Salzburg 1914 - 2014: Erinnerungen an den Kriegsausbruch

Der Kaiser hat befohlen
ihr Deutschen rückt ins Feld
Die Buben zu versohlen
die sich um uns gestellt
Nun geht´s hinaus zur Wehr
Hurra, hurra, hurra
viel Feinde, viel Ehr´

(August ’14, überall in Deutschland)

Karl Reisenbichler: Behelmter Sensenmann, um 1918. Salzburg Museum

g.WaSa     -     Tausende junge Männer ziehen in den Krieg, frohgemut, mit einem zuversichtlich-aggressiven Landser-Lied auf den Lippen, um – wie in einem munteren Kinderspiel – die russischen Buben zu versohlen, die französischen Bürschchen zu verdreschen.

 

Da wissen sie noch nicht, dass der Krieg vier lange Jahre dauern, sich in mörderischen Stellungskämpfen festfressen und Millionen Opfer kosten wird: allein in Deutschland und Österreich-Ungarn 3,2 Millionen tote Soldaten, 1,2 Millionen tote Zivilisten, an die 8 Millionen körperlich und ungezählte psychisch-seelisch Verwundete ... (insgesamt starben im Ersten Weltkrieg über 9 Millionen Soldaten und fast 8 Millionen Zivilisten).

 

 

Wohl auf, Kameraden, aufs Pferd, aufs Pferd!  ...

Im Felde, da ist der Mann noch was wert, ...
Der dem Tod ins Angesicht schauen kann,
Der Soldat allein, ist der freie Mann. ...
Von dem Himmel fällt ihm sein lustig Los,...
Im Sturm erringt er den Minnesold. ...

Drum frisch, Kameraden, den Rappen gezäumt,
Die Brust im Gefechte gelüftet!
Die Jugend brauset, das Leben schäumt,
Frisch auf ! eh der Geist noch verdüftet!

Und setzet ihr nicht das Leben ein,
Nie wird euch das Leben gewonnen sein.

(August ’14, Pernerinsel bei Salzburg)

Ganz Salzburg erinnert an den 100. Jahrestag des Kriegsausbruchs 1914: Sogar die Salzburger Festspiele sehen den „Schauspielsommer 2014 im Zeichen des Ersten Weltkriegs  ... Das Schauspielprogramm von Sven-Eric Bechtolf widmet sich thematisch fast ausschließlich dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren“. Man beruft sich dabei auf Max Reinhardt, der die Salzburger Festspiele 1917 auch mit der „unumgänglichen Notwendigkeit der Kunst, insbesondere der Kunst des Theaters“ angesichts der „Stürme dieses Krieges“ be-gründet hatte.

 

Ganz Salzburg? Ah geh! In den Salzburger Opernhäuser wird auch 2014 – unbeeindruckt vom Jahrestag – unverdrossen Mozart, Verdi und Strauß gespielt. Die Touristen drängeln sich vor Mozarts Geburtshaus und ER selbst, der große Sohn, hilft den Geschäftsleuten unermüdlich beim Geschäftemachen. 

Schauspiel widmet sich dem Krieg

Auf den Schauspielbühnen, allerdings, da finden sich (neben dem unvermeidlichen „Jedermann“, natürlich): ein Klassiker wie Karl Kraus‘ „letzte Tage der Menschheit“, HorváthsDon Juan kommt aus dem Krieg“ oder die Uraufführung von Duncan MacmillansForbidden Zone“, „das die Erfahrungen von Frauen im Zusammenhang mit Krieg und Wissenschaft in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts beleuchtet“.  Natürlich sollte die „Beschäftigung mit der Kriegsthematik“ auch das „Young Directors Project“ dominieren, das Salzburger Aushängeschild in Sachen Innovation, z. B. mit Ernst TollersHinkemann“. 

Django Reinhardt und Georg Trakl

"Orpheus" (Foto: Salzburger Festspiele)

Gesehen habe ich aus dem reichhaltigen Angebot: Horváths „Don Juan“ , der einen eigenen Beitrag verdient hat; außerdem: „Orpheus“ von Alexander Scott (als Gastspiel des Little Bulb Theatres): eine musikalische Hommage an den „Gitarren-Helden“ Django Reinhardt.

 

Und schließlich „Der Abschied“ von Walter Kappacher: Grundlage dieser Uraufführung ist ein als Auftragswerk entstandener reichlich artifizieller Text  über Georg Trakl, den aus Salzburg stammenden Dichter, der schon vor dem Krieg nur schwer mit dem Leben zurecht kam, und dann – mit seiner Apothekerausbildung – in einem Lazarett allein und nahezu ohne Hilfsmittel an die hundert Schwerverletzte versorgen musste. Der sensible junge Mann ist an diesem Kriegseinsatz im ostgalizischen Grodek „verdorben und (am 3. November 1914) gestorben“. Dem Schlachtenort Grodek hat er davor noch ein schreckliches literarisches Denkmal gesetzt (s. u., Ende dieser Seite)   

(Foto: Salzburger Festspiele)

Nicolas Charaux (Regie), Pia Greven (Ausstattung), Gerhard Fischer (Lichtdesign), David Lipp (Sounddesign) sowie vor allem der Darsteller Paul Herwig haben mit Kappachers Text (oder: trotz des Textes) ein spannendes Lebensbild, ein bedrückend-erhellendes Psychogramm dieses jungen Dichters erstellt, der – wie so viele Dichter- und Künstlerkollegen (s. a. "Der Krieg ...")  – mit einer gewissen Begeisterung seiner Einberufung gefolgt („Endlich weg! Endlich leben!“), schon bald aber an den Schrecken des Krieges verzweifelt und bereits nach wenigen Monaten 27jährig gestorben ist.  

