Pygmalia liebt nicht mehr

Stadttheater Bielefeld – Theater am Alten Markt:

das maß der dinge (the shape of things) - von Neil LaBute

Deutsch von Jakob Kraut

 

Inszenierung:          Michael Heicks       

Ausstattung:           Annette Breuer

Animation:              Hendrik Dorgathen 

Dramaturgie:           Harald Sänger

 

                                        

(g.wasa     -     Bielefeld. )     Mit „Bash“ war Neil LaBute der Shooting-Star der vorigen Saison, mit dem „Maß der Dinge“ hat er gute Aussichten, den Erfolg zu wiederholen. Die von Bauersima inszenierte deutschsprachige Erstaufführung (in Koproduktion mit der Wiener Burg) galt den Kritikern als einziger Schauspiel-Lichtblick bei den sonst trüben Salzburger Festspielen.

 

In Salzburg bekam jeder Besucher die schriftliche Warnung: „Der Plot ist so vergnüglich, dass ein Freund, der mir den Inhalt erzählt, nicht wirklich mein Freund ist. Erhalten Sie sich Ihre Freunde! Verraten Sie den Schluss nicht!“ – Diese berechtigte Aufforderung in Ehren – aber wie soll man über dieses Stück schreiben, ohne auf den Schluss einzugehen? Zudem dürfte sich dieser Schluss inzwischen herumgesprochen haben, schließlich wird das „Maß der Dinge“ landauf – landab gespielt. Und wenn Sie ihn noch nicht kennen? Dann folgen Sie einfach der Pauschal-Empfehlung: Dieses vergnügliche Kunst-Stück erst mal ansehen (egal, ob in Bochum, in Bielefeld oder in Münster) und den Rest dieses Textes danach lesen!

 

Dabei ist das Thema – zunächst – sehr alltäglich: Ein prononciert-unscheinbarer College-Student mit dem sprechenden Namen Adam wird von der selbstbewusst-hübschen Eve(-lyn) aufgegabelt und völlig neu gestylt. Adam ist plump, kaut Nägel, trägt dicken Bauch, dicke Brille und fettige Haare ohne Frisur zum Holzfäller-Outfit. Mittels Überredung und Sex animiert ihn Evelyn (sehr glaubwürdig: Lisa Wildmann) zu ein „bisschen Joggen“, zu Tommy-Hilfiger-Klamotten und chirurgischer Nasenkorrektur. Es ist tatsächlich beeindruckend, wie sich Nico Nothnagel vom alten Adam zum jugendlich-strahlenden Helden entwickelt. Beeindruckend, aber eben doch alltäglich, in einer Zeit, in der sich nicht nur Stars und Sternchen „korrigieren“ lassen, in der vielmehr auch der SPIEGEL seine Titelgeschichte „Operation Schönheit“ dem Body-Optimierer von nebenan widmet. Später wird Evelyn darauf hinweisen, dass die äußere Verbesserung mit einer bedenklichen Charakter-Talfahrt einhergeht.-  Zufall? Genau einen Monat vor der Salzburger Premiere beschrieb die SZ unter dem Kafka-Titel „Die Verwandlung“ (Adam: „Ich bin nicht Gregor Samsa“), wie ein Image-Berater „Edmund Stoiber vom Talk-Show-Stotterer zum beinahe eloqenten politischen Wahlkampfredner“ mutieren ließ.

 

Und darum also die ganze Geheimnistuerei? – Gemach, die Pointe kommt erst (spätestens hier sollten Sie also zu lesen aufhören!): Evelyn hat „ihren“ Adam keineswegs aus Zuneigung entwickelt; vielmehr ist er für sie nichts weiter als menschliches „Ausgangsmaterial“ für ihre Examensarbeit im Fach Kunst, ihr „Skulptur-Dings“. Bei der finalen Präsentation fällt er (der mit einem „Ja-Wort“ gerechnet hat) ebenso aus allen Wolken wie der unvorbereitete Zuschauer. Damit wird die Satire auf die narbenreichen Schönen zu einer Parabel über Ethik in der Kunst. Dem amoralischen „Kunst darf alles“ Evelyns setzt Adam das Postulat von Grenzen entgegen, an die sich der wahre Künstler gebunden fühlt. Noch schöner als in Rezas „Kunst“ wird die Fragwürdigkeit einer grenzen-losen, also beliebigen Kunst in einem Dialog-Fetzen vor Augen geführt. Als Evelyn gesteht, dass ihre ganze Beziehung auf Lügen aufgebaut war, will Adam wissen, ob sie ihm zumindest ihr richtiges Sternzeichen genannt hat:

 

A: ... wenigstens Zwilling?

E: Nein, Fisch. Sorry.

A: Schon gut. Hey, ist doch ... Kunst

 

In Bielefeld tut man sich etwas schwer mit dieser Kunstschelte. In typisch deutscher (aber beileibe nicht unberechtigter) Angst vor dem „Entartungs“-Vorwurf wird die Kritik Adams (laut-) stark überzeichnet. Zum Schluss wird Adam wieder zum Alten: er schlüpft zurück in seine alte Holzfällerjacke und in alte Fress-Gewohnheiten. LaButes Text ist da geheimnisvoll-versöhnlicher.

 

Übrigens hat LaBute das Pygmalion-Ende seiner Geschichte schon früh angedeutet, wenn Adam die verständnislose Evelyn mal ironisch mit „‘enry  ‘iggins“ anspricht. In Bielefeld hat man auch das weg gelassen – oder hab‘ ich’s nur überhört? Möglich, denn in der richtigen Absicht, eine flotte Komödie zu spielen, ist Heicks über das Ziel hinaus geschossen: Über weite Strecken verlaufen die Dialoge gar zu hektisch, was die Verständlichkeit beeinträchtigt, insbesondere, wenn die Darsteller ins Lachen des Publikums hinein sprechen. Aber wie heißt es im Text: Zur Perfektion fehlt eben oft eine Kleinigkeit. Das gilt auch für die Rolle der Jenny: Nicole Paul ist ein Erlebnis als Darstellerin dieser spießigen Kontrastfigur. Aber ihr gehäkeltes Kindergarten-Mützchen verschiebt ihr Äußeres unnötig in Richtung Bauerntrampel.

 

Nach wohlverdient-reichlichem Premieren-Beifall war dieser schon am Ersterben; da haben es einige wenige Klatschkünstler doch noch geschafft, die in Bielefeld obligatorischen stehenden Ovationen herauszukitzeln – ein schöner Beleg für Evelyns Auffassung vom „menschlichen Geist“ als (neben dem menschlichen Fleisch) „sehr formbaren Material“.