„Schnapsidee“

Lippe-Krimi oder Polit-Thriller?

15. Jupp-Schulte-Krimi spielt großenteils in Berlin

 

 

 

 

 

 

„Berlin ist toll,
aber die Lipper sind hipper!“

 

 

g.WaSa     -    Lippe.     -      Nein, an lippisch-lokalpatriotischem Selbstbewusstsein fehlt es Jürgen Reitemeier und Wolfram Tewes nicht! Für den oben zitierten Schlusssatz ihres soeben erschienenen 15. „Lippe-Krimis“ lassen sie zur Hofladen-Party des alten Heidentaler Bauern Fritzmeier extra einen Schauspieler aus Berlin einfliegen, der mitten im tiefsten Lippe auch noch allen Ernstes verkündet: „Hier ist der Nabel der Welt.“

 

Wenn das so ist – warum muss dann „der Detmolder Provinzbulle“ Jupp Schulte diesmal einen Großteil seiner Ermittlungen in Berlin erledigen?

 

Regionalkrimi oder Polit-Thriller?

Warum? – Weil diesmal wirklich ein riesengroßes Rad gedreht wird! Wenn in früheren Krimis des Autorenduos gern mal eine abfällige Bemerkung über den Detmolder Bürgermeister fiel oder der Landesverbands-Vorsteher grandios in den April geschickt wurde, so hat es das Detmolder Ermittlerteam jetzt mit ganz anderen Kalibern zu tun: mit einem mächtigen Rüstungskonzern, einem hohen Ex-Bundeswehr-Offizier, einem korrupten Staatssekretär. Ja, selbst der legendäre MdB Jakob Maria Mierscheid lässt sich mal herab, Schulte den Weg ins Abgeordnetenhaus zu weisen!  

 

Den regionalen Bezug zu Lippe stellt der Abgeordnete Brenke her, der zwar aus dem Kreis Höxter kommt, zu dessen Wahlkreis „Höxter – Lippe II“ aber eben auch Detmold und Augustdorf gehören. Natürlich hat diese Krimifigur nichts mit dem echten Wahlkreisvertreter zu tun – was man deshalb betonen sollte, da der fiktive Brenke unwidersprochen als „faulster Abgeordneter des Bundestages“ bezeichnet werden darf, der nur nach Berlin ging, um der dauer-keifenden Ehefrau zu entkommen, und um sich in den angesagtesten Hauptstadt-Kneipen herumzutreiben, anstatt den schwiegerelterlichen Hof zu bewirtschaften.

 

Allerdings: ausgerechnet dieser träge Hinterbänkler ist so etwas wie der persönliche Geheimdienst ihrer Majestät: „sie“ selbst, „A.“, die Kanzlerin bestellt Brenke immer mal wieder zum konspirativen Wirsing-Rouladen-Essen in die traditionsreiche Künstlerkneipe „Schwarzes Ferkel“; und dabei erteilt „Angie“ ihrem „Spion und heimlichen Vertrauten“ geheimdienstliche Aufträge …

 

So auch diesmal! – Um was geht es eigentlich? Kurz: eine Industriellen-Offiziers-Politiker-Mafia plant, die Bundeswehr im Handstreich „zu privatisieren“ um noch bessere Geschäfte machen zu können. Der Truppenübungsplatz Augustdorf soll nach dem absehbaren Abzug der Briten den Anfang machen. Ein Whistleblower informiert Brenke – und wird beim Versuch, weitere Informationen zu übergeben, erschossen. Auch auf Brenke gibt es einen Anschlag, doch aus Versehen trifft es seinen Hofnachbarn in der ostwestfälischen Heimat. Und so kommt das Detmolder Ermittlerteam um Jupp Schulte ins Spiel.

 

Und nicht nur dadurch! Nein, als der Westentaschen-James-Bond Brenke seiner Chefin Bericht erstattet, will die Bundeskanzlerin einen Sonderermittler. Da trifft es sich gut, dass Jupp Schulte ein alter Schulkamerad Brenkes ist. Und als ob es kein BKA und keine „Dienste“ („sehr spezialisierte Leute“)  in Berlin gäbe, geschweige denn einen föderalen Staatsaufbau, wird der nordrhein-westfälische Landesbeamte Schulte per ordre de Angie nach Berlin abkommandiert.