 

„Ich wollte, es wäre endlich Winter und eine dicke Schneedecke bedeckte die ganze Erde. Vielleicht wäre dann Rettung möglich“ ist einer der letzten Aufschreie Trakls/Herwigs auf der Salzburger Bühne. In Kriegenburgs „Don Juan“-Inszenierung soll sich diese Verzweiflungs-Hoffnung am Ende erfüllen. 

„Krieg“ in Salzburger Museen

Flankierend richten auch die Salzburger Museen ihren kritischen Blick auf den (Ersten Welt-) Krieg: 

Jörg Immendorff & Felix Droese: Neuer Krieg Neue Kunst

Das Museum der Moderne kommt in seiner Ausstellung „Kunst/Geschichten“ (26.07.-26.10.14) natürlich an diesem Thema auch nicht vorbei. 330 Werke von 40 Künstlern sollen „neue und vielfältige Sichtweisen auf Geschichte und historische Ereignisse“ präsentieren. Vor allem Otto Dix‘ fünfzigteilige Reihe „Der Krieg“ von 1924 erinnert an „die Gräuel des Ersten Weltkrieges“. Mit einer breiten Palette an Medien (von Zeichnungen und Gemälden über Fotos und Videos bis hin zu Installationen) werden  zahlreiche Konflikte thematisiert: die Vertreibung der Protestanten aus Salzburg im frühen 18. Jahrhundert und der „Weberaufstand“ (Käthe Kollwitz, 1897) ebenso wie die beiden Weltkriege und aktuelle Auseinandersetzungen.

"Krieg. Trauma. Kunst"

Unter dem Titel Krieg. Trauma. Kunst. zeigt das Salzburg Museum / Neue Residenz eine beachtliche Ausstellung mit dem Untertitel „Salzburg und der Erste Weltkrieg“, deren Spektrum aber weit über Salzburg hinausgeht (09.05.2014 – 04.10.2015).  

 

Das beginnt bei der chauvinistischen Kriegspropaganda, die auch vor dem Kinderzimmer nicht halt macht, und die dann – auch bei vielen Literaten und Künstlern – eine Kriegsbegeisterung auslöst („... alle segnen, segnen, segnen diesen Krieg“, Hermann Bahr, 27.10.2014), die allerdings binnen Wochen verfliegt, denn „zum Heulen der Geschosse gesellt sich das Schreien der Verwundeten und das Stöhnen der Sterbenden“. 

 

Georges Grosz, Ghosts of Yesterday, 1925. Museum der Moderne, Salzburg

Schonungslos stellt diese Ausstellung den alltäglichen Schrecken des Krieges dar – inclusive der eigenen Kriegsverbrechen, inclusive des Elends der Zivilbevölkerung („350 000 Kriegswitwen und –waisen [allein im Gebiet des] heutigen Österreich“). Besonders beeindruckend: Die „psychischen Folgen ... die Traumatisierungen“, die für viele noch lange nach dem Krieg ein „normales“ Leben unmöglich machten – das gab es nicht erst mit dem Vietnamkrieg, auch der Erste Weltkrieg produzierte zahlreiche „Kriegszitterer“, auch wenn die damals als „Simulanten“ verunglimpft und häufig genug als „Versuchskaninchen für psychiatrische und neurologische Experimente“ missbraucht wurden. 

 
Karl Reisenbichler: Die Schrecken des Krieges, um 1920. Salzburg Museum

Dem Titel entsprechend wird die Ausstellung abgerundet durch eine Reihe künstlerischer Auseinandersetzungen mit den Schrecken des Krieges – von weniger bekannten Künstlern wie z. B. Karl Reisenbichler, aber auch von „Schwergewichten“ wie George Grosz oder dem bereits erwähnten Georg Trakl, dessen Gedicht „Grodek“ auszugsweise aufgeführt ist. Angesichts seiner Eindringlichkeit wird dieses Gedicht am Ende der Seite in voller Länge zitiert.

 

-------------------------------------------

 
Arthur Stadler: aus der Mappe "Gesichter" - Lithografien, 1930.

Georg Trakl:

Grodek

Am Abend  tönen die herbstlichen Wälder
Von tödlichen Waffen,  die goldnen Ebenen
Und blauen Seen,  darüber die Sonne
Düstrer hinrollt;   umfängt die Nacht
Sterbende Krieger,  die wilde Klage
Ihrer zerbrochenen Münder.
Doch stille sammelt im Weidengrund
Rotes Gewölk, darin ein zürnender Gott wohnt
Das vergoßne Blut sich, mondne Kühle;
Alle Straßen münden in schwarze Verwesung.
Unter goldnem Gezweig der Nacht und Sternen
Es schwankt der Schwester Schatten durch den schweigenden Hain,
Zu grüßen die Geister der Helden, die blutenden Häupter;
Und leise tönen im Rohr die dunklen Flöten des Herbstes.
O stolzere Trauer!  ihr ehernen Altäre
Die heiße Flamme des Geistes nährt heute ein gewaltiger Schmerz,
Die ungebornen Enkel.

( Quelle )