Ach! - Was soll das?!

Berliner Volksbühne feiert 100-jähriges Jubiläum mit seltsamer „Revue“

„Ach, Volk, du obermieses - Eine Revue am Bülow-Wessel-Luxemburg-Platz“

„Ach Volk, du obermieses,

Auf dich ist kein Verlass.

Heute willst du dieses,

Morgen willst du das.“   

(Peter Hacks)

 

„Wäre es da nicht doch einfacher,

die Theater schlössen das miese Volk aus

und wählten sich ein anderes?"

(Bertolt Brecht, leicht abgewandelt)

 

 

 

„Theater, denen es nicht mehr gelingt,

die Frage ‚WAS SOLL DAS?‘ zu provozieren,

werden mit Recht geschlossen“

(Heiner Müller)

 

Theater, die nicht willens oder fähig sind,

diese Frage zu beantworten,

sollten gar nicht erst öffnen

 (G. WaSa)

 

 

 

Ein böses Omen ...

(Fotos: Thomas Aurin, Volksbühne)

WaSa     -     Dem unauffälligen Herrn fortgeschrittenen Alters schwante Fürchterliches, als er den Saal betrat und erkennen musste, dass die ersten acht Zuschauerreihen zugunsten einer vergrößerten Bühne abgebaut waren. Damit saß er, der sich einen unauffälligen Sitzplatz mitten in der 9. Reihe gekauft hatte, plötzlich ganz vorne. „Das darf man hier auf keinen Fall“, erklärte er uns. Denn entweder werde man vollgespritzt oder – noch schlimmer! – „man muss hier mitmachen!“ (Tatsächlich wurde in diesem Raum vor Jahren mal mit Kartoffelsalat geworfen – worauf man hier immer noch so stolz ist, dass es auch an diesem Abend thematisiert wird. Und zum „mitmachen“ kommen wir noch.)

 

Hier“ – das ist die Berliner Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz. Die wechselnden Adressbezeichnungen zeigen den historischen Rahmen für dieses Haus: als es gebaut wurde, war der Platz noch nach dem kaiserlichen Diplomaten und Reichskanzler Bernhard Graf Bülow benannt; später war der Nazi-Barde Horst Wessel Namenspatron.  

Die Volksbühne: proletarische Geschichte & Elite-Personal

Geblieben ist die Volksbühne. Eine Institution! Nicht erst unter ihrem „ewigen Intendanten“ Frank Castorf (seit 1992) gehört sie unangefochten zu den ersten Häusern der Hauptstadt und damit der ganzen Republik. Mit Recht ist sie stolz auf ihre proletarische Geschichte: der Name „Volks“-Bühne ist programmatisch, erst recht der Vereinsname „Freie Volksbühne“ für den Verein, der sich schon im ausgehenden 19. Jahrhundert ein eigenes Haus wünschte, das dann 1913/1914 gebaut werden konnte – wesentlich mitfinanziert durch Mitgliederspenden, die man bis heute (vielleicht etwas idealisierend) gerne „Arbeitergroschen“ nennt.

 

Von Anfang an hatte das Haus prominente Intendanten: Max Reinhardt, Heinz Hilpert, Benno Besson. - Erwin Piscator als Oberspielleiter (1924 – 27) machte die Volksbühne endgültig zum politischen Theater und eröffnete auch formal neue Wege. Die Liste der Regisseure ist ebenso eindrucksvoll wie die der Darsteller – allein in der Castorf-Ära zum Beispiel: Marthaler, Schlingensief, Gottscheff, Pollesch; Henry Hübchen, Sophie Rois, Corinna Harfouch, Birgit Minichmayr, Martin Wuttke ....

 

Kein Wunder, dass man jetzt zum 100. Jubiläum mal so richtig feiern möchte!

 

Alberne Revue zur 100-Jahr-Feier

Äußerst verwunderlich allerdings, dass man dazu eine derart alberne, nichtssagende, unprogrammatische „Revue“ auf die Bühne bringt.

 

Oder doch nicht unprogrammatisch? Ziemlich zu Anfang zitiert Jürgen Kuttner den großen Heiner Müller, der zu einem früheren Jubiläum der Volksbühne lobend ins Stammbuch geschrieben hatte: „Theater, denen es nicht mehr gelingt, die Frage ‚WAS SOLL DAS?‘ zu provozieren, werden mit Recht geschlossen“.  Also bemüht man sich – sozusagen abendfüllend – das Publikum mindestens einmal pro fünf Minuten zu eben dieser Frage zu veranlassen.

Was soll das?!

