Salzburger Festspiele:

Mützen – Brillen - Identitäten

Shakespeares selten gespielte „Komödie der Irrungen“ als Revue

„I see we still did meet each other’s man,

And I was ta’en for him, and he for me,

And thereupon these errors are arose.  …

Me thinks you are my glass, and not my brother:

I see by you: I am a sweet-fac’d youth …“   (V, 1)

 

 

(alle Fotos: Salzburger Festspiele)

g.WaSa     -     Gutes Theater müsse polarisieren, kann man gelegentlich lesen. Wenn das stimmt, und falls auch der Umkehrschluss erlaubt wäre (= Theater, das polarisiert, muss gut sein), dann hätten wir bei den diesjährigen Salzburger Festspielen auf der Perner-Insel  gewiss gutes Theater gesehen. Henry Masons Inszenierung von Shakespeares „Komödie der Irrungen“ hat nämlich sehr unterschiedliche Kritikerreaktionen ausgelöst. Das Lob reichte vom nüchternen „handwerklich solide“ über das begeisterte „eindrucksvolles Gesamtkunstwerk“ bis zum ekstatischen: So witzig, so festlich, so überwältigend kann Theater sein“. – Das konnten natürlich all die hoch-intellektuellen Bedeutungshuber so nicht stehen lassen: Nein! Das sei ein auf den seichten Geschmack eines Salzburger Schicki-Micki-Publikums hin-inszeniertes "Unterhaltungstheater ohne Konzeption“ mit „Pointen anstatt Deutungen", eine „altbackene“, „banale“, „alberne Kitsch- und Klischee-Revue“, „very very light."

 

Was hatte sich da ereignet? – Ja, da gibt es tatsächlich einen Regisseur, der eine gute Shakespeare-Komödie aus dem unverdienten Beinahe-Vergessen herausholt, sie ins Deutsche übersetzt und dann so inszeniert, wie Shakespeare sie geschrieben hat. Man wagt es kaum zu glauben, dass es so etwas noch gibt!  zumal nach den Erfahrungen mit „Clavigo“ und der „Eroberung von Mexico“.

 

Und dabei lässt Mason keineswegs einfach nur den Text herunterspielen; vielmehr zeigt er durch ein paar Akzente eine eigene Regiehandschrift, gekennzeichnet durch handwerkliches Können, bilderfreudige Phantasie und Mut zum gelegentlichen Experiment! Umso besser, wenn er dabei durch ein gleichgesinntes und fähiges Regie-Team unterstützt wird!

 

Aber der Reihe nach:

Das Stück:

Die Komödie der Irrungen (Comedy of Errors) ist wohl um 1592 entstanden und ist somit eines der frühesten, womöglich überhaupt das erste Stück Shakespeares. Vielleicht deshalb, und weil der Autor auf zwei antike Vorbilder von Plautus zurückgegriffen hat („Menaechmi“ = „Die Zwillinge“ und „Amphitruo“, das wir in den Fassungen Molières und Kleists kennen), kann man immer wieder den Vorwurf lesen, es handle sich dabei um ein „schwaches“ Stück, sozusagen eine „Übungsarbeit“ des jungen aufstrebenden Schriftstellers. Tatsächlich denkt man beim flüchtigen Lesen schon immer mal wieder: jetzt reicht’s aber, mit den immer komplizierteren Verwechslungen, den sich jagenden Irrtümern, der bedrohlich ins Tragische deutenden Verwirrung (zum Glück steht das Wort „Komödie“ bereits im Titel, übrigens das einzige Mal bei Shakespeare) …

Denn worum geht's?

Emilia, die Frau eines reichen Kaufmanns, bringt Zwillingssöhne zur Welt. Die zur selben Zeit geborenen Zwillinge einer armen Frau erwirbt der Kaufmann als (künftige) Diener für seine Söhne. Bei einem Schiffsunglück wird die Familie getrennt: Frau und Mann, mit jeweils einem Sohn und einem Diener, verlieren sich. Als junger Erwachsener macht sich einer der Zwillinge, Antipholus von Syrakus, mit seinem Diener Dromio auf, den Bruder zu suchen. Nach sieben Jahren kommt er nach Ephesus, wo ein Antipholus als geachteter Bürger mit seiner Frau Adriana und seinem Diener Dromio lebt. Bevor sich die beiden Zwillingspaare als solche treffen und erkennen, kommt es zu zahlreichen Verwechslungen …

 

Im Laufe seiner Dichterkarriere sollte sich Shakespeare (= selbst Vater von Zwillingen) noch als Meister der Geschichten von getauschten, verwechselten, verlorenen Identitäten erweisen – wobei in all seinen Komödien der Identitäts-Verwechslung immer auch die Tragödie des Identitäts-Verlustes mit angelegt ist. So auch schon hier, in der „Komödie der Irrungen“, die zwar reichlich mit derb-komischen Szenen aufwartet, die aber auch und vor allem immer wieder die tiefgründige Frage „Wer bin ich“ aufwirft und zwischen den Positionen „ich als Individuum“ / „mein Zwilling und ich“ / „ich als Teil der Masse Mensch“ einen Standort sucht – sprachlich wunderbar formuliert von Antipholus von Syrakus in „dem ersten von Shakespeares großen Monologen“ (James Shapiro):

 

 „In dieser Welt bin ich ein Wassertropfen,
der einen zweiten sucht im Ozean; …  
doch unerkannt verschwimmt er unter vielen“

 

Und so wächst denn die Begeisterung für die „Irrungen“ mit dem Maß der Beschäftigung mit dieser Komödie, zu beobachten etwa beim Übersetzer Frank Günther („Lehrling Shakespeares Meisterstück“), beim Shakespeare-Experten James Shapiro („brillante Komödie komisch und tiefgründig zugleich“; Salzburger Programmheft, S. 7) oder eben beim Regisseur Henry Mason.

