Kulturtrip nach Dresden

Glück oder Pech?

Semperoper

Glück muss man haben! Dann kriegt man auch noch kurzfristig gute Karten für „Carmen“ in der Semperoper. Na ja ... kurzfristig ... Es war Anfang Januar, und für das lange Karnevalswochenende Anfang März suchten wir ein Ziel für einen Kurztrip. Nein – Köln sollte es nicht sein. Eher durch Zufall geriet ich auf die Seite der Semperoper. Sah „Carmen“ auf dem Spielplan. Klickte auf „kaufen“. Das Haus war total ausgebucht! Bis auf zwei Plätze: sechste Reihe, fast Mitte. Die musste jemand vor Kurzem zurückgegeben haben. Drei Minuten später waren sie wieder vergeben. An mich. Internet sei Dank. Glück gehabt!

 

Also Dresden! Ein vielversprechendes Ziel für einen Kultur-Trip. Die Tourismus-Seite der Stadt wirbt mit „56 Galerien, 44 Museen sowie 36 Theatern und Bühnen“. Ja, richtig: Vor ein paar Jahren hat mir mal eine Studentin, die dort Theaterwissenschaften studierte, vom tollen Theaterstandort Dresden vorgeschwärmt, insbesondere von der beeindruckenden freien Szene.

 

Doch dann, bei der Planung für den restlichen Aufenthalt in Dresden war erst mal Schluss mit der Glückssträhne: „Kiss me Kate“ in der Staatsoperette: ausverkauft. Philharmonisches Sonntagskonzert unter Christian Thielemann: ausverkauft. Die Theaterspielpläne klingen zwar vielversprechend. Nur, leider, an „unserem“ Wochenende war das Angebot eher banal! (In die Premiere von Karl Kraus‘ „Letzten Tagen der Menschheit“ unter der Regie von Wolfgang Engel haben wir’s bedauerlicherweise nicht geschafft.) Und so weiter – für den nächsten Dresden-Besuch sollte ich vielleicht noch frühzeitiger mit den Vorbereitungen beginnen!

Höhepunkte in Serie

"Carmen" (Foto: Semperoperr)

Dennoch: Der Aufenthalt wurde zum vollen Erfolg! Die Stadt bietet schließlich Höhepunkte en masse! Um mit der Semperoper zu beginnen: Die „Carmen“-Inszenierung wirkte zwar reichlich hausbacken (kein Vergleich mit der phantasievollen und mutigen Detmolder „Carmen“!). Aber architektonisch und (natürlich!) musikalisch war der Besuch der Semperoper sicherlich ein Höhepunkt meiner bisherigen Opernerfahrungen!

Museen ohne Ende

Rafael: Sixtinische Madonna, 1513-14, Galerie Alte Meister, Dresden (Foto: Wikipedia)

Dann die Museen! Selbstverständlich hat man in drei-ein-halb Tagen keine Chance, die Dresdner Museumslandschaft auch nur annähernd auszuloten. Da ist Beschränkung angesagt.

 

Die Publikumslieblinge unter den Museen sind wohl die „Gemäldegalerie Alte Meister“ im Zwinger (mit Raffaels „Sixtinischer Madonna“ als nur einem Highlight zwischen Meisterwerken von Correggio, Cranach, Dürer, Rubens, Rembrandt ...) sowie die „Grünen Gewölbe“ im Residenzschloss: das „Historische Grüne Gewölbe“, eine Rekonstruktion der Schatzkammer von August dem Starken, sowie das „Neue Grüne Gewölbe“, „wo etwa 1.000 ausgesuchte Meisterwerke der Schatzkunst in spiegelfreien Vitrinen aus nächster Nähe, perfekt ausgeleuchtet und wunderbar im Detail zu bestaunen sind“, wie das Museum selbst für sich wirbt (und dabei keineswegs übertreibt).

