"Dionysos. Rausch und Ekstase"

Dresdner Ausstellung über den Theater-Gott

WaSa     -     Dionysos war – neben vielem anderen – auch der Gott des Theaters. Das Dionysostheater am Südhang der Akropolis war das wichtigste Theater im alten Griechenland; es gilt als Geburtsstätte des Theaters der griechischen Antike und des Dramas überhaupt. Hier wurden alljährlich die Dionysien gefeiert, Festspiele zu Ehren des Gottes. Das waren ursprünglich Aufführungen, die aus kultischen Gesangs-, Tanz- und Opferriten hervorgegangen waren. Später fanden hier die berühmten Wettbewerbe statt, wo Aischylos, Sophokles und Euripides ihre Stücke uraufführen ließen und um die Ehre kämpften, „Autor des Jahres“ zu werden.

Ausstellungs-Faltblatt

Somit kann man die Dionysien als Keimzelle der Theatergeschichte ansehen, Dionysos als Schutzherrn des Theaters.

 

Für einen Theaterfan ist es deshalb Ehrensache, die Ausstellung zu besuchen, welche vom 06.02. – 10.06.2014 im Dresdner Residenzschloss unter dem Titel „Dionysos – Rausch und Ekstase“ zu sehen ist.

Quellen der Fotos

Alle Fotos in diesem Artikel - außer dem der Semperoper - stammen aus der Ausstellung "Dionysos. Rausch und Ekstase". - Sie stammen von den Seiten der zwei Institutionen, die die Ausstellung erarbeitet haben:

 

          Bucerius Kunst Forum  Hamburg

 

          Staatliche Kunstsammlungen Dresden

 

Pater certus est

Die Genealogie der griechischen Götter ist nicht gerade einfach und übersichtlich. Den Rekord an Verworrenheit hält womöglich die Herkunfts- und Lebensgeschichte des vielseitigen Gottes Dionysos, der bei den Römern Bacchus hieß. Nicht einmal über die Mutter sind sich die Chronisten einig, ganz im Gegensatz zur alten, vermeintlich unfehlbaren Juristen- (und Hahnrei-)-Weisheit „Mater certa ist“ (auch als „Mater secura est“ bekannt). Gleich vier Göttinnen kommen als Mütter in Frage. Am populärsten ist allerdings die Geschichte von der Königstochter Semele, der Zeus als Adler erschienen sei, um mit ihr den Sohn Dionysos zu zeugen.

 

Eins allerdings darf als sicher gelten: Wer auch immer die Mutter war - der Vater war in jedem Fall Zeus (jedenfalls ab dem Zeitpunkt, an dem Dionysos in den griechischen Olymp aufgenommen wurde). Und der kümmerte sich um seinen Sohn, schützte ihn vor seiner rachsüchtigen Gemahlin Hera, welche in ihrer Eifersucht nicht davor zurückschreckte, ganze Paläste niederbrennen zu lassen, um die schwangere Nebenbuhlerin inklusive der illegalen Brut ihres Götter-Gatten auszumerzen.

 

Schon die vorgeburtliche Existenz Dionysos war also voller Gefahren; und so sollte es weitergehen: Es folgten zahlreiche weitere Abenteuer in einer – wie gesagt: - ziemlich verworrenen Biografie. Für einen Überblick über diese Biografie kann ich (leider! – schließlich bin ich bekennender Wikipedia-Fan) auch den Dionysos-Artikel bei Wikipedia NICHT empfehlen. Der reiht so viele Versionen der Geschichte ohne roten Faden hintereinander, dass er eher zu weiterer Verwirrung beiträgt.

 

Deshalb steht weiter unten eine Übersicht über den Mythos und den Kult des Dionysos. So viel vorab: Das ereignisreiche Leben des Gottes, sein Bezug zum Wein, seine Liebschaften und nicht zuletzt die aufsehenerregenden Riten seines Kultes haben schon immer Künstler jeglicher Disziplin zu großen Werken angeregt. Daher die zahlreichen Versionen seiner Geschichte. Daher auch unzählige Werke von Bildhauern, Keramikern und Malern aus allen Epochen, die Dionysos und sein Umfeld zum Thema haben.

Dionysos-Darstellungen aus den renommiertesten Museen ...

Etwa 80 dieser Werke können jetzt in Dresden im Zusammenhang betrachtet werden. Die Ausstellung „Dionysos – Rausch und Exstase“ wurde vom „Bucerius Kunst Forum Hamburg“ und der „Staatlichen Kunstsammlung Dresden“ zusammengestellt und zunächst in Hamburg gezeigt.