Die Sprache:

Wie in fast allen Stücken Shakespeares wimmelt es auch in dieser Komödie von Wortspielen: witzig bis derb, dümmlich bis raffiniert … für Übersetzer immer eine harte Nuss, die selten so ganz überzeugend geknackt wird. Da verdient es durchaus Anerkennung, dass Henry Mason seine eigene Übersetzung erarbeitet hat, welche gerade auch für die Shakespearschen Sprachspielereien immer wieder angemessene deutsche Entsprechungen findet (als in Deutschland/Österreich aufgewachsener Sohn eines Engländers und einer Neuseeländerin verfügt er wohl über die dafür nötigen Voraussetzungen). Klar – manchmal klappern seine Verse schon recht heftig (aber das hatte ich mir viel schlimmer vorgestellt, als ich in der Ankündigung gelesen hatte, Mason habe „monatelang zwischen Wörterbüchern und Reimbüchern gesessen“).

Die Ausstattung:

Michaela Mandel hat die geräumige Bühne auf der Perner-Insel unter Wasser gesetzt. Lediglich um wenige Zentimeter ragt – fast wie ein Floß – der Bretterboden von Ephesus aus den Fluten, erreichbar nur über schmale Stege. Das sparsame Bühnenbild wird dominiert von einem riesigen Berg wüst aufeinander gestapelter Stühle – Sinnbild der allgemeinen Unordnung und Verwirrung? Das Wasser evoziert den Ausgangspunkt der Geschichte: das Schiffsunglück, aber auch allgemein die Gefahren einer Übersee-Reise, die im Stück mehrfach heraufbeschworen werden, noch allgemeiner: die dauernde Gefahr für jedes Individuum, in einer anonymen Flut unterzugehen („doch unerkannt verschwimmt er“). Erst ganz am Schluss, wenn sämtliche Unklarheiten beseitigt sind (Shakespeares Text sieht nun allgemeine Party im benachbarten Kloster vor), planschen alle fröhlich im Wasser.

Zentrales Requisit ist eine Uhr:  Das Verstreichen der Zeit ist von dramatischer Bedeutung für einen Nebenstrang der Handlung: Der Vater der Zwillinge, zufällig auch grad in Ephesus, muss bis zum Abend 1000 Mark Lösegeld aufbringen, sonst wird er hingerichtet (nur gut, dass man bald so en passant erfährt, dass einer der Söhne grad 1000 Mark zur Verfügung hat – da müssen sich die beiden nur noch rechtzeitig finden).

Jan Meiers Kostüme verweisen auf eine etwas überholte Gegenwart mit phantastischen Auswüchsen (beabsichtigt war, die 1950er/1960er Jahre heraufzubeschwören): da sind der seriös-blaue Anzug des dynamischen Geschäftsmannes Antipholus, der praktische Berufsdress der Köche und die gehoben-schicken Party-Fähnchen der Damen des Hauses; da gibt es aber auch den Zirkusdirektoren-Frack des Goldschmieds (aha?), die Operetten-Carabinieri-Uniformen der Wachtmeister und die skurrile Ausstattung des Hauspersonals. Und es gibt – und das ist durchaus als programmatische Aussage gemeint – das Mafia-Outfit, in dem das Personal des Gouverneurs (heute würde man sagen: die Staatsdiener) dem Volk von Ephesus (und dem Zuschauer) entgegen tritt.  

Die Inszenierung:

Es stimmt schon: es gibt so einiges an Spektakel. Aber sollte man das wirklich dem Regisseur zum Vorwurf machen? Hat nicht Shakespeare sogar in seine Tragödien einiges an Spektakel hineingeschrieben?  Was als Zutat Masons deshalb eher auffällt, ist die Musik: im Hintergrund swingt eine Combo, die Nachtclubsängerin mutiert wie selbstverständlich zum Gspusi des Gouverneurs; wiederholte Songeinlagen machen die Komödie zur Revue, fast zum Musical: „What a Difference a Day Made“, könnte als Motto über dem Stück stehen; „Take my Hand, I am a Stranger in Paradise“ (aus dem Musical „Kismet“ von 1953), sülzt der fremde Antipholus, als er sich in die Frau verliebt, die ihn für den Mann ihrer Schwester hält.

