Faszinierende Künstlerin – Enttäuschende Fotoausstellung

MARTa zeigt Fotos aus dem Umfeld Frida Kahlos

Vom Elend der Knipsereien

WaSa     -     Herford.     Früher, vor der digitalen Ära, ertönte zwei Wochen nach den großen Ferien aus allen Richtungen der Jubelruf „Unsere Dias sind da!“ Dann musste man unweigerlich den einen oder anderen Abend damit verbringen, bei Chips und Bowle Onkel Ottos Bilder aus Garmisch oder Vetter Heinzens Schnappschüsse aus Rimini zu bestaunen. Noch öder war nur, wenn man während eines Besuchs mit dem Familienalbum konfrontiert wurde: da galt es neben dem kompletten Leben der Gastgeber (von der Taufe bis zur Goldhochzeit) auch noch die Großeltern (die man nie gekannt hatte) sowie Cousinen und Tanten (die man nie treffen würde) zu bewundern, gerne auch Hund und Katze, den Bürgermeister (anlässlich des 90. Geburtstags der Oma), das längst verschrottete Auto und – bei besonders ambitionierten Fotokünstlern – Landschaftsstudien, Architektur-Highlights und Stillleben.  .

 

Frida Kahlos Fotosammlung im MARTa

Ausstellungsplakat MARTa (Foto: Guillermo Kahlo, 16.10.1932 - © Museo Frida Kahlo, Mexico City)

Auch im Nachlass der berühmten mexikanischen Malerin Frida Kahlo fand sich ein derart breit gefächertes Fotoarchiv, dazuhin mit rund 6.500 Bildern weit umfangreicher als eine in vordigitalen Zeiten übliche Familiensammlung. Für das Museo Frida Kahlo in Mexico City hat der mexikanische Fotohistoriker Pablo Ortiz Monasterio aus dieser Fülle vor einiger Zeit 241 Fotos ausgewählt, die zur Zeit im MARTa in Herford gezeigt werden (1. Februar – 10. Mai 2015).

 

Man geht da mit einigen Erwartungen hin – bietet doch allein schon das Leben Frida Kahlos weit mehr interessanten Stoff, als etwa in Julie Taymors Film „Frida“ von 2002 unterzubringen war, der die Künstlerin einem breiten Publikum vermittelt hatte:

Frida Kahlo – was für ein (Künstler-) Leben!

"Die zwei Fridas", 1939

Geboren ist Frieda (das „e“ hat sie später gestrichen) 1907 in Cayoacán, einem (inzwischen längst eingemeindeten) Vorort von Mexico City. Ihr Vater war der Deutsche Wilhelm Kahlo (der seinen Vornamen nach der Einbürgerung in Guillermo hispanisierte). Die Mutter Matilde hatte spanische und indianische Wurzeln; sie war Analphabetin und (wie Frida klagte) „fanatische Katholikin“, während der Vater Atheist war. Guillermo lernte von seinem Schwiegervater den Beruf des Fotografen und machte seine Lieblingstochter Frida schon früh mit diesem Handwerk / dieser Kunst vertraut.

 

"Die gebrochene Säule", 1944

Als Sechsjährige erkrankte Frida an Kinderlähmung, von der sie eine leichte Gehbehinderung behielt („Frida Hinkebein“). Mit 18 wurde sie bei einem Busunglück schwer verletzt: unter anderem bohrte sich eine eiserne Geländerstange quer durch ihren Unterleib. Wie durch ein Wunder überlebte sie; doch unter den Folgen sollte sie bis zu ihrem frühen Tod mit 47 Jahren leiden: immer wiederkehrende Schmerzen, immer neue Operationen, langwierige, oft monatelange Krankenhausaufenthalte und Bettlägrigkeiten. Mit ihrem zerstörten Becken konnte sie keine Kinder austragen und erlitt drei Fehlgeburten.

 

Schmerz – Krankheit – Bett - (Fehl-)Geburten sind dann auch immer wiederkehrende Motive in Frida Kahlos von Selbstporträts geprägtem Werk (darunter bezeichnenderweise viele Doppelporträts). 

Frida Kahlo – welch glamouröses Umfeld!

"Frida und Diego Rivera", 1931 (nach einem Hochzeitsfoto?)

Der zweite „Unfall“, der ihr nach eigenen Worten „zustieß“, war Diego Rivera. Er war in den 20er Jahren weltberühmt als Maler insbesondere von „Murales“: von großen Wandbildern zur Geschichte Mexikos aus der Sicht der einfachen, unterdrückten Leute. Diego war 20 Jahre älter als Frida, wurde ihr Mentor als Malerin, wurde ihr Geliebter und ihr Ehemann – nach einer Scheidung auch ein zweites Mal.