 

Jetzt, vom 06.02. – 10.06.2014 sind sie im Dresdner Residenzschloss zu sehen. Gegenüber Hamburg kam noch einmal eine Reihe von Exponaten dazu: ein Grundbestand der Ausstellung stammt ohnehin aus der „Gemäldegalerie alter Meister“ im Dresdner Zwinger. Einige Werke, die wegen ihrer Größe und ihres konservatorischen Zustandes nicht nach Hamburg transportiert werden konnten, wurden jetzt aber für die Dauer der Ausstellung „über die Straße“ ins Residenzschloss gebracht. Auch einige weitere wertvolle Exponate konnten jetzt erst in die Ausstellung aufgenommen werden, die nunmehr Leihgaben aus den renommiertesten Kunstsammlungen vereinigt: der National Gallery in London, aus dem Prado in Madrid, dem Louvre, aus den National Galleries in London und Washington, aus den Vatikanischen Museen – um nur einige zu nennen.

 

... und aus aus zwei-ein-halb Jahrtausenden:

Noch größer ist die zeitliche Spanne: Die frühesten Darstellungen stammen aus hellenistischer Zeit; viele auch aus römischer – so auch das Plakatmotiv für die Dresdner Ausstellung: eine Rückenansicht vom Torso eines Satyrn, des typischen Begleiters des Dionysos, kenntlich an seinem hoch angesetzten Schwanz. Die jüngsten Exponate stammen aus dem späten 19. Und dem 20. Jahrhundert: Werke von Max Beckmann, Franz von Stuck oder Lovis Corinth.

Einen Schwerpunkt bildet die Malerei der ausgehenden Renaissance und des Barock – so kommts einem jedenfalls vor, vielleicht auch nur, weil die Gemälde von Raffael, Caesar Boëtius van Everdingen, Hans von Aachen, Guido Reni, Annibale Carracci oder Caravaggioso besonders opulent sind. Die lebensprallen Szenen der Weinfeste, der Triumphzug des Bacchus mit seinem malerischen Gefolge, die Riten des Gottes Dionysos voll erotisch aufgeladener Nacktheit – all das entsprach dem Geschmack der Zeit und wurde deshalb wieder und wieder gemalt.

Eine gute Idee der Kuratoren: die Werke nicht in sturer Chronologie aneinanderzureihen, sondern Dialoge über die Epochen hinweg zu eröffnen, indem sie antike und moderne Werke gegenüberstellen und somit zur fruchtbaren vergleichenden Betrachtung animieren.

Semperoper mit Dionysos-Quadriga (Foto: G. Wasa)

Ein solcher Dialog reicht über die Museumsmauern hinaus: Ein Erkerfenster ist zwar (wohl zur Schonung der wertvollen Exponate) verhangen, erlaubt aber immerhin einen vagen Blick auf das Hauptportal der gegenüberliegenden Semperoper, auf dessen Dach eine Quadriga Richtung Residenzschloss fährt: der von vier Panthern gezogene Wagen des Dionysos und der Ariadne (von Johannes Schilling).

Ein vielseitiger Gott: Dionysos-Mythos und -Kult

Dionysos war ursprünglich kein hellenischer Gott, sondern stammte aus Thrakien, der Region nördlich des „klassischen“ Hellas. Die Griechen kannten die Thraker als Liebhaber von Musik und Tanz, von Lyrik und Gesang. Vor allem galten sie aber als trinkfeste und raubeinige Haudegen. „Er trinkt wie ein Thraker“ war durchaus nicht als Lob gedacht!

Diesem Milieu entstammte also der Kult des Dionysos. Dementsprechend war dieser Kult lebensfreudig, ja geradezu orgiastisch. Man dachte sich Dionysos als von einem wilden Geisterschwarm (Thiasos) umgeben, der aus Walddämonen (Satyrn und Silene) und ekstatisch rasenden weiblichen Mänaden oder Thyaden bestand. Dieses ungebärdige Gefolge versuchten die Teilnehmer und vor allem Teilnehmerinnen an den dionysischen Nachtfeiern nachzuahmen; dazu kleideten sie sich in locker-wallende Gewänder oder noch lieber in Rehfelle und versetzten sich durch wilde Musik, rasenden Tanz und berauschende Drogen in eine ekstatische Erregung, die ihre innigste Vereinigung mit dem Gott herbeiführen sollte.

 

Gleich dem wilden Dionysos (auch „Omestes“ genannt: „der rohes Fleisch Verzehrende“) zerrissen sie die Opfertiere und verschlangen das rohe Fleisch. Vom Toben dieser Feste erhielt Dionysos auch den Beinamen Bakchos, „der Lärmende“.

 

Dieser fanatische Erregungskult aus dem barbarischen Thrakien stieß im kultivierten Griechenland auf mannigfachen Widerstand. Bei Homer spielt Dionysos noch eine sehr untergeordnete Rolle; jedoch breitete sich der Kult allmählich nach Süden aus.

