Erich Kästner und „die Heimat“

Ausdrucksstarke Karikaturen in der "Alten Abtei", Lemgo

Und immer wieder schickt ihr mir Briefe, 
in denen ihr, dick unterstrichen, schreibt: 
»Herr Kästner, wo bleibt das Positive?«
Ja, weiß der Teufel, wo das bleibt.

 

Noch immer räumt ihr dem Guten und  Schönen 
den leeren Platz überm Sofa ein.   ....

Ihr streut euch Zucker über die Schmerzen 
und denkt, unter Zucker verschwänden sie. ..

.

Die Spezies Mensch ging aus dem Leime 
und mit ihr Haus und Staat und Welt. 
Ihr wünscht, daß ich's hübsch  zusammenreime, 
und denkt, daß es dann zusammenhält?

 

Ich will nicht schwindeln. Ich werde nicht  schwindeln. 
Die Zeit ist schwarz, ich mach euch nichts  weis.  ...

 

Ihr möchtet gern euren Spaß dran haben .. .? 
Ein Friedhof ist kein Lunapark

(Erich Kästner)

 

 

WaSa       Lemgo     -      Was ist Heimat? – Schlaglichtartige Antworten auf diese Frage gibt eine Ausstellung, die am Samstag, dem 25.02.12, in der Volkshochschule Lemgo eröffnet wurde, und die noch bis zum 5. Mai in der „Alten Abtei“, Breite Straße 10, zu sehen sein wird (Mo – Fr, 9:00 – 21:00 Uhr).

 

Ist der Begriff Heimat tatsächlich – wie die Kunsthistorikerin Gisela Burkamp fragt – „leicht anrüchig“  (etwa im Sinne von heimattümelnd oder gar nationalistisch), ist er zumindest „mit der Glasur Kitsch überzogen“  oder doch gewisslich „in Zeiten der Globalisierung überholt“?

 

Oder muß man den Begriff heute ganz anders definieren? Heute, in einer Zeit, in der mehr Menschen denn je ihre Heimat verlassen müssen? Vertrieben von Krieg, Hunger, Diktatur? In der Zeit des Klimawandels,  in der so manche (Insel-)Heimat sogar im buchstäblichen Sinn untergeht, von einem steigenden Meeresspiegel verschlungen wird? Wo sich Millionen Menschen eine neue Heimat suchen müssen. Was nicht nur zur Frage führt, ob sie dort akzeptiert und willkommen sind, sondern auch, ob und wie weit sie selbst den Zufluchtsort auch als Heimat annehmen und bewusst mitgestalten. Oder ob sie sich an eine verloren gegangene / verloren gegebene alte Heimat klammern. 

 

Gisela Burkamp stellt den heimeligen Vokabeln, mit denen der Brockhaus von 1969 noch Heimat verknüpfte - „Gemütsbindung, daheim , Geborgensein, naturnah, Landschaft ...“ - heute eine ganz andere Begriffs-Welt entgegen: „Migration, Vertreibung, Flucht, Sprachtest, Kreuz und Schleier, Ausländerbehörde, Abschiebung ...“

 

Die Frage nach „Heimat anno 2012“ haben die Kuratoren Gisela und Dieter Burkamp zweimal gestellt. Einmal an gut 30 Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens – vom Ex-NRW-Ministerpräsident Peer Steinbrück über den Münchner Erzbischof Marx und die Schauspielerin Hannelore Hoger bis zur künstlerischen Leiterin von „Wege durch das Land“, Brigitte Labs-Ehlert. Sie alle haben ihr Verhältnis zu „Heimat“ in Wortbeiträgen unterschiedlichen Umfangs beschrieben, die in einem Buch „Heimat – Bekenntnisse und Ansichten“ zusammengefasst sind.

 

Vor allem aber waren 52 Karikaturisten und Zeichenkünstler gefragt, durch ihre ironische oder satirische Brille einen Blick auf die Heimat zu werfen und ihre spezielle Sichtweise zu Papier zu bringen. Herausgekommen ist eine Sammlung von Schlaglichtern, die – jedes für sich – übertrieben, einseitig, ungerecht, polemisch, überholt oder weltfremd erscheinen mögen, die in ihrer Gesamtheit aber ein umfassendes, buntes, facettenreiches und nicht zuletzt: spannendes Bild von „Heimat“ bieten.