 

Zum Glück kannten wir „Alte Meister“ und „Grünes Gewölbe“ schon von einem früheren Dresden-Aufenthalt. Auch wenn beide durch einen einmaligen Besuch sicherlich längst nicht „abgehakt“ sind – diesmal konzentrierten wir uns auf drei andere von den 44 Museen; ein viertes war sozusagen unvermeidlich:

 

1. Galerie Neuer Meister im Neuen Albertinum

Das neue Albertinum - Katalog

„Das neue Albertinum“ bietet „Kunst von der Romantik bis zur Gegenwart“. Der Museumskomplex an der Brühlschen Terrasse wurde nach den Schäden durch das Jahrhunderthochwasser von 2002 völlig neu konzipiert und gestaltet. Die Depots für die Kunstschätze aus Jahrhunderten wurden aus dem Keller in ein neu errichtetes hochwasserfernes Dachgeschoss verlegt. Darunter gruppieren sich rund um einen großzügigen Lichthof auf drei Etagen unter anderem die reichhaltige Skulpturensammlung („Von Rodin bis zur Gegenwart“), der Mosaiksaal („Vom Klassizismus bis Ernst Rietschel“) sowie die „Galerie Neue Meister“. Wir haben uns auf die Neuen Meister beschränkt, denen allein man gut und gerne einen Museumstag widmen kann.

Caspar David Friedrich: Das Kreuz im Gebirge

 

Es beginnt mit den Romantikern, wo man mit 14 Gemälden eine der bedeutendsten Caspar-David-Friedrich-Sammlungen vorfindet, darunter die „Zwei Männer in Betrachtung des Mondes“ sowie das „Kreuz im Gebirge“ (auch als „Tetschener Altar“ bekannt; 1807/1808). Und es endet mit der Gegenwart, wo Gerhard Richter zwei Säle nach seinen Vorstellungen mit eigenen Werken gestalten konnte. Einen eigenen Raum hat auch Georg Baselitz erhalten (wobei ich mich wieder mal gefragt habe, ob es wirklich reicht, ansonsten recht banale Bilder einfach auf den Kopf zu stellen). Interessanter sind etwa Sigmar Polke, Neo Rauch oder Rupprecht Geiger, dessen abstrakt anmutende rot-gelbe Landschaft die Blicke auf sich zieht.

Zwischen dem Romantiker Ludwig Richter und dem Zeitgenossen Gerhard Richter finden sich namhafte Impressionisten (Monet, Degas, ....) und – für mich als Expressionismus-Fan besonders beeindruckend – eine lange Reihe sehr schöner expressionistischer Werke (von Dix, Nolde, Kirchner, Schmidt-Rottluff und vielen anderen – allein dafür hätte ich einen ganzen Tag aufwenden mögen).

 

Leider ist der Katalog des „neuen Albertinums“ sehr schematisch zusammengestellt: Von wenigen besonders Prominenten abgesehen, wird jeder Künstler mit genau einem Werk auf genau einer Seite vorgestellt – und das auch nicht nach Epochen- oder von mir aus nach Sinn-Zusammenhängen, sondern in sturer alfabetischer Aneinanderreihung. Immerhin ergibt die diktatorische Zufälligkeit des ABCs gelegentlich auch mal einen hübschen Effekt: Wenn sich etwa auf einer Doppelseite Gerhard Richters „Motorboot“ (1965) und Ludwig Richters „Überfahrt über die Elbe“ (1837) gegenüber stehen.

2. Deutsches Hygiene-Museum

Deutsches Hygienemuseum - Eingangsbereich

Mal was ganz anderes: ein "deutsches Hygienemuseum"! Dabei ist der Begriff „Hygiene“ viel zu eng für das, was es hier zu sehen gibt. In Paris gibt es ein „Musée de l’Homme“, und genau das wäre die angemessene Bezeichnung für das Haus am Dresdner Lingnerplatz: „Museum des Menschen“. Ein „Diskussionsforum für alle, die an den kulturellen, sozialen und wissenschaftlichen Umwälzungen unserer Gesellschaft am Beginn des 21. Jahrhunderts interessiert sind“ – so sieht dieses Museum sich selbst, und tatsächlich: von „Essen und Trinken“ bis zu „Schönheit, Haut und Haar“; von der „Anatomie“ über „Bewegung“ bis zu „Leben und Sterben“: das „Abenteuer Mensch“ wird hier in seinen unterschiedlichsten Facetten vorgeführt – informativ, verständlich, oft auch spielerisch, so dass man den Besuch gerade Familien mit Kindern wärmstens empfehlen kann – auch wenn einiges in der Abteilung „Sexualität“ im Kino wohl erst ab 18 gezeigt würde. Doch auch hier gibts harmlos-vergnügliche Spielereien: da werden Paare ermuntert, sich vor einer Wärmebildkamera zu küssen. Die physiologische Reaktion der Körper kann man dann nicht nur auf dem Bildschirm bestaunen, sondern sich auch nach Hause (oder an seinen ganzen E-Mail-Verteiler) verschicken lassen. Die aufgeschlossene Dame, die tiefergehende Bedürfnisse hat, kann gleich daneben einen gutaussehenden und –gebauten Roboter zwar nicht an Ort und Stelle ausprobieren, zumindest aber optisch begutachten ...