Schließlich wurde Dionysos sogar als Sohn von Zeus und Semele in den Olymp aufgenommen; doch war sein Charakter da schon stark gemildert und vermenschlicht: er erscheint jetzt als Sorgenlöser, als freundlicher Spender des Weins, als Bringer von Festlust und Lebensfreude; auch als Schützer der Natur und Förderer von Wachstum und Gedeihen der Pflanzen. Noch später wurde er als Bacchus zum geradezu harmlosen Weingott der Römer.

 

Auch sein Kult wird hellenisiert; die späteren Festgebräuche sind nur noch ein rituell andeutendes Nachbild des alten orgiastischen Taumels. An dessen Stelle treten ländliche Weinfeste oder die großen städtischen Dionysien, an denen die berühmten Stücke der griechischen Klassiker aufgeführt werden und die damit zur Keimzelle der Theatergeschichte werden.

 

Auf diesem weiten Weg von Thrakien in die Kulturmetropole Athen, von den wilden nördlichen Wäldern bis zum griechischen Olymp hat Dionysos so manche Wandlung durchgemacht: vom Gott der Orgien zum Schutzherrn des Theaters, vom Anführer wilder Geisterhorden zum Sohn des Zeus.

 

Kein Wunder, dass im Lauf dieser langen Wanderung, dass im Verlauf dieser tiefgreifenden Wandlung dem Dionysos immer neue Eigenschaften zugeschrieben, ihm immer neue biografische Details und Abenteuer angedichtet werden.

 

Das geht schon mit seiner Herkunft los: Selbst als Zeus längst als Vater feststand, brachten die Biografen immer neue Mütter ins Spiel: Gleich vier Göttinnen (Demeter, Io, Persephone und Lethe) streiten sich um den Ruhm, Mutter des beliebten Weingottes zu sein. Am populärsten ist allerdings die Geschichte von der Königstochter Semele: Demnach war der „Sorgenbrecher“ (einer der vielfältigen Beinamen Dionysos’) die Frucht eines der zahlreichen Seitensprünge, mit denen Götter-Vater(!) Zeus immer mal wieder irdische Frauen geschwängert hatte. Und damit kommt auch Hera ins Spiel, offizielle Gattin des obersten Gottes und angesichts der Eskapaden ihres Götter-Gatten von begründeter Eifersucht getrieben. Sie soll die Nebenbuhlerin Semele überredet haben, von ihrem Liebhaber zu verlangen, sich ihr in seiner wahren Gestalt zu nähern. Das war allerdings der Blitz, und so verbrannte Semele mitsamt dem ganzen Palast ihres Vaters. Nur das ungeborene Kind konnte Zeus retten. Um den Kleinen vor weiteren Nachstellungen der bösen Stiefmutter zu bewahren, war sich Zeus nicht einmal zu schade, höchstselbst Leihmutter zu spielen: er pflanzte sich den Dionýsos-Embryo in seinen Oberschenkel ein, um ihn dort vollends auszutragen.

Nun beginnt ein langes Hin und Her: Hera ersinnt immer neue Methoden, den ungeliebten Wechselbalg zu vernichten, Zeus setzt dem immer neue Listen zur Rettung seines Sohnes entgegen. Mal verwandelt er ihn zeitweise in ein Zicklein (Ziege und vor allem Ziegenbock bleiben auch weiterhin von Bedeutung); mal versteckt er ihn bei diesen, dann wieder bei jenen Pflegeeltern. Der bedeutendste Pflegevater war dann Silen – ein weiser Alter, der zum Lehrer des jungen Gottes wurde, und zwar so erfolgreich, dass der später selber zum Lehrer wurde:

 

Als Gott des Wein zog der erwachsene Dionysos um die Erde, zumindest bis nach Indien. Überall lehrte er die Menschen den Weinbau. Und dieser Zug durch die Welt mit zahlreichen Stationen bot wiederum vielfache Gelegenheit für Geschichten: wie Dionysos bei seinem Bestreben, die Weinkultur einzuführen, auf mannigfachen Widerstand stieß – und wie er diesen mannigfachen Widerstand mit phantasievoller Härte zu brechen wusste!

Und natürlich: nicht nur den griechischen Rhapsoden und späteren Erzählern bot dieser vielseitig Gott Motive für ihre Dichtungen – auch den bildenden Künstlern lieferte dieser Lebenskünstler mit seiner Entourage Vorbilder für ihre Statuen und Gemälde. Schon die Szene, in der die schwangere Selene vom Zeus-Blitz verbrannt wurde ... Welch ein Motiv! - Dann die verschiedenen Attentatsversuche Heras ... und jetzt: der Triumphzug des Bacchus: Er ließ seinen Wagen von Löwen, Tigern oder Panthern ziehen. Ihn begleiteten trunkene thrakische Weiber, Mänaden oder Bacchantinnen genannt, die mit fliegendem Haare den Thyrsos schwangen: einen mit Weinreben und Efeu umwundenen langen Stab mit einem Pinienapfel als Spitze (Freud muss begeistert gewesen sein!). Ihnen folgten weinselige Männer und Satyrn: Menschengestalten mit Hörnern und Bocksbärten. Motive über Motive!