Da sind die unterschiedlichsten Stile vertreten: von der fein ziselierten detailgenauen Zeichnung, fast wie in einem alten Merianstich, bis zum klaren Plakatformat: wenn etwa – unter einem düster dräuenden Schwarz – die Farben Rot und Gold wie Flammen züngeln und ein piktogrammartiges Männchen in die Flucht schlagen.

 

 

Da gibt es die fast spitzweg’sche Idylle des Bücherwurms, der dort zu Hause ist, wo er Lesestoff hat (2). Derartige Idyllen finden sich viele. Aber fast immer erweisen sie sich als unechte Fassade oder als bedroht (3+4). Und noch häufiger wird erst gar nicht der Anschein einer heilen Welt erweckt, sondern die Fragwürdigkeit, die Zukunfts-Unfähigkeit, die Grausamkeit und Brutalität der real existierenden Verhältnisse angeprangert: wo Heimat ausgeplündert wurde (5), wo Heimat sich als Fessel erweist oder die Menschen mundtot macht (6+7) oder – ein beliebtes, immer wiederkehrendes Motiv – wo Menschen an den Rand gedrängt, ausgegrenzt, abgeschoben werden (8+9). 

Ein unfreiwilliges Schaustück für die These „Heimat ist da, wo meine Sprache gesprochen wird“ findet sich am Rand der Ausstellung: da stehen drei bunte Mülleimer mit Sortieranleitungen in neun Sprachen: ein „Ready made“ in der Tradition von Duchamp und Beuys? Nein, natürlich (natürlich?) nicht – normale Gebäudeausstattung!

Am meisten beeindruckt hat mich eine Collage von einer kollwitzschen Düsternis und Ausdruckskraft sowie einer fast surrealistischen Rätselhaftigkeit: der nackte, runde Bauch einer schwangeren Frau – was könnte intimere Heimat sein? Was könnte behütetere Geborgenheit versprechen? Nur, dass dieses so elementare Stück Heimat in die Mitte einer Schießscheibe hineinmontiert wurde ....

 


 

Zeit für ein Urteil: Von dem vorweggenommenen Fazit („bunt, facettenreich, spannend“) ist nichts zurückzunehmen. Zu ergänzen ist aber: das Kritische, ja Düstere steht im Vordergrund. Sicherlich: Das liegt wohl nicht nur daran, dass – wie Gisela Burkamp in ihrer Einleitung gewarnt hat – Karikaturisten nun einmal „notorische Schwarzfärber“ sind. Vermutlich wollen sie einfach nicht schwindeln, denn „die Zeit ist schwarz“, und es nutzt nichts, sich etwas weis(s) zu machen, wie ein bekannter Moralist einmal geschrieben hat. Die heile Heimatwelt führen uns ja ARD und ZDF in zahllosen Bergdoktorfilmen und Volksmusikabenden bereits zum Überdruss vor. Aber muss man das Pendel wirklich so weit in die andere Richtung schwingen lassen? Oder, um den Moralisten noch einmal zu zitieren: „Wo bleibt das Positive, Herr Kästner?“

 

Das Positive hat ein Besucher der Eröffnungsveranstaltung (nach eigenen Worten und zum Erstaunen der anderen „fast 80 Jahre alt“) so formuliert:

 

„Für mich ist Heimat dort, wo ich mich kümmere, zum Beispiel um den Lemgoer Wall - auch wenn damit Ärger verbunden ist.“ Für mich die sympathischste Heimat-Definition! Die man übrigens auch umkehren darf: „Wo ich zu Hause bin, da engagiere ich mich!“ – womit wir wieder bei Kästner wären, dessen Version des kategorischen Imperativs ja lautet: „Es gibt nichts Gutes – außer man tut es.“

 

 

PS: Es lohnt sich, Erich Kästners Antwort auf die Frage nach dem Positiven insgesamt nachzulesen, etwa hier .