeit auf den Schultern unseres alten Freundes Jupp Schulte. Und natürlich macht der seine Arbeit wieder mal gut. Zwar schnellt die Kriminalitätsrate in Lippe noch mal kräftig nach oben, als der alte Fall aufgerührt wird, aber am Ende ist der Täter von damals geschnappt. Und der feine Hintermann wird – so viel Triumph muss einfach sein! – in dem Moment von Schulte verhaftet, als dessen alter Widersacher, Staatssekretär Erpentrup, eine öffentliche Laudatio auf den vorgeblichen Philanthropen hält.

 

Durchgehend spannend und leidlich realistisch

Gut gemacht haben ihre Arbeit auch die Autoren. Entweder gewöhne ich mich so allmählich an die Machart dieser Krimis, oder Reitemeier/Tewes werden tatsächlich immer besser. Detail-Kritik, wie ich sie früher schon mal genüsslich ausgebreitet hatte, kann ich mir hier (weitgehend) sparen.

 

Die Handlung ist durchgehend so spannend, wie man es von einem guten Krimi erwartet, bleibt dabei in einem realistischen Rahmen (gut, die Sache mit dem Pullover – dem „Durchbruch im Fall“ – ist schon reichlich unwahrscheinlich). Und die Gründung jenes absurden „Think Tanks“? – Na, dieser Landesregierung traut man doch jeden Blödsinn zu! Und dass die dorthin Verbannten erst mal die Bier-Zapf-Anlage wieder in Schuss bringen und diese anschließend rege nutzen – das verbuchen wir mal unter „dichterische Freiheit“.

 

Sprache: ordentlich

Der Text liest sich flüssig. Von einigen wenigen Flüchtigkeitsfehlern abgesehen (Lektorat?!) ist er auch grammatikalisch und orthographisch in Ordnung (was im Genre des Lokalkrimis durchaus ein Lob rechtfertigt). Dass eine Domina namens König einen Kunden namens Kaiser malträtiert – das muss hier nicht ironisiert werden (das geschieht schon im Text).

 

Natürlich hätte ich mir Kürzungen gewünscht (Krimis von über 300 Seiten zu lesen, erscheint mir normalerweise als Verschwendung knapper Lebenszeit). Aber die früher beklagten Weitschweifigkeiten und Wiederholungen sind doch deutlich reduziert. Zwar werden – immerhin weniger als in früheren Bänden – mehrfach die  Altersdepressionen des gerade 60 gewordenen Schulte etwas zu breit ausgemalt („spätestens mit 50 wird aus dem einsamen Wolf ein begossener Pudel“ – ist das nicht eine herrliche Formulierung?); aber das erklären wir uns mit der Sorge der Autoren um ihr Geschöpf. Und es hätte genügt, Schultes Angst vor einem Wegzug von Tochter und Enkel einmal anzusprechen (zumal diese Sorge auch in früheren Bänden immer mal wieder thematisiert wurde).

 

Lokal- und Zeitkolorit

Konstitutiver Bestandteil eines jeden Lippe-Krimis des Autorenduos ist natürlich (nomen est omen!) das Lokalkolorit. Da gibt’s im 17. Band nichts Sensationelles, aber eine – nennen wir’s mal: solide lippische Grundierung. Da ist die „Braugasse“ (die sich – nachdem sich die Rauchschwaden über der Theke aufgelöst haben – zu Jupps bevorzugter Stammkneipe zu mausern scheint); da ist das „Augustinum“ (das mal zur sozialkritischen Überlegung Anlass gibt, wer sich eine derart komfortable Altersresidenz wohl leisten kann). Und natürlich gibt’s auch gern mal eine Flasche „Detmolder Pilsner“ zu den Tomaten aus Schultes Gärtnerei in der Klusstraße.

 

Reitemeier/Tewes haben in ihren Krimis auch immer gern aktuelle Ereignisse aufgegriffen. Da gibt’s diesmal wenig: keine GroKo, keine Flüchtlinge, noch nicht mal Stadtverwaltung oder Landesverband werden durch den Kakao gezogen. Allenfalls gibt’s ein paar Wetterkapriolen und den Klimawandel („Es war der wärmste Mai gewesen, seitdem es Wetteraufzeichnungen in Deutschland gab“, steht gleich ganz am Anfang).

 

Immerhin konnten die Autoren der Versuchung nicht widerstehen, ihre Geschichte in die Zeit der Fußballweltmeisterschaft zu legen. Ihr Pech, dass die – aus deutscher Sicht – nicht gerade spektakuläre Anknüpfungspunkte bot.

 

Fazit:

Auch dieses Jahr wieder: Wenn Sie noch ein nettes kleines Weihnachtsgeschenk brauchen – schauen Sie in Ihrer Buchhandlung mal nach „Totgesagte leben lange“.

 

 

PS:

Gerade als ich das Buch fertig gelesen hatte, erschien in der Lokalzeitung ein Bericht über die ehemalige Heidenoldendorfer Traditions-Kneipe. Und siehe da: Der „Obernkrug“ wurde mitnichten zum Domizil der obskuren Schöpfung eines suspekten Staatssekretärs. Vielmehr haben ein paar Anwohner ihn gepachtet, um eine Art Gemeinschaftshaus daraus zu machen. Anstelle von Puff-Ermittlungen und Mörderjagd gibt’s dort jetzt Gesellschaftsspiele und Skatabende (Lipp. Landeszeitung, 24.11.2018, S. 12).

 

 

 

 

Jürgen Reitemeier, Wofram Tewes:

 

Totgesagte leben lange

 

Lippe-Krimi

 

 

Taschenbuch;      374 Seiten;    13,00 EUR

Verlag: Pendragon, Bielefeld, November 2018

ISBN: 978-3-86532-628-7