Und selbst der Kulturfreak kann hier zu seinem Recht kommen: Das Hygienemuseum bietet nicht nur Sonderausstellungen (zur Zeit: „Tanz!“ und „Das neue Deutschland“), wissenschaftliche Vorträge und Diskussionen sowie Lesungen, sondern auch ein Musikprogramm: Bei unserem Eintreffen erfuhren wir, dass in wenigen Minuten die Dresdner Philharmonie eines ihrer regelmäßigen (Sonntags-) Konzerte gab. Wir hätten sogar noch Karten bekommen, entschlossen uns dann aber doch, die Zeit wie vorgesehen fürs Museum zu nutzen. Es hat sich gelohnt!

3. "Rausch und Ekstase": Dionysos im Residenzschloss

Dafür haben wir am nächsten Tag das Musik-Angebot angenommen: Unter dem Titel „Kunst und Musik“ wurde im Residenzschloss ein „Rundgang mit musikalischer Umrahmung in der Sonderausstellung ‚Dionysos. Rausch und Ekstase‘“ angeboten. Die Dionysos-Ausstellung selbst hat mich so begeistert, dass es dazu  eine eigene ausführliche Darstellung gibt.

 

Die Musik dazu war allerdings enttäuschend: zwei fortgeschrittene Studenten mit Gitarre und Kontrabass gaben an mehreren Stellen der Ausstellung kurze Stücke zum Besten. Nicht, dass die Examenskandidaten ihre Instrumente nicht beherrscht hätten! Oh nein, gespielt haben sie gewisslich perfekt! Aber die Musikauswahl ....! Die mir unbekannten Stücke klangen alle akademisch-neutönerisch. Das hätte ich noch nicht mal zu Ehren Apollons spielen lassen - wenn man denn das vor allem von Nietzsche geprägte Begriffspaar „apollinisch (sauber, ordentlich, brav) – dionysisch (genialisch, rauschhaft, orgiastisch)“ hervorkramen möchte. Nein, das war einfach langweilig. Unter dionysischer Musik stelle ich mir etwas anderes vor! Etwas ganz anderes!

4. "Freilichtmuseum Barock"

Der goldene Reiter - Standbild August des Starken

Und dann ist da noch das Museum, das in der Liste der 44 vom Tourismusamt wohl noch gar nicht enthalten ist. Dabei ist es das größte. Und für jeden Dresden-Besucher unvermeidlich: Das Freilichtmuseum Barock, das nicht nur die komplette Altstadt umfasst, sondern auch große Teile der sogenannten Neustadt.

Den berühmtesten Blick auf die Dresdner Altstadt hat man vom jenseitigen Elbufer: schon 1748 wurde dieses markante Barock-Panorama vom venezianischen Maler Bernardo Belloto, genannt Canaletto, in einem Ölgemälde festgehalten. Diesen „Canaletto-Blick“ kann man heute in der Gemäldegalerie Alte Meister bewundern – und immer noch (wieder! s.u.) als Original in den rechten Elbauen, wo das fürsorgliche Tourismusamt sogar einen Rahmen installiert hat, um Fotografen oder Malern das Nachempfinden der klassischen Ansicht zu erleichtern.

Die Wikipedia-„Liste der Barockbauten in Dresden“ umfasst neben Frauenkirche, Zwinger und Residenzschloss mehr als 60 weitere Gebäude aus der Epoche. Da eine Beschreibung dieses Freilichtmuseums in Uferlose gehen müsste, verzichte ich lieber ganz darauf. Wen’s interessiert, der findet – zum Beispiel – bei Wikipedia Informationen in Hülle und Fülle.