 

Revue-Charakter haben auch die Show-, Tanz- und Akrobatikeinlagen: zum Beispiel wenn im Hause Antipholus der Tisch gedeckt wird: eine köstliche Parodie auf die Show, wie sie in manchen Edelrestaurants abgezogen wird.

Die bemerkenswerteste Regie-Entscheidung war, die beiden Zwillingspaare von jeweils einem Darsteller spielen zu lassen. (Andererseits lässt Mason zusätzlich zwei halbwüchsige Knaben, echte Zwillinge, auf der Bühne allerhand Allotria treiben.) Wie soll das gehen, wenn die aufeinander treffen?, fragt man sich, erwartet irgendeine (hoffentlich nicht allzu peinliche) Notlösung – und ist dann hellauf begeistert von Masons Lösung:  Florian Teichtmeister verwandelt sich im Handumdrehen, im Mützenumdrehen vom einen Diener Dromio (blau-grüne Seite der Mütze) in den andern (rot-gelbe Kehrseite). Und die beiden Antipholusse (klassisch gebildete sagen: Antipholi – warum eigentlich nicht Antipholūs?) unterscheiden sich dadurch, dass Thomas Wodianka mal Brille trägt, mal nicht.

 

Und die Gelegenheiten, wo tatsächlich zwei Zwillinge gleichzeitig auf der Bühne sind, werden zu Highlights des Abends! Wenn der eine Dromio – vor der Tür – Einlass in das Haus seines Herrn begehrt, und der andere Dromio – hinter der Tür – ihm diesen Einlass verweigert, so drehen nicht nur die beiden Dromios, dreht nicht nur der eine Dromio-Darsteller mit behender Fingerfertigkeit seine Mütze, wechselt mit atemberaubender Geschicklichkeit zwischen Innen und Außen hin und her, nein: auch die Tür selbst wird zur Aktrice, die virtuos den Platz sucht und findet, an dem sie jeweils gebraucht wird.

 

Und weil der Spaß daran so groß war, hat Mason gleich noch eine Szene eingefügt, besser gesagt: zwei Szenen gegeneinander geschnitten, die man im Originaltext nur vom Hörensagen kennt:

Während Antipholus von Syrakus im Hause seines Bruders mit dessen Frau (die ihn natürlich für ihren Mann hält) diniert, verbringt Antipholus von Ephesus ein feucht-fröhliches Schäferstündchen außer Haus. Und so darf also – allein mittels Scheinwerferlicht – mal Antipholus (mit Brille) heftig mit „Kitty Sahne“ (die bei Shakespeare einfach „Kurtisane“ heißt) flirten, mal (ohne Brille) sich wundern, was diese angebliche Ehefrau von ihm will.

Das Publikum ...

… hat nicht nur diese Szenen mit Zwischenapplaus bedacht, es hat auch am Ende brav geklatscht – nicht gerade frenetisch; allzu viel Begeisterung mag dieses Salzburger Publikum (siehe oben) traditionellerweise nicht zeigen, zumal, wenn’s nicht die Premiere ist. Aber auf der Heimfahrt, im Bus zurück nach Salzburg, da war dann reichlich begeistertes Lob zu hören.

PS:

Glücklicherweise hat Antipholus von Syrakus darauf verzichtet, die schöne Komödie gleich im Keime zu ersticken: dabei hätte er – der ja erklärtermaßen ausgezogen war, seinen Zwilling zu suchen - sich während des ganzen Durcheinanders nur einmal erkundigen müssen, ob es wohl in Ephesus jemanden seines Alters, seines Aussehens und seines Namens gäbe …

Salzburger Festspiele, Perner-Insel:

 

Die Komödie der Irrungen

Von William Shakespeare

Übersetzung und Fassung von Henry Mason

 

 

 

Regie:                                        Henry Mason

Musikalische Leitung:               Patrick Lammer

Bühne:                                      Michaela Mandel

Kostüme:                                   Jan Meier

Licht:                                         Mario Ilsanker

Choreographie:                         Simon Eichenberger

 

Antipholus von Syrakus /

Antipholus von Ephesus:         Thomas Wodianka

Dromio von Syrakus /

Dromio von Ephesus:               Florian Teichtmeister

Adriana:                                     Meike Droste

Luciana:                                    Elisa Plüss

Herzog / Diener:                        Marcus Bluhm

Egeon:                                       Roland Renner

Äbtissin Emilia /

Hausmädchen / u. a.                 Barbara de Koy

Hausmädchen /

Nachtclubsängerin /

Hure u. a.:                                 Karola Niederhuber

Kitty Sahne, Kurtisane /

Mafioso u. a.:                            Claudia Kottal

Juwelendealer /

Mafioso u. a.:                            Claudius v. Stolzmann

Angelo, Goldschmied /

Mafioso u. a.:                            Alexander Jagsch

Balthasar, Priester /

Geschäftskollege u. a.:             Rafael Schuchter

Wachtmeister:                           Reinhold G. Moritz

2. Wachtmeister /

Butler, Dr. Zwack u. a.:             Christian Graf

Die Zwillinge:                            Theodor und Konstantin Gutternig

Die Musiker:                              Bernd Satzinger

                                                   Patrick Lammer

                                                   Hubert Bründlmayer