Wer ist der Liebespaar-Mörder von Bielefeld?

„Nach Asche schmeckt die Nacht“ von Jörg Rosenstengel

Bemühter Auftakt für eine neue Lokalkrimi-Reihe

g.WaSa     -     Bielefeld „war immer eine Durchgangsstadt gewesen, eine unbedeutende Siedlung auf dem Weg von Ost nach West“.  Ein Manager schildert einer Geschäftspartnerin so seine Heimatstadt – vor-koitaler Small Talk, denn schließlich ist er nach dem Geschäftsessen mit ihr auf den einsamen Parkplatz oben an der Sparrenburg gefahren, weil das „ein Platz für Paare ohne Zuhause“ sei. – Unbegreiflich bleibt, warum sie nicht einfach in ihr Hotel gegangen sind – aber dann wären sie ja auch nicht im Auto verbrannt worden; die erste Tat des Bielefelder Liebespaarmörders hätte nicht stattfinden können. 

 

Kein Mord – kein Fall – kein Krimi. Und Krimi muss nun mal sein. Lokalkrimi, Bielefeld-Krimi, genauer gesagt: eine ganze Bielefeld-Krimi-Reihe. Denn offensichtlich sind Folgebände geplant. Darauf deutet nicht nur der Untertitel hin: „Timo Senners erster Fall“.

Die Ermittler und ihr Fall:

Aber zunächst einmal ist Hauptkommissar Senner mit diesem Fall vollauf ausgelastet. Und mit ihm sein ganzes Team – eine eigentlich sympathische Horde von Menschen wie du und ich: Manu Basani, deren Vater im Sterben liegt, der Spurensicherer Mehmet Yalcin, Andreas Lohmeier, der Geisteswissenschaften studiert hatte und ein Zitat von Rimbaud erkennt, von einem Dichter also, mit dessen Namen der – krimiüblich muffige – Chef Werner Schalk („Sozialdemokrat“, also schon deshalb „kein Rassist“) nichts anfangen kann. Dann ist da noch Reinhard Nitze, verhinderter Kleingärtner mit Eheproblemen, und schließlich Timo Senner selbst: allem Anschein nach glücklich verheiratet, zurzeit jedoch Strohwitwer (die Frau promoviert an einer amerikanischen Uni) und Alleinverantwortlicher für den dreijährigen Sohn, welcher allerdings den größten Teil der Zeit bei Mamas Eltern verbringt, da Papa ja den Liebespaarmörder jagen muss.

 

Denn der hat schon ein zweites Pärchen brutal „frittiert“, ein drittes entkommt ganz knapp – übliche Krimi-Dramaturgie halt. Übliche Krimi-Dramaturgie bestimmt auch den Gang der Handlung: die Ermittler ermitteln, stecken fest, erleiden Rückschläge, die attraktive Profilerin  Julia van Everen stößt zum Team – was Gelegenheit bietet, alles noch mal durchzukauen, und so weiter … Mehrere Ermittlungsansätze verlaufen einfach im Sand – und man hat den Verdacht, dass dies weniger die frustrierende Polizeiarbeit zeigen als vielmehr schlicht Seiten füllen soll.

 

Gegen Ende haben sie dann – Krimi-Routine! – ihren Täter. Wer es ist, ist überraschend, wenn auch gut nachvollziehbar – wenn er’s denn wirklich gewesen wäre …

Regionalfaktor:

Bielefeld also … Einmal wird über die Misere von Arminia gesprochen. Mal reißt einer im „Elephant Club“ ein paar Typen auf. Aber schafft das schon Lokalkolorit? Klar – der erste Mord passiert auf der Sparrenburg – genauer gesagt, auf einem Parkplatz mit Blick auf die Lichter der Stadt. Solche Parkplätze gibt’s wohl auch in Reutlingen und in Eisenach. Eine Henry-Moore-Skulptur steht auch in Stuttgart. Mag sein, dass ein Kenner der Bielefelder Gastronomie-Szene das eine oder andere Lokal wiedererkennt. Aber viel gibt‘s da nicht zum Wiedererkennen. Wir erfahren noch nicht einmal den Titel der örtlichen Zeitung: Wenn Stapel davon auf einem Müllhaufen liegen, ist nur von „Lokalzeitung“ die Rede, wogegen die daneben liegende „Neue Revue“ beim Namen genannt wird. Ein „Hans-Joachim-Friedrichs Gymnasium“ - gibt’s das überhaupt in Bielefeld? Das „Klinikum Mitte“ gibt es zwar, aber so ähnlich womöglich auch in Hamburg oder Berlin. Was es sicher in Hamburg und Berlin gibt: eine Szene, in der Autos abgefackelt werden – wogegen sich die Pressestelle der Bielefelder Polizei an solche Vorfälle in den letzten Jahren „spontan nicht erinnern“ kann. Da klingt der Vergleich Bielefelds mit den Metropolen ziemlich hochstaplerisch: „Wie in Hamburg und Berlin trieb sich seit Jahren eine Gruppe von Brandstiftern in den Straßen der Stadt herum“.