 

Beide hatten zahlreiche weitere Liebschaften, Frida (um nur die prominentesten zu nennen) mit dem deutschen Kunstsammler Heinz Berggruen und mit dem russischen Revolutionär Leo Trotzki, der längere Zeit im Haus der überzeugten Kommunisten Frida und Diego gelebt hatte. 

Die Fotoausstellung – welche Enttäuschung!

Und neben allem anderen hat Frida Kahlo auch noch Fotos gesammelt. Wie gesagt: man hegt enorme Erwartungen an diese Auswahl von 241 aus insgesamt 6.500 Bildern – und sieht dann doch nichts wesentlich anderes, als in einem gängigen Familienalbum: zahlreiche überwiegend kleinformatige und schwarz-weiße Bildchen, scheinbar ziemlich willkürlich ausgewählt aber wenigstens grob thematisch zusammengestellt.  

Nickolas Muray: Frida auf dem Bauch, 1946 (in der Klinik); Foto: MARTa, © Museo Frida Kahlo, Mexico City

Gut – in der Sammlung finden sich ein paar Fotos von namhaften Fotografen, die mit Frida befreundet waren: Man Ray, Gisèle Freund oder Nickolas Muray zum Beispiel. Ebenso natürlich Aufnahmen von Größen der Zeit, die mit ihr bekannt waren. Aber auch Berühmtheiten, die Frida nie getroffen hat. Dazu gehören Emiliano Zapata und Pancho Villa, die ermordet wurden, als Frida 12 bzw. 16 Jahre alt war – doch immerhin verweisen diese Bilder der Leitfiguren der mexikanischen Revolution auf Fridas und Diegos revolutionäre Gesinnung. Aber was, bittesehr, soll ein Porträt des preußischen Königs Wilhelm mitten unter Fridas Vorfahren? Wohlgemerkt undatiert und von einem unbekannten Fotografen, also sicherlich nicht von Fridas Vater gemacht. Von dem, dem Berufsfotografen, gibt es natürlich zahlreiche Fotos – aber kaum eines, das in der Motivwahl über Familienalbum-Niveau wesentlich hinauskäme!

 

Einige wenige Fotos gibt es noch, die Frida selbst gemacht hat – aber auch die zeigen eher Alltäglichkeiten: Kinderspielzeug, eine Art Stillleben mit Werkzeugen ....

 

Insgesamt wirkt die Zusammenstellung eher zufällig, beliebig. Was will ein Foto des Mondes (Fotograf und Aufnahmedatum unbekannt) über Frida Kahlo aussagen? Einige Fotos (von Industrieanlagen etwa) sollen Frida oder Diego als „Inspirationsquelle und Arbeitsmaterial“ gedient haben. Ach ja? In diesen Fällen (wie bei vielen anderen „zufällig“ erscheinenden Exponaten) wäre es interessant gewesen, wenn die Ausstellung tatsächlich einen Zusammenhang zum Leben, zum Werk der Künstlerin hergestellt hätte. Am besten durch ein Nebeneinander von „Inspirationsquelle“ und Werk (selbst wenn es nur ein Replikat gewesen wäre).

 

Aber so fehlen dem Betrachter oft die Zusammenhänge. Besonders, da die Ausstellungsmacher mit Informationen geizen. Es gibt zwar einen angemessen detaillierten Kahlo-Lebenslauf zu Beginn und ein paar allgemeine Informationen in jedem Raum. Aber so gut wie nichts zu den einzelnen Fotos, was um so bedauerlicher ist, als der Katalog, den es zur Ausstellung mal gab, nur noch antiquarische zu bekommen ist (bei Amazon für 200 Euro).

 

Damit verfehlt diese Fotosammlung den Anspruch, „ein eindringliches Dokument der Zeit und ein intimer Einblick in das Leben einer der bemerkenswerten Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts“ zu sein (MARTa)  

Eine kleine Entschädigung: Fridas Leben und Werk als Video

Und doch bietet sich auch dem Besucher der Herforder Ausstellung die Chance, genau diesen Einblick zu bekommen: Durch eine ausführliche Videodarstellung von Kahlos Leben, das anhand zahlreicher (knapp und gut erläuterter) Kahlo-Gemälde präsentiert wird. Trotz einiger Längen sei dieses Element der Ausstellung gerade jenen wärmstens empfohlen, die sich – ohne größere Vorkenntnisse – mit Leben und Werk dieser bemerkenswerten mexikanischen Künstlerin vertraut machen wollen.

 

 

 

 

 

 

 

("Diego in meinen Gedanken"  oder

"Selbstbildnis als Tehuana", 1944

[Tehuana: traditionelle Tracht der 

Zapoteken im SW Mexikos]

Foto: g.WaSa - Plakat einer 

Ausstellung in Cuernavaca, 2005)