Das beginnt mit einem „Chor der Werktätigen“, der die immer gleichen paar belanglosen Verse wieder und wieder und wieder vorträgt und sich auch durch ein energisch-protestierendes „Jetzt reichts aber wirklich!“-Klatschen des Publikums davon nicht abbringen lässt. (Was soll das?) Und das setzt sich in ungezählten Einzelszenen fort, aus denen diese „Revue“ zusammengestückelt ist, und die nur insofern etwas miteinander zu tun haben, als dass sie eben diese Müllersche Frage provozieren und dass Kuttner sie in irgendeinen Zusammenhang mit der Volksbühne und ihrer 100jährigen Geschichte bringt. 

Jürgen Kuttner steht nämlich nicht nur für die Regie, er führt auch als Moderator  im weißen Showmaster-Anzug durch den Abend: als Turbo-Dampfplauderer, der das Maschinengewehr-Sprech eines Dieter-Thomas Heck mit dem gnadenlosen Berlinern eines noch einigermaßen nüchternen Harald Juhnke verbindet und dabei mindestens dreimal mehr Worte herausschleudert, als er (bei etwas Nachdenken!) zur Vermittlung seiner Botschaften benötigt hätte.

 

Es verwundert schon, was Kuttner aus der 100jährigen Geschichte des Volkstheaters für würdig befunden hat, in seine „Revue“ aufgenommen zu werden. Okay, dass er drei prägende Persönlichkeiten des Hauses – Piscator, Besson, Castorf – quasi zur Heiligen Dreifaltigkeit erhebt, versteht man ja noch. Auch wenn man fragt: warum gerade diese? Dass Kuttner dann ausgiebig auf dem daraus geschaffenen Kürzel PBC herumreitet, lässt vermuten, die drei wären wegen eben dieses Akronyms erwählt worden – aber wofür steht das? Meine erste Assoziation, ein hochgefährliches dioxinähnliches Gift, erwies sich als Irrtum (das heißt PCB). Google liefert für PBC: Partei bibeltreuer Christen. Oder doch lieber: Primär billiäre Zirrhose (= chronische nichteitrige destruierende Cholangitis = eine Autoimmunerkrankung der Leber). Oder einen der vielen Sportvereine zwischen Pflälzischem Badminton-Club und Pool-Billard Club St. Augustin? - Man sieht: vorerst sind wir noch bei der wissensdurstigen Frage: „Was soll das bedeuten?“ 

Aber keine Angst: das kritisch-abwertende „WAS SOLL DAS?“ kommt schon auch noch!

 

Zum Beispiel, wenn die wunderbare Schauspielerin Sophie Rois nicht wunderbar schauspielert, sondern statuarisch dasteht und einen Heiner-Müller-Text verliest: „Mommsens Block“ (von Wikipedia treffend so gekennzeichnet: es ist „schwer, auf Anhieb das Thema des Textes auszumachen“).

 

Oder, so ähnlich, wenn gleich darauf Silvia Rieger René Polleschs post-absurdes  „Volker Spengler prügelt sich mit Tennessee Williams“ in beinahe lungensprengender  Weise aus sich herausbrüllt. Was soll d...  also ... Sie wissen schon ...

 

Über das „Was soll das?“ hinaus ist man, wenn sich die Volks(!)bühne über die proletarischen Anmaßungen ihres nicht-künstlerischen Personals lustig macht, und sich nicht zu schade ist, dafür eine 42 Jahre alte Geschichte herauszukramen: Damals wollte der Nachtportier „Kollege Sasoleit“ spät nach Mitternacht gerne Feierabend machen, was er aber nicht konnte, da die Herren – pardon, wir sind ja noch in der DDR, und der FDGB (Freier Deutscher Gewerkschaftsbund) ist Mit-Träger der Volksbühne – da also die Genossen Künstler noch in der Kantine soffen. – Fast schon peinlich!

 

Die Nazis – peinliche Geschichte

Richtig peinlich wird’s, wenn Kuttner sich und dem Volkstheater zugute hält, sie würden – anders als bedeutsame Konzerne – bei ihrer Geschichtsbetrachtung keinesfalls das peinliche Kapitel „3. Reich“ aussparen. Aber wie wird das dann dargeboten? Der junge Schauspieler Maximilian Brauer schlüpft in die Partei-Uniform des Nazi-Intendanten Klöpfer, lässt sich black-facen (Was sol ... ach ...) und brüllt Nazi-Parolen. Da denen kaum einer folgen mag, hört man lieber Kuttner zu, der von der Enthüllung einer Hitler-Büste anlässlich dessen 50. Geburtstag in Volksbühnen-Foyer schwafelt, vom Theater-Foyer jedoch schnell zum Bildhauer übergeht, der vor 1945 auf Führer-Büsten spezialisiert war und danach fast nahtlos als vielgelobter sozialistischer Realist weitermachte.  Voilà: alle Verachtung wäre auf den wendigen Büsten-Macher abgelenkt. Wer wollte da noch weiter in der Volksbühnen-Vergangenheit herumstochern? Erst recht, wenn Hitler als nett-gemütliche singende Puppe verniedlicht wird. Das ist schon nicht mehr peinlich!