 

Es folgt die krimiübliche Ermittlungsarbeit, diesmal zwischen Detmold, Höxter und Berlin. Und am Schluss ist der Doppelmörder tot, das Privatisierungskomplott aufgeflogen, der korrupte Staatssekretär seines Amtes enthoben. Nur die eigentlich Schuldigen, die Drahtzieher aus der Rüstungsindustrie, ziehen mal wieder ihren Kopf aus der Schlinge …

 

So weit, so gut. So weit, so realistisch. Denn dass die Konzerne in aller Regel ungeschoren und die Manager mit ungekürzten Boni davonkommen, konnten wir ja oft genug in der Zeitung lesen, egal ob da eine Bank gegen die Wand gefahren oder ob ganze Heerscharen von Autofahrern und Behörden hinsichtlich Verbrauchs- und Abgaswerten betrogen wurden.

 

Ein wichtiges Thema – verschenkt!

Und auch das Thema „Privatisierung von Staatsaufgaben“ haben die Autoren schließlich nicht erfunden! Man denke an die Maut, wobei der Staat zugunsten großer Konzerne auf immense Einnahmen verzichtet (eine „Public Private Partnersphip“, die erst kürzlich – wohlweislich in Geheimverhandlungen! – verlängert wurde); inzwischen wollen Schäuble & Co. den ertragsstarken Betrieb von Autobahnen gleich ganz den Finanzhaien auf dem Silbertablett servieren (ungeachtet breiter Kritik – von Wikipedia über den SPIEGEL bis zur Finanzmarktwelt).

 

Da hätte es zum großen Verdienst dieses Krimis werden können, das Thema Privatisierung mal differenziert und gut recherchiert einer breiteren Öffentlichkeit bewusst zu machen. Umso bedauerlicher, wie platt und oberflächlich das hier abgehandelt wird!

 

Fazit: ganz ordentlich!

Davon abgesehen: „Schnapsidee“ ist einer der besseren unter den Jupp-Schulte-Krimis, die ich bisher gelesen habe, wenn er auch nicht ganz an den Vorgänger („Lippische Seilschaften“) heranreicht: aktuelle Themen aufgreifend, leidlich spannend, gut zu lesen. Was mich besonders gefreut hat: längst nicht so weitschweifig wie andere Bände aus der Reihe; und vor allem: die inhaltlichen Schlampereien, die mich (nicht nur) im „Varusfluch“ so geärgert haben, fehlen hier (da käme ich mir geradezu kleinlich vor, würde ich darauf herumreiten, dass mir auf den letzten beiden Seiten doch noch ein kleinerer Lapsus aufgefallen ist).

Lippisches Lokalkolorit? – Berliner Szene!

Und das lippische Lokalkolorit – sonst eine der großen Stärken der Jupp-Schulte-Krimis? Das spielt diesmal leider keine so große Rolle. Man erfährt, dass der Landrat „neuerdings ein Roter“ ist; und im „Neuen Krug“ gibt’s ein paar Weizenbiere. Das finale Treffen findet – unter einem „großen Werbebanner der Detmolder Brauerei“ - im British Army Golf Club statt, wo dann noch eine wilde Verfolgungsjagd durch die Senne startet.

 

Ansonsten ist Berliner Szene angesagt. Wer die Autoren kennt, wird sich nicht wundern, dass dabei die Kneipen-Szene im Vordergrund steht. Das reicht vom Frühstück im „Freischwimmer“ übers Meeting im „Café Einstein Stammhaus“ bis zum bereits genannten konspirativen Treff im „schwarzen Ferkel“. Und die Kreuzberger Traditionskneipe „Wiener Blut“ wird gar zum schrillen Schwulenlokal befördert, nur damit Fritzmeiers neuer transvestitischer Freund den knorrigen lippischen Bauern mit den „hippen Lockäschäns“ in der „unchlaublichen Stadt Berlin“ beeindrucken kann.  

 

 

 

Jürgen Reitemeier, Wolfram Tewes:

 

Schnapsidee

 

Lippe-Krimi

 

Taschenbuch;      248 Seiten;    11,20 EUR

 

Verlag: Topp + Möller, Detmold, November 2016

ISBN-10: 3936867666

ISBN-13: 978-3-936867-66-4