Zeitkolorit:

Gelungener als das Lokal- ist das Gegenwarts-Kolorit in den „Bielefeld-Krimi“ eingearbeitet – ziemlich geschickt, Respekt! Der Roman spielt während ein paar extrem heißer Julitage eines ungenannten Jahres; gelesen habe ich ihn in den (nicht weniger) heißen Tagen Ende Juli/Anfang August 2015 und kann deshalb gut nachvollziehen, wie die brütende Hitze jede Aktivität hemmt. Wir sind mitten im Klimawandel, was der Autor – ohne missionarisch oder gar penetrant zu wirken – immer wieder thematisiert. Darüber hinaus gibt’s noch ein bisschen Wirtschaftskrise und ein klein bisschen Hartz IV …

Erotikfaktor:

Wir leben in unerotischen Zeiten. Auf Studentenpartys wird gegrillt, getrunken, gekifft, geklaut … aber offenbar nicht gevögelt. Wenn zwei – nach langem Anlauf – dann doch im Whirlpool landen, wartet dort schon der Liebespaarmörder! Klar: ein Liebespaar-Serienmörder bedarf schon einiger Liebespaare mehr – welche politisch korrekt nahezu gleichberechtigt den Schubladen „hetero“, „schwul“ und „lesbisch“ entnommen werden, ansonsten aber eher unauffällig bleiben. Auch auf Ermittlerseite wird in Sachen Erotik nicht viel geboten: die schöne Profilerin scheint als Nonne zu leben; der Strohwitwer-Held sehnt sich nach der fernen Ehefrau, die Ehen der Kollegen sind entweder schon wieder geschieden oder im Strindberg-Stadium angekommen. Einziger Lichtblick: Sunnyboy Matze May,  der eigentlich keine große Lust auf Sex hat, „aber dafür eine ziemlich gute Quote“: wenn mal einer eine attraktive Nackte in der Badewanne findet, ist er es, und wenn eine Zeugin spät abends noch in privatem Ambiente eine Aussage machen will, dann sucht sie sich ihn dafür aus … 

Sprache und Stil:

Rosenstengels Text liest sich mühelos, zumeist schreibt er klare, verständliche, schnörkellose Sätze. Das gilt auch für die Aussagen, die er seinen Figuren in den Mund legt. Vielleicht reden die deshalb alle gleich: Der Penner wie der Manager, der Ermittler wie der Soziologie-Professor („Koryphäe für dynamische Instabilitäten“ – natürlich Luhmann-Schüler – ein Punkt für Lokalkolorit). Ein oder zweimal bringt Timos Sohn geringfügig vereinfachte Sätze zustande, ansonsten redet auch der windeltragende Dreijährige wie ein Erwachsener.

 

Den Puristen mögen die vielen Sprachschlampereien stören (gleich auf der 5. Textseite steht „jenachdem“ und dass „ein Bestand von Buchen die Sicht einschränkten“). Nun gut - wer weiß heutzutage schon noch, dass das Gleiche nicht dasselbe ist! Und dass – dauernd! – „das“ und „dass“ verwechselt werden, das ist – zumal bei Lokalkrimiautoren – ohnehin Standard, ebenso, das es kein Lektorat mehr gibt, dass so was erkennen könnte (haben Sie mich jetzt erwischt? Glückwunsch!). - Mit der „faunischen“ ist wohl eine „faunistische Kakophonie“ gemeint und mit dem „Brooker“ der „Broker“ …

 

Und dann ist da noch die Sache mit der Poetik. Laut Umschlagtext ist dieser „Thriller …. poetisch bis zur letzten Seite“. Klar – folgende Formulierungen (oder auch gleich den Buchtitel) mag man „poetisch“ finden: „Durch Hautschichten spürte er ihr pulsierendes Blut. Jedes einzelne Blutkörperchen“ oder: „die steil aufragenden Eichenhaine malten wohltuende Schattenoasen in die Landschaft“  - wer nicht Marketing-Beauftragter eines Verlages ist, darf so was allerdings auch als Schwulst bezeichnen. Zu besonderer Form läuft Rosenstengel immer auf, wenn es um Himmelskörper geht: da „ächzte (Bielefeld) unter dem Zungenkuss der Sonne“ (wenn dabei keine 50 shades of yellow rauskommen!), und selbst der Neumond strahlt bei ihm hell vom Himmel!

Schluss? Oder Cliffhanger?

Bei Fortsetzungsserien – ob gedruckt oder im Fernsehen – sind „Cliffhanger“ unverzichtbar: die spannende Stelle ohne Auflösung am Ende einer Folge, so dass der Konsument geradezu gezwungen ist, sich auch die nächste Folge reinzuziehen. Bei Krimireihen ist so was eigentlich nicht üblich.

 

Und hier? Der Verdächtige, gegen den sämtliche Indizien, um nicht zu sagen: Beweise, sprechen, stirbt am Ende. Zuvor erklärt er noch – durchaus glaubwürdig – „Ich war es nicht“. Als geübter Krimileser hat man sofort einen neuen Verdacht …. Aber daraus ergeben sich neue Fragen … Ein weiteres kommt hinzu (was man hier noch nicht verraten sollte) … kurz: Die Geschichte schreit nach einer Wiederaufnahme. Typischer Cliffhanger, eben: gut für den Autor, der ein weiteres Buch schreiben muss, gut für den Verlag, der neuen Umsatz macht …

 

Nicht mit mir! So was ärgert mich! Ich kann auch gut ohne eine Fortsetzung leben. Falls Sie das nicht können – dann bringen Sie sich erst gar nicht in Versuchung - verzichten Sie von vornherein auf diesen Krimi. Es gibt tausend ebenso gute. Und hundert bessere. Mindestens.

 

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Nach Asche schmeckt die Nacht

von Jörg Rosenstengel

Bielefeld 2013

AJZ-Verlag

284 Seiten, 12,80 EUR

ISBN-10: 3860390287

ISBN-13: 978-3-86039-028-3

 

 

Unter dem Titel „Brennende Liebe“ erschien ein identischer (?) Text bereits 2012 im epubli-Verlag