Der Star tritt nicht auf

Oberpeinlich wird dann der Gast-(Nicht-)Auftritt Henry Hübchens! Der frühere Volksbühnen-Star (nun gut: einer von vielen) wird von Kuttner mit den bösen Worten zitiert, die Volksbühne betrete er nur noch, wenn er sie nicht betreten müsse. Und voll Stolz präsentiert Kuttner sogleich eine Lösung: Ein Wohnwagen wird auf die Bühne geschleppt, in welchem der Star (ohne direkten Bodenkontakt, also, und vor allem: angeblich) sitzt. Und dann parliert Kuttner (auf der Bühne) mit einer Videowand, die Hübchen (im Wohnwagen) zeigt. Was soll das denn??? Spätestens wenn (mehrfach!) außerhalb des Wohnwagens eine Live-Glocke ertönt, schon bevor Video-Hübchen drinnen auf den auslösenden Klingelknopf gehauen hat, weiß auch der Gutgläubigste, dass der reale Hübchen sein mag, wo er will. Bloß nicht in diesem Wohnwagen! 

Ursula Karusseit ist nicht nur Kantinenwirtin

Ursula Karusseit (r.), Benno Besson und die sowjet. Schauspielerin Galina Malinowskaja, 1974. – (Foto: Bundesarchiv / Wikimedia)

Ein Höhepunkt des Abends ist dagegen der reale Auftritt Ursula Karusseits. Damit hat sich der Besuch dieser Aufführung doch noch gelohnt! Gerade für diejenigen, die die Karusseit nur als Kantinenwirtin Charlotte in der Sachsenklinik kennen. Hier erfährt man, dass sie einst mit Benno Besson verheiratet war und beispielsweise die Mutter Courage oder die Shen Te im „guten Menschen von Sezuan“ gespielt hatte. Ihr Vortrag von Brechts „Lied von den acht Elefanten“ aus diesem Stück wird zum Erlebnis!

Mitmachtheater mit dem Ex-Minister

Das war’s dann aber auch! – War’s das? Ach so, vom Mitmachtheater wollte ich ja noch erzählen. Nur kurz: Mit dem kompletten Publikum als Chor übt Kuttner einen kleinen Dialog ein. Die in den vorderen Reihen dürfen zum Abschluss dieses Dialogs Gummi-Ziegelsteine auf eine Schauspielerin schmeißen. Und zum Ende hin wird noch ein historischer Dokumentarfilm – von mythischer Zeit bis heute – gedreht. Da hat’s dann fast alle in der ersten Reihe erwischt. Unseren Sitznachbarn (der eigentlich gemeint hatte, in der 9. Reihe zu sitzen) ganz besonders (Kuttner: „Wir brauchen noch einen Seriösen. Sie sehen hier am seriösesten aus“). Immerhin haben wir jetzt die Genugtuung, zusammen mit gestandenen Volksbühnenschauspielern in einem Film mitgewirkt zu haben. Und mit Jürgen Trittin; der musste einen Polizisten mimen. Ausgerechnet! Ob ihn wohl getröstet hat, dass „in der Premiere der Kulturstaatssekretär einen Analphabeten spielen durfte“?

 

Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, Berlin:

 

Ach, Volk, du obermieses

 

Eine Revue am Bülow-Wessel-Luxemburg-Platz

von Jürgen Kuttner und André Meier

 

 

Regie: Jürgen Kuttner
Konzeptionelle Mitarbeit: André Meier
Bühne: Nina Peller
Kostüme: Nina von Mechow
Licht: Johannes Zotz
Video: David Tschöpe
Dramaturgie: Sabine Zielke, André Meier

 

Mitwirkende: 
Maximilian Brauer, Margarita Breitkreiz, Ursula Karusseit, Jürgen Kuttner, Hans-Jochen Menzel, Silvia Rieger, Sophie Rois, Mex Schlüpfer, Suse Wächter, Harald Warmbrunn, Chor der Werktätigen, Michael Letz und Band EMMA

 

Nächste Vorstellungen:

 

Mi, 31.12.14

Fr, 09.01.15

Sa, 24.01.15