35 Frauen und ein monogamer Don Juan

Zuviel albernes Spektakel um ein ernstes Thema

Kriegenburgs Horváth-Inszenierung auf der Perner Insel

 

Wohl auf, Kameraden, aufs Pferd, aufs Pferd!  ...

Im Felde, da ist der Mann noch was wert, ...
Der dem Tod ins Angesicht schauen kann,
Der Soldat allein, ist der freie Mann. ...
Von dem Himmel fällt ihm sein lustig Los,...
Im Sturm erringt er den Minnesold. ...

Drum frisch, Kameraden, den Rappen gezäumt,
Die Brust im Gefechte gelüftet!
Die Jugend brauset, das Leben schäumt,
Frisch auf ! eh der Geist noch verdüftet!

(August ’14, Pernerinsel bei Salzburg)

(alle Fotos: Salzburger Festspiele)

g.WaSa     -     Wie „Lemuren aus einem Grab“ wühlen sich neun Frauengestalten in schwarzer Witwentracht, mit totenbleich-weiß-geschminkten Gesichtern unter dem Vorhang hervor, während sie im Chor das „Reiterlied“ aus Schillers „Wallenstein“ intonieren. Zu den letzten – den bekanntesten – Zeilen pressen sie den zusammengeknülllten Vorhang so vor ihre Körper, dass man unwillkürlich schwangere Bäuche assoziiert:

 

„Und setzet ihr nicht das Leben ein,
Nie wird euch das Leben gewonnen sein.“

Salzburg 2014: Ein Anti-Kriegs-Stück?

Schiller kann ja nie falsch sein. Oder? Zumindest hätte man dieses Hohe Lied auf Soldatentugenden hier und heute nicht erwartet: im August 2014, 100 Jahre nach dem Beginn des großen Krieges, in der alten Industriehalle auf der Pernerinsel, wohin die Salzburger Festspiele traditionellerweise ihre großen, programmatischen Schauspielinszenierungen auslagern.  Da hat man fest mit einem Anti-Kriegs-Stück gerechnet – schon angesichts des Selbstverständnisses dieser Festspiele, die ihren „Schauspielsommer 2014 im Zeichen des Ersten Weltkriegs“ sehen.  

 

Aber ja doch: selbstverständlich ist Horváths „Don Juan kommt aus dem Krieg ein Anti-Kriegs-Stück, wenn vielleicht auch nicht auf den ersten Blick: Der Protagonist heißt nicht Don Juan, er wird nur so genannt, weil er – vor dem Krieg – ein ausgesprochenes Don-Juan-Syndrom zeigte. Doch jetzt, als Heimkehrer, ist er auf der Suche nach der einen monogamen Verbindung, nach der einzigen Geliebten. Dass die schon tot ist – auch daran ist nicht der Krieg schuld.

 

Und doch: es geht um die Folgen des Kriegs! In bedrückender Eindringlichkeit hat Ödön von Horváth das Elend der Überlebenden geschildert. Der überlebenden Frauen, vor allem. Zur  Erinnerung: 3,2 Millionen Männer sind gefallen – hier, im Stück, zum Beispiel der Professor, der seine mittellose Witwe mit zwei Töchtern zurücklässt. Da sind die noch nicht mitgerechnet, die anschließend an der Grippe (die „auch noch zum Krieg gehört“) gestorben sind. Und acht Millionen Männer sind als Krüppel zurückgekommen – als körperliche Krüppel wohlgemerkt; von den seelisch, den psychisch verkrüppelten Kriegsheimkehrern war lange nicht die Rede (dazu gibt’s in Salzburg – parallel zu den Festspielen – eine sehenswerte Ausstellung: „Krieg. Trauma. Kunst.“). 

Bei Horváth gibts nur einen einzigen Heimkehrer, nur einen einzigen Mann, der in Salzburg von Max Simonischek gegeben wird, einem Star der Münchner Kammerspiele. Hier stolpert er allerdings ziemlich verloren von seinem ersten Auftritt (noch mit Stahlhelm und Gasmaske, auf eine k&k-Trommel eintrommelnd) bis zur finalen eisig-kitschigen Vereinigung mit der toten Geliebten auf dem kalten Friedhof ...

