Billy the Hutschenschleuderer

„Liliom“-Musical an der Wiener Volksoper

(alle Fotos: Barbara Pálffy/Volksoper Wien )

 

g.wasa     -     Wien.     -     Der Liliom hat mich fasziniert, seit ich ihn als Schüler, in der öden Reutlinger Stadthalle, in einer Inszenierung des Landestheaters Tübingen zum ersten Mal erlebt habe. Dieser charmant-brutale Jahrmarktsausrufer war für mich immer das Urbild des Wiener Strizzi, des Hallodri, der zum Wurstl-Prater gehörte, wie das Kasperl-Theater und das Riesenrad. Deshalb habe ich natürlich sofort Karten besorgt, als ich erfuhr, dass während meines Wien-Aufenthalts dort der „Liliom“ gespielt wird!

 

Dabei weiß ich natürlich (oder ehrlicher: muss ich mir immer wieder bewusst machen), dass das Stück vom Ungarn Ferenc Molnár stammt (auf meiner Reclam-Ausgabe steht: Franz Molnar), dass es im Budapester Stadtwäldchen spielt und erst von Alfred Polgar ins Deutsche über- und sozusagen geistig nach Wien versetzt wurde.

 

Aber Wien oder Budapest – ist eh egal. Denn was zurzeit in der Volksoper (dieser Hochburg der Wiener Operette) gespielt wird, ist die Musical-Version,  erstellt 1945 von den Musical-Schwergewichten („Oklahoma“) Richard Rodgers (Musik) und Oscar Hammerstein II (Text) (nachdem Molnár zuvor den Vertonungs-wünschen von Puccini, Gershwin und Kurt Weill Absagen erteilt hatte). Und diese Version spielt nicht mehr im barock-katholischen k.&.k.-Kaiserreich, sondern in den einerseits puritanisch, andererseits durch amerikanischen Optimismus geprägten Neuengland-Staaten an der Atlantikküste. Der „Hutschenschleuderer“ (= „Schiffschaukel-Anschieber“) mit dem romantischen Namen Liliom wird hier zum ordinären „Billy“ (wenigstens sein Nachname „Bigelow“ lässt der Phantasie noch Möglichkeiten) und der Titel des Stücks lautet jetzt „Carousel“.

 

Manchen gilt dies als das beste Musical der Welt,  so dem „Time Magazine“ 1999 (ich selbst würde West Side Story, Cabaret und zumindest zwei oder drei weitere vorziehen – aber ein 5. Platz wäre ja auch schon ganz gut).

 

Natürlich ist das Stück konsequent (fast hätt‘ ich geschrieben: gnadenlos) amerikanisiert: aus der bitter-süßen alt-europäischen Tragikomödie wird ein „Molnár in Marzipan“ (so der „Kurier“ über die deutschsprachige Erstaufführung, 1972, auch schon an der Volksoper) - vom mitreißenden Ballett-Auftakt (anstelle des Polgarschen „szenischen Prologs“) über das neuengland-folkloristische Muschelessen bis zum fast schon hollywoodesken optimistischen Finale mit sich öffnendem Himmelstor.  Der tröstend-optimistische zentrale Song – „You’ll Never Walk Alone“ – schaffte es wenig später, zum Fußballhymne (nicht nur) des FC Liverpool zu werden (und wurde vielleicht deshalb jetzt in Wien als einziger im englischen Original belassen). 

 

Nun schwelgt also die Wiener Inszenierung in farbenprächtiger Opulenz im Stil der 19.-Jahrhundert-Operette (Regie: Henry Mason, Ausstattung: Jan Meier). Die Choreographie (Francesc Abós) hat auf die Originaltänze von Agnes de Mille zurückgegriffen und macht den Tanz zu einer tragenden Säule der Aufführung (beeindruckend zum Beispiel das Seemanns-Ballett). Die Musik dominiert über die Sprache (symptomatisch in der besuchten Aufführung: Ben Connor, der Darsteller des Billy, wirkt zunächst als Sprecher schwer verständlich, wattig-nuschelig, läuft dann aber zu ganz großer Form auf, wenn er anfängt zu singen!); als Sängerin außerdem hervorzuheben: Atala Schöck als Nettie Fowler (die verjüngte amerikanische Version der alten Frau Hollunder).

 

Und als Tänzerin: Mila Schmidt, die als Billys Tochter Louise anrührend ihre Emotionen tanzt. Und das Orchester (unter Joseph R. Olefirowicz) spielt professionell mit echt Wiener schmissigem Schmelz – und bietet dem staunenden Besucher noch eine besondere Überraschung: Nach der Pause, während des Vorspiels zum zweiten Akt, wird das komplette Orchester plötzlich nach oben gefahren, auf Augenhöhe mit dem Publikum. - Ist es der Genius Loci, der mich das glauben lässt, oder klingt die Musik tatsächlich so, als sei sie von Strauss (dem, mit dem Vornamen Walzer) komponiert? Fast möchte man sich einbilden, hier noch eine kleine Ausgabe des berühmten Wiener Neujahrskonzerts als Zugabe zu bekommen!  

 

Nicht nur deshalb: am Ende einer fulminanten Show dankt das Publikum mit kräftigem Beifall.

 

Aber mei, schad is‘ halt scho‘ um’n alten Liliom!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Volksoper Wien:

Carousel

Musical nach dem Bühnenstück „Liliom“ von Ferenc Molnár

 

Von Oskar Hammerstein II (Liedtexte und Buch) und Richard Rodgers (Musik)

 

Deutsche Fassung von Henry Mason

 

 

Dirigent                        Joseph R. Olefirowicz

Regie                           Henry Mason

Ausstattung                 Jan Meier

Choreographie             Francesc Abós

Licht                            Guido Petzold

 

Billy Bigelow                 Daniel Schmutzhard

Julie Jordan                 Mara Mastalir

Carrie Pipperidge         Johanna Arrouas

Nettie Fowler               Atala Schöck

Enoch Snow                Jeffrey Treganza

Jigger Craigin               Christian Graf

Louise Bigelow             Mila Schmidt

Sternwart / Dr. Seldon  Robert Meyer

u.v.a.