Oberflächliche Belanglosigkeiten und unter die Haut gehende Meisterwerke

Ausstellung „subcutan“ der Künstlerinnengruppe pickArt

Ist das Kunst? oder kann das weg?

Dialog vor einer mit weißen Schlieren übersäten Trennscheibe:

Besucher: „Was soll denn daran schon wieder Kunst sein!“

Besucherin: „Das soll ja keine Kunst sein, das wurde nur gemacht, damit man den hässlichen Raum dahinter nicht sieht.“

 

Der Dialog erinnert an die eine oder andere Anekdote, z. B. darüber, wie das Joseph-Beuys-Kunstwerk „Fettecke“ von einem Hausmeister als Abfall entsorgt oder wie eine vom selben Künstler mit Heftpflaster und Mullbinden ver(un?)zierte Badewanne von braven SPD-Frauen sauber-geschrubbt und zum Gläserspülen zweckentfremdet wurde. Nicht besser erging’s einer Gummiwannen-Installation Martin Kippenbergers in einem Dortmunder Museum … 

 

All das illustriert die ebenso alte wie unbeantwortete Frage: Was ist Kunst?

 

Der zitierte Dialog könnte fortgesetzt werden:

 

Besucher: „Das soll sehr wohl Kunst sein! Schließlich gibt’s dafür sogar einen Titel: ‚Hinter verschlossenen Türen – Installation – 2021‘ von Annie Fischer“.

Besucherin: „Aha – und was gibt’s hinter den verschlossenen Türen?“

Besucher: „Ich kann nichts erkennen.“

Besucherin: „Was könnte da gemeint sein? Das bleibt wohl ein Rätsel.“

 

Für viele Kunstliebhaber genügt es tatsächlich, dass ein Objekt die Frage „Was könnte damit gemeint sein?“ auslöst, um es als Kunst anzuerkennen. Ob unsere beiden Besucher dem zustimmen, mag dahingestellt bleiben.

 

Ebenso mag dahingestellt bleiben, was die Besucher von so manchem Objekt halten, das neben Fischers „Installation“ in der Ausstellung „subcutan“ zu sehen ist.

 

„subcutan“ im „medical“

„subcutan“ – das ist der Titel der jüngsten Ausstellung der Künstlerinnen-Gruppe pickArt, die noch bis zum 14.11.2021 im „medical“ in der Siegfriedstraße 86 zu sehen ist.

 

Irgendwie passend, dass eine der ersten Ausstellungen im ehemaligen „Medical-Center“ (mehr dazu und zu pickArt: s. u.) mit einem Begriff überschrieben ist, den man vor allem aus dem anatomisch-medizinischen Bereich kennt: subkutan = unter der Haut bzw. – bezogen auf Injektionen – „unter die Haut gehend“. Dabei darf man auch an die Redewendung denken, die sich von diesem Fachbegriff ableitet: „unter die Haut gehen“ bedeutet: „jemanden sehr berühren, innerlich aufwühlen“ (Duden, Bd. 11, Redewendungen, S. 333).

 

In ihren Begleittexten nehmen alle Ausstellerinnen Bezug auf diesen Begriffskomplex „unter der / unter die Haut“, wobei sich der Zusammenhang teils äußerst drastisch geradezu aufdrängt, in anderen Fällen aber sehr bemüht, sehr gesucht (um nicht zu sagen: an den Haaren herbeigezogen) wirkt.

 

Aber derartige Unterschiede bestehen nun mal bei solchen Sammel-Ausstellungen. Da gibt’s ja auch eine große Spannbreite in der kommunikativen, der künstlerischen Qualität: von ausdrucksstark in Form und Farbe und beeindruckend (eben: „unter die Haut gehend“) über rätselhaft (ein Euphemismus für „unverständlich“) bis hin zu: in der Aussage gekünstelt nichtssagend-banal – um im Bild zu bleiben: oberflächlich (von der Haut) abperlend - und damit hier nicht weiter erwähnenswert

 

unterwegs: Monika Möller

Aus dem Rahmen fällt Monika Möllers Werk: Klar, als Installation hängt es nicht in einem Rahmen, aber es fällt sozusagen auch aus dem Haus: ist unterwegs. Ihr kokon-artiges Objekt, gerade so groß (200x80x80), dass ein Mensch darin Zuflucht finden könnte; dieses Gebilde aus „Fiberglas, Stoff, Weide, Strohband“ ist nur durch Fotos präsent, wird lediglich durch ein paar übriggebliebene Schnüre vertreten, während das Original noch bis zum 31.10. irgendwo zwischen Schweiz und Detmold unterwegs ist: „rückwärts – vorwärts | indietro – inoltrare“, nachverfolgbar im Internet, wo Möller auch den Hintergrund dieses Projektes beschreibt.   

