Mord zwischen Wiener Burg und Berliner Ensemble

„Nach dem Applaus“ von C.-U. Bielefeld und P. Hartlieb

Ein Doppel-Hauptstadt-Theater-Krimi

WaSa  – Nein, trotz des einen Verfassernamens: kein Lippe-Krimi, noch nicht mal ein OWL-Krimi. – Aber: Eine sehr reizvolle Idee – nach all den Provinzkrimis aus dem Allgäu, aus Landshut oder aus Hiddesen: endlich ein Hauptstadtkrimi! Ein Doppel-Hauptstadt-Krimi sogar! Aus den beiden deutsch(sprachig)en Hauptstädten Berlin und Wien (und vom edlen Diogenes-Verlag in der schweizer Wirtschaftsmetropole Zürich verlegt).

 

Auf die Idee kamen der Berliner Literaturkritiker Claus-Ulrich Bielefeld und die Wiener Buchhändlerin Petra Hartlieb während der Frankfurter Buchmesse (mehr dazu und zur Arbeitsweise der beiden im Interview mit dem österreichischen Buchhandels-Verband).

So schrieben sie denn ihren ersten Krimi („Auf der Strecke“, Mai 2011), der sowohl in Berlin als auch in Wien und in der Literaten-Subkultur (also auf vertrautem Terrain) spielt. Ein gutes Jahr später folgte „Bis zur Neige“ mit den Tatorten österreichisches Weinviertel und berliner Szenekneipe.

Mord im Theater-Milieu

Und jetzt, im August 2013: „Nach dem Applaus“, der Berlin-Wien-Krimi aus dem Theatermilieu. Der musste einfach kommen! Halten sich doch Berlin und Wien nach wie vor für DIE deutschsprachigen Theaterstädte (nicht ganz zu Unrecht, zugegeben, ohne Hamburg, München und und und ... abwerten zu wollen!).

 

Und nicht nur das! Der Berliner Kommissar heißt (fast) genau so wie das langjährige österreichische Theater-Enfant-Terrible: Thomas Bernhardt (jenem fehlte das t am Schluss). Inwieweit auch die Wiener Chefinspektorin Anna Habel reale Theaterwurzeln hat, ist mir noch nicht ganz klar. Immerhin gibt es eine namhafte Schauspielerin und Regisseurin namens Maria Happel, die in Wien und in Berlin viel mit Claus Peymann (siehe unten) gearbeitet hat ; und die im Burgtheater-„Sommernachtstraum“ den Puck (real) gespielt hat; also in dem Stück, das die Inspektorin Habel als letztes (fiktiv) gesehen hat.

 

Theater-Detektive

Sagen wir’s gleich: Für den Theater-Enthusiasten ist wohl das Faszinierendste an diesem Krimi der Spaß, selbst Detektiv zu spielen und – nein, nicht unbedingt den Mörder zu suchen; sondern nach Anspielungen aufs richtige Theaterleben zu fahnden; und Hinweise auf den realen Schauspielbetrieb zu entschlüsseln.

 

Das fängt mit den beteiligten Häusern an: Seiner absoluten Vorrangstellung in Wien verdankt das Burgtheater wohl, dass es im Roman beim richtigen Namen genannt wird. Allerdings weist sein Direktor Grüneis weder im Namen noch in der Personenbeschreibung irgendwelche Ähnlichkeit mit einem wirklichen Burg-Intendanten der letzten Jahrzehnte auf. Ganz anders in Berlin, wo sich in der Realität ein knappes halbes Dutzend Häuser den Rang als erste Spielstätte streitig machen. Der dortige Schauplatz heißt im Roman vermeintlich neutral „Berliner Theater“, doch ist unschwer das „Berliner Ensemble“ als Vorbild zu erkennen – bis hin zum Intendanten, der eindeutig Claus Peymann nachgebildet ist. Im Roman bezeichnet er sich als „Machete im kapitalistischen Dschungel“– weichspülende Literatenübersetzung von Peymanns Wunsch-Selbstbild als „Stachel im Arsch der Mächtigen“?

 

Als der Kommissar zur Befragung kommt probt der Intendant gerade („Hier inszeniert der Chef noch selbst“); einige Textfragmente lassen das Stück erkennen: Büchners „Leonce und Lena“, verschnitten mit der Erzählung „Lenz“ desselben Autors („Leonce und Lena“ steht tatsächlich auf dem Spielplan des BE, wenn auch nicht vom Chef selbst inszeniert).

 

Ein besonders fieser Gag des Romans: ein anderer alter Berliner Theater-Wolf ist gerade auf Freundschaftsbesuch bei Peymann: Frank Castorf, allem Anschein nach (auch wenn die Autoren ihm einen fürchterlichen Dialekt in den Mund legen). Der macht Reklame für sein eigenes Projekt: „den ‚Raub der Sabinerinnen‘ zusammen mit ‚Die ehrbare Dirne‘ von Sartre, ’n echtet Endzeitjemälde“. (Das habe ich zwar auf den realen Theaterspielplänen nirgends wiedergefunden, aber es passt genau zu einer früheren Castorf-Inszenierung: „Pension Schöller“ mit Heiner Müllers „Schlacht“).

 

Und dann gibt’s diesen und jenen Insiderspaß. Wenn der Kommissar Thomas Bernhardt den Intendanten Claus Peymann nach seinem Alibi fragt, so erklärt dieser, er habe in der fraglichen Zeit eine Hose gekauft! (Wenn Sie den Hintergrund nicht kennen, müssen Sie nicht mal googeln. „Claus Peymann kauft sich eine Hose und geht mit mir essen“ hat sogar einen eigenen Wikipedia-Eintrag!)

Tote und Ermittler

Tja, und sonst? Noch ein paar Klischees (im Theater schläft jede mit jedem .... aber bei der Polizei scheint das auch nicht viel anders zu sein). Ach so, ja, eine Leiche gibts natürlich auch: die begabte(?), jedenfalls sehr erfolgreiche, aber (Achtung: Klischee) von (fast) allen gehasste Schauspielerin. Und im Gefolge des Mordes noch einen weitereren. Und einen Mordversuch. Und einen Selbstmord (wenn ich richtig gezählt habe). Dazwischen, damit die Seiten voll werden: viel behäbige Ermittlungsarbeit. Gegen Ende eine dramaturgisch ziemich unnötige dramatische Szene (die Inspektorin geht verloren – typisches retardierendes Moment. Eines von vielen). Und am Schluss natürlich eine so hochdramatische wie unglaubwürdige Steigerung mit Schneesturm und Jagdgewehr. Und ganz zum Schluss dann der Täter (Achtung: Klischee – aber das kann ich jetzt natürlich nicht verraten).

Fazit also:

Ich hab’s gekauft, weil mich das Theatermilieu interessiert hat. Und da wurde ich gut bedient. Aber als Krimi? Die Vorläuferbände werde ich mir nicht anschaffen.

„Ein Fall für Berlin und Wien“:

Die Krimis von Claus-Ulrich Bielefeld und Petra Hartlieb

Auf der Strecke

368 Seiten, € (D) 10.90
detebe 24068, 5/2011
ISBN 978-3-257-24068-9


Bis zur Neige

480 Seiten, € (D) 16.90 
detebe 30008, 08/2012
ISBN 978-3-257-30008-6

 

 

Nach dem Applaus

400 Seiten, € (D) 14.90 
detebe 30018, 9/2013
ISBN 978-3-257-30018-5