Sächsische Katastrophenbewältigung

Stattdessen: ein paar bewundernde Worte über den sächsischen (Wieder-) Aufbauwillen: Ursprünglich wurde dieses enorme Barockensemble ja unter August dem Starken (1670 - 1733) und dessen Sohn Friedrich August II. (1696 – 1763) geschaffen, die als absolutistische Könige über die Macht verfügten, die erforderlichen enormen Ressourcen an Arbeitskraft und Material zu mobilisieren (um welchen Preis auch immer!). Ein Großteil der heutigen barocke Pracht ist allerdings jüngeren Generationen zu verdanken: bekanntlich wurde die Bausubstanz von „Elbflorenz“ im Zweiten Weltkrieg weitgehend zerstört: die Innenstadt bestand im wesentlichen noch aus Trümmern im Umfang von etwa 18 Millionen m³    ( mehr )

 

Natürlich mussten die ersten Aufbaubemühungen der Wiederherstellung der einfachen Lebensgrundlagen (Wohnraum, Infrastruktur) gelten; doch bald richtete sich das Interesse auch auf die historische Bausubstanz. Zunächst galt es Überreste zu sichern; später folgte die Wiederherstellung. Bereits während der Trümmerräumung begann man, den Zwinger, als ein Wahrzeichen der Stadt, neu zu errichten (1964 äußerlich fertiggestellt); später verhinderten Proteste den eigentlich geplanten Abriss der Semperoper; ihr Wiederaufbau begann 1977; 1985 wurde sie mit dem „Freischütz“ wieder eröffnet. Weltweites Aufsehen weckte der Wiederaufbau der Frauenkirche nach der Wende. –

 

Foto: siehe "Quelle"

Es ist kaum vorstellbar, welchen Aufwand die Wiederherstellung dieses riesigen Barockensembles erforderte. Schließlich war nicht „nur“ die riesige Kuppel der Frauenkirche zu erneuern – Tausende von Bauelementen (Treppen, Fenster, Erker, Säulen ...) mit Zigtausenden Details (Stuckverzierungen, Wandmalereien, Blattgoldschmuck, Holzschnitzereien ...) sollten möglichst originalgetreu wieder aufleben, wobei die Originale oft genug nur unzureichend dokumentiert waren.

 

Einen bescheidenen Eindruck von diesen Schwierigkeiten und Mühen vermittelt eine kleine Ausstellung im Residenzschloss.

 

Quelle: „Der Wiederaufbau des Dresdner Schlosses. Eine Baudokumentation bis 2007. – Herausgegeben vom Sächsischen Staatsministerium der Finanzen, 22012.

2002: „Die große Welle“

Einen herben Rückschlag bedeutete die Hochwasserkatastrophe von 2002, bei der die Dresdner Innenstadt überflutet und beispielsweise das Residenzschloss stark beeinträchtigt wurde. (Mehr: Die Hochwasserkatastrophe 2002: Unerwartet und verheerend. – In: „Der Wiederaufbau des Dresdner Schlosses ...“, S. 63 ff.)

 

Doch selbst dieses Ereignis setzten die Dresdner noch in ein Kunstwerk um: Auf der Augustusbrücke findet man jetzt eine Adaption des berühmten japanischen Farbholzschnittes „Die große Welle von Kanagawa“ (Katsushika Hokusai; ca. 1831).  

Der Porzellan-Fürstenzug: Obrigkeitsverehrung (oder –kritik?)

Eine weitere Kult(ur)-Institution, für die wir auf diesem Trip keine Zeit hatten: die von August dem Starken begründete Porzellanmanufaktur im nahen Meißen. Meißner Porzellan – der Inbegriff für kunstvoll gestaltetes Geschirr. Und für zerbrechliches! Kurioserweise hat ausgerechnet ein aus Meißner Porzellan gerfertigtes Denkmal den Bombenhagel von 1944 fast unbeschädigt überstanden (das Hochwasser sowieso): Der Fürstenzug, das größte Porzellanbild der Welt (102 x 10 m), an der Außenseite des Stallhofs vom Dresdner Residenzschloss. In einem langen Reiterzug zeigt es alle 35 sächsischen Herrschen von Markgraf Konrad dem Frommen (1127 – 1156) bis König Georg (1902 – 1904), begleitet von zahlreichem Gefolge, zum dem auch Größen der Lokalgeschichte gehören (beispielsweise der Maler Ludwig Richter). Ein gemalter und verwitterter Vorläufer aus dem 16. Jahrhundert wurde um 1905 durch die heutige Darstellung aus ca. 23.000 Porzellanfliesen ersetzt.

Nach einem ersten Blick auf den prachtvoll ausgestalteten Fürstenzug mögen wir heutigen Republikaner die naiv-untertänige Verehrung einer Obrigkeit belächeln. Wirklich? Hat der Künstler in seiner Darstellung womöglich eine subtil-boshafte Kritik an der antiquierten Klasse adeliger Schmarotzer versteckt?  Oder warum lässt er all die mächtigen Herren auf ihren prächtigen Pferden nach rückwärts reiten?