Ein schönes Hobby: Christa Fuhrmanns „Veränderung“

„Christa Fuhrmanns künstlerischer Leitfaden ist das Textile“ (aha!). Sie „fängt abgeblätterte Rinde eines toten Baumstammes auf, bettet sie in weiches selbstgeschöpftes Papier“ – zweifellos ein schönes Hobby, wenn man daran Spaß hat (andere kleben das Brandenburger Tor aus Streichhölzern zusammen). Der Bezug zum Ausstellungstitel ist da, denn „das Papier umschließt die Rindenstücke wie eine Haut“; dass man gelegentlich an aufgehängte Rinderhälften (ja, Rinder, nicht Rinden) denkt, mag an der weißgefliesten Wand des ehemaligen Medical Centers liegen, die so ein bisschen Schlachthof-Atmosphäre evoziert.

 

Tote Tiere: Karin Hattenkerls „post mortem“

Empfindlicheren Gemütern mag der Anblick überfahrener Tiere tatsächlich „unter die Haut gehen“. Aber man kann sich auch einfach auf die (zugegeben: skurril-morbide) Ästhetik der handwerklich-perfekten Fotos und der künstlerisch-verfremdeten Grafiken einlassen. In ihren Fotos will Hattenkerl ihre „Wertschätzung“ für die toten Tiere und ihre „Traurigkeit über deren unverschuldeten Tod“ zum Ausdruck bringen. Dabei betont sie den Kontrast zu den alltäglich-vertrauten „fein säuberlich zerlegten und dekorierten toten Tieren in der Fleischtheke“. Dabei mag man sich dann an andere Fotos erinnern: vom „unverschuldeten Leben“ der lebenslänglich angeketteten Rinder, der auf engstem Raum zusammengepferchten Schweine, die sich selbst die Schwänze abfressen, der tausendfach geschredderten Hähnchenküken … Wie war das nochmal mit „unter die Haut gehen“? 

Die Highlights

Ästhetisch-künstlerisch herausragend sind die Bilder von Gerlinde Wehmeier und von Angelika Leßmeier-Neuling. Zwar wirkt (auch) bei diesen beiden der Bezug zum Ausstellungstitel recht bemüht. Dafür beeindrucken sie durch ihren gekonnten Umgang mit Form und Farbe.

 

Gerlinde Wehmeier will „Tiefe durch farbliche Kontraste schaffen“ – was ihr gelingt: So kann man sich durch ihr „schwarzes Loch“ inmitten eines feurig-gelb-rot flirrenden Universums geradezu eingesogen fühlen: "in die Tiefe!". – Diese „Kontraste“ gelingen ihr auch in ihren Schwarz-Weiß-Collagen; dass diese etwas „blass“ wirken ist der unmittelbarer Nachbarschaft zu ihren glühend-farbigen Bildern geschuldet.

Leßmeier-Neuling: Abenddämmerung I + II

Auch Angelika Leßmeier-Neuling erweist sich (wieder einmal) als souveräne Herrscherin über die Farbpalette. Im Gegensatz zu Wehmeiers ungezähmten Formen dominieren bei ihr flächige, geradezu geometrische Muster – allerdings kontrastiert durch organische Elemente: eine wabenartige, netzartige Struktur, die der unbelebten „Abenddämmerung“ Leben einhaucht; oder der Nebelstreif, welcher der „Weite“ Tiefe verleiht und welcher über die „Begrenzung“ hinaus sich bis ins Unendliche fortsetzen mag …

Heike Flörkemeier: Meisterwerke, unter die Haut gehend

 

 

Fast hätte ich die Zeichnungen nach einem flüchtigen Blick links liegen lassen: Kinderzeichnungen aus der Kita, allenfalls Gekritzel, wie man’s so beim Telefonieren produziert. Doch der genauere Blick, auf den Titel zumal, schreckt auf, geht tatsächlich unter die Haut: „Luegde 2019“. Da muss man noch nicht mal daran denken, welche Verletzungen von Geist und Seele Psychologen aus Kinderzeichnungen herauszulesen vermögen. Flörkemeiers Kinder-Schicksal-Skizzen sind Meisterwerke in ihrer Einfühlsamkeit und in ihrer Ausdruckskraft.  

pickArt

pickArt – das ist eine Gruppe von einem guten Dutzend bildender Künstlerinnen aus Detmold und  Umland, die sich 1991 zusammengefunden haben und seither durch eine Reihe eindrucksvoller Projekte aufgefallen sind: durchaus mal politisch („Künstler gegen Ausländerfeindlichkeit“, 1993;  „Hände für den Frieden“, 2002). 

 

Mal geben sich die lippischen Künstlerinnen feministisch, mal zeigen sich auch der Region verbunden – nicht nur in Form der Homonymie zwischen dem Gruppennamen und dem lippischen Nationalgericht: z. B. widmeten sie sich in ihrer Ausstellung „weit weg – verflixt nah“ (2013 im Ziegeleimuseum Lage) der – für die lippische Sozialgeschichte so bedeutsamen – Wanderarbeit.

 

Seit 2011 betrieben die pickArtistinnen die „Temporäre Galerie“ an der Ecke Leopoldstraße / Schülerstraße; inzwischen nutzt der Eigentümer die Räume anderweitig.

 

Für die laufende Ausstellung fanden die Künstlerinnen Unterkunft im Medical.

 

 

Medical

 

 

 

siehe   

 

https://www.kunst-detmold.de/medical