 

Aber schließlich waren ja nicht nur Männer Opfer des Krieges! Auch Frauen sind gestorben, haben gelitten. Und leiden weiterhin an den Folgen: Hunger, Elend, Inflation. Und an ihren Traumata: nach vier Jahren Angst und Gefahr. Insgesamt 35 Frauen setzt Horváth in seinem Stück diesem einen Mann entgegen; 35 Frauen setzt er dem materiellen und seelischen Elend der Nachkriegszeit aus. Dabei betont er selbst, dass es „keine 35erlei Frauen gibt, sondern bedeutend weniger“, dass es deshalb auch nicht nötig ist, 35 Schauspielerinnen auf die Bühne zu stellen, dass vielmehr 9 Typen ausreichen. 

 

Und mit denen, den 35 Frauen, den 9 Schauspielerinnen, führt uns Ödön von Horváth - dieser Großmeister des kleinbürgerlichen Trauerspiels! – durch das Nachkriegselend, zeigt uns die gelungenen/gescheiterten/von Anfang an aussichtslosen Versuche der Traumatabewältigung ...

Kriegenburgs Inszenierung

Was könnte ein Regisseur vom Range eines Andreas Kriegenburg daraus machen! Zumal, wenn er diese neun Schauspielerinnen zur Verfügung hat?! 

Und was macht er daraus? Dort, auf der Pernerinsel? Zunächst einmal, was er gerne macht: Er siedelt das Stück auf einer fast nackten, wie skelettiert anmutenden Bühne an, die vor allem vom ewig fallenden Schnee Charakter bekommt. Oder – fragt man sich zu Beginn – ist es die Asche von den immer noch brennenden Städten? Und: Über dieser Bühne hängen Hunderte von Karten, Feldpostkarten, wie ich gelesen habe,  denn erkennen konnte man das nicht, auch dann nicht, als die Frauen hinaufklettern, um die Texte laut vorzulesen; denn man versteht sie nicht: dröhnendes Marschieren, ratterndes MG-Feuer, das Jaulen anfliegender Granaten, laute Befehle, (auch Schreie von Opfern?) – also: Kriegsgeräusche übertönen die lesenden Stimmen ...

Tja, und der Rest von Kriegenburgs Inszenierung ist dann ein Sammelsurium, ein Panoptikum von dekorativen Effekten, von schaurigen Klischees, von stilisiertem Kitsch, von albernem Spektakel. „Spektakel“ ist die Vokabel, die ich bei meinem Kritiken-Rundblick am häufigsten gefunden habe. Und Spektakel bei diesem Thema – das tut weh! Weh tut auch, wie grob Kriegenburg mit der empfindlichen Horváthschen Sprache umgeht: da wird geschrieen und geschrillt, zerstottert und zerhackt, manieriert bis falsch betont, bis zur Unverständlichkeit beschleunigt und sinnlos wiederholt ... Ein Ärgernis!

 

Ein paar Lichtblicke gibt es auch: das gelungene Kabarett in der Opernloge; überhaupt: immer mal wieder eine überzeugende schauspielerische Leistung mal dieser, mal jener Darsstellerin. Dazu noch: ein paar (er-)schlagende importierte Sätze: „Du wirst meiner Liebe nicht entrinnen“, zum Beispiel (immerhin auch von Horváth, aus dem „Wienerwald“), oder Weisheiten wie „Krieg ist Lüge“ und der beherzigenswerte Vorschlag „Wir zwanzig Millionen gehen einfach hin und beenden den Krieg

 

Salzburger Festspiele 2014:

 

Don Juan kommt aus dem Krieg
von Ödön von Horváth
 

Regie: Andreas Kriegenburg

Kostüme: Andrea Schraad

Licht: Stefan Bolliger

Sounddesign: Wolfram Schild, Martin Sraier-Krügermann

 

Don Juan:   Max Simonischek
Die Frauen:  Sonja Beißwenger, Olivia Grigolli, Sabine Haupt, Traute Hoess, Elisa Plüss, Nele Rosetz, Janina Sachau, Natali Seelig, Michaela Steiger,.
 

PS / Nachtrag:

 

Zu den von der Decke hängenden Postkarten habe ich inzwischen noch eine interessante Parallele gefunden:

 

im Londoner Museum of Transport