 

Kaum erstaunlich, dass auch sein Liebesleben beliebte Motive bietet, vor allem seine Beziehung zu Ariadne: Ariadne war die Tochter des Königs Minos von Kreta; dieser war Herr über ein Labyrinth, in dem er den Stiermenschen Minotaurus gefangen hielt, dem er regelmäßig Athener zum Fraß vorwarf – so lange, bis der Athener Prinz Theseus das Ungeheuer tötete und seine Leidensgenossen aus dem Labyrinth herausführte – beides schaffte er nur mit Hilfe Ariadnes, die ihn mit einem geweihten Schwert für den Kampf und einem langen roten Faden, dem Ariadnefaden, zur Markierung des Rückweges ausgestattet hatte. Das Märchen-Happy-End – der Prinz heiratet die Prinzessin – wird dann allerdings verhindert, da Dionysos ein Auge auf Ariadne geworfen hatte und es seiner göttlichen Macht ein Leichtes ist, die Begehrte dem Nebenbuhler auszuspannen.

 

 

Allerdings hält Dionysos von lebenslänglicher ehelicher Treue genau so wenig wie sein regelmäßig seitenspringender Vater. Unter anderem hatte er ein längeres Techtelmechtel mit Aphrodite (der römischen Venus), der Göttin der Schönheit und der Liebe. Ihr gemeinsamer Sohn war Priapus, der vor allem als Besitzer eines gigantischen Phallus in Erinnerung geblieben ist. In der römischen Version sind Bacchus und Venus auch die Eltern der drei Grazien.

Dionysos‘ weiser Lehrer Silenus durchlebt im Lauf der Jahre eine Metamorphose: nicht zum Braven, Gefälligen, wie sein junger Schüler. Nein: aus dem weisen Lehrer wiurd ein alter glatzköpfiger Trunkenbold mit Ziegenohren, Hörnern und Bocksbart – die Seniorenausgabe der jugendlich-kräftigen Satyre. Der alte Silen folgt dem Triumphwagen des Dionysos auf einem Weinfass sitzend, wobei jugendliche Helfer den alten Säufer stets von beiden Seiten stützen müssen, damit er nicht vom Fass fiele. Bacchus selbst ist aber stets nüchtern.

 

In diesen Triumphzügen wird Dionysos in der Regel als junger Mann von angenehmem Äußeren dargestellt. Frühere Darstellungen zeigen ihn dagegen oft als reifen bärtigen Mann in langem Gewand, meist mit Efeu bekränzt. Seit etwa 300 v. Chr. wird er häufig nackt dargestellt, zunächst in männlich-kraftvollen Gestalten; erst in der späteren hellenistischen Zeit erhielt er feminin-weiche Züge. Barockkünstler wie Caravaggio oder Reni stellen ihn – als Bacchus – sogar gern als Kind dar!

 

Dem Dionysos heilige Tiere waren: Bock, Stier, Schlange, Löwe und Panther bzw. Leopard – alles beliebte Motivelemente für zahlreiche Künstler; ähnlich ist es bei den ihm geweihten: Pflanzen: Lorbeer, Efeu und – natürlich – Reben. Erst recht liefern seine Attribute ergiebige Motive: der Thyrsos (ein langer Stab mit Pinienapfel an der Spitze) und der Phallos.

 

Eine griechische Keramik aus dem frühen 5. Jh. v. Chr. zeigt die Konfrontation beider Attribute, hier verteilt auf Mänade und Satyr als den typischen Dionysos-Begleitern:

Quellen zur Dionysos-Biografie und -Kultgeschichte

Ausstellungs-Faltblatt

August Enk, Victor Huyskens:

Annegarns Weltgeschichte in acht Bänden. – Münster i. W. 91904. –

Erster Band: ... Sagengeschichte der Griechen.

 

Herders Konversations-Lexikon in acht Bänden. – Freiburg i. Br. 31903. -

Artikel „Dionysos“. - Zweiter Band. Sp. 1338 f. – Sowie weitere Artikel

 

Wikipedia: Artikel „Dionysos“, “Dionysostheater”, „Ariadne“ u.a.

 

 

Alle Fotos in diesem Artikel - außer dem der Semperoper - stammen aus der Ausstellung "Dionysos. Rausch und Ekstase". - Sie stammen von den Seiten der zwei Institutionen, die die Ausstellung erarbeitet haben:

 

          Bucerius Kunst Forum  Hamburg

 

          Staatliche Kunstsammlungen Dresden