Mancherlei   A B S T A N D

pickArt-Ausstellung in Burg Dringenberg   

(g.wasa   -   Detmold/Driburg.)     -  Unter dem Titel   „ A B S T A N D “   ist noch bis zum 9. Juli 2023 in der Burg Dringenberg die aktuelle Ausstellung der Detmolder Künstlerinnengruppe pickArt e.V. zu sehen.  

 

 

 

                                                                                                            .

A B S T A N D  ?   Was mag damit gemeint sein? 37 Kilometer? Oder 10 Meter, oder 50? Oder 20 Jahre? Oder der Abstand zwischen Schwarz-Weiß und Bunt? Oder eine soziale Distanz? Oder …?

 

37 Kilometer   oder:   Zwischen Dringenberg und MoMa

37 Kilometer sind’s von der Burg Dringenberg, dem Schauplatz der   A B S T A N D –Ausstellung, bis nach Detmold, dem Sitz von pickArt.  Kunstinteressierte aus Detmold und Umgebung kennen dieses Frauen-Kollektiv seit gut 30 Jahren von zahlreichen Ausstellungen (unten mehr). Auch jenseits der Grenzen des alten Freistaates Lippe ist man längst auf die vielseitigen Künstlerinnen aufmerksam geworden und hat ihnen Auftritte – zum Beispiel – in Marienmünster, Herford, Paderborn oder Bonn ermöglicht. Jetzt wurden sie eingeladen, ihre Werke in der Burg in Dringenberg zu präsentieren – eine schöne und verdiente Anerkennung für die über Jahre hinweg aufrechterhaltene künstlerische Qualität.

 

Dass allerdings einige der Künstlerinnen ihre Werke (nur) mit englischen Titeln versehen, wirkt - trotz dieser „Auswärtserfolge“ - doch gar zu optimistisch (um nicht zu sagen: albern). Denn: Einladungen in die Tate Modern oder ins MoMA sind so bald wohl doch nicht zu erwarten! (Es muss aber gesagt werden: Das liegt eher an den absurden Regeln eines exaltierten Kunstmarktes, als an einem tatsächlichen Qualitätsgefälle, denn das eine oder andere der besseren pickArt-Werke überstrahlt in Komposition, Farbgebung und Ausdruck so manches nichtssagende, banale Machwerk in einem der großen Museen!)

 

Natürlich (wie bei jeder Gruppen-Präsentation) sind auch in der   A B S T A N D –Ausstellung die Werke sehr unterschiedlich in Material, Stil und (ja, klar!) in der Qualität. Da stellt sich schon mal die Frage: „Kunst? Oder Banalität?“ –

 

Und sehr unterschiedlich ist auch die Interpretation des Begriffs „Abstand“.

 

B e i s p i e l e :

Die beeindruckendsten Werke müssten – der gängigen Dramaturgie folgend – eigentlich als krönender Abschluss am Ende stehen. Aber vielleicht wollen Sie ja gar nicht bis zum Schluss lesen? Also beginne ich mit meinen Favoriten:

 

Sozialer Abstand   oder:   Vor / während / nach der Pandemie

Die drei erdfarbenen Platten mit ihrer rauen Oberflächenstruktur wirken, als wären sie schon immer hier gewesen. Und tatsächlich hat Doris Lemberg-Hinsenhofen ihr Werk ganz dezidiert für diesen Standort geschaffen: für die eine Bruchsteinmauer-Nische im düsteren Keller der Burg Dringenberg.  

 

Das Ensemble wirkt allein schon aufgrund seiner urtümlichen Ästhetik: dem Neben- (oder Mit-? oder gar Gegen-?)Einander des groben (allerdings sorgfältig erarbeiteten) Produkts eines mittelalterlichen Bauhandwerkers und dem fein ziselierten Werk einer heutigen Künstlerin.

 

Wobei sich das „heutig“ weiter abgrenzen bzw. einordnen lässt: Lemberg-Hinsenhofen vergleicht ihr Werk mit einem „Ausgrabungsschnitt“: Wie in einem geologischen Profil lassen sich aufeinanderfolgende Schichten und damit zeitliche Perioden ablesen.

 

Zwischen dem Vorher und dem Nachher steht „die Zeit der Pandemie“ und damit eine „Zeit der sozialen Distanz“: Ausgehend von eigenen Krankheits-Erfahrungen will die Künstlerin „die damit verbundenen Einschränkungen visualisieren“.

 

 

Dunkelheit auf Abstand halten   oder:   Die Kraft der Farben  

Angelika Leßmeier-Neuling möchte in ihren großformatigen Bildern „die Kraft der Farben im Kontrast zu Schwarz-Weiß“ hervorheben: „Rot, Blau und Grün sollen die Dunkelheit auf Abstand halten“.

 

 

 

Mit ihren Bildtiteln eröffnet die Künstlerin Interpretations-Spielräume: Beim ersten – „Fear“ – ist der Betrachter noch im Zweifel: Soll man „Angst“ haben vor dem wilden, ungebärdigen Rot, welches das ordentlich-schwarz-weiße (beinahe schon Schachbrett-) Muster zu überfluten droht? Oder, umgekehrt: Angst, dass die leidenschaftliche, empathische („Rot ist die Liebe“) rote Farbe nicht ausreicht, die kühl-nüchterne, aber sich aufblähende Schwarz-Weiß-Struktur zu überdecken?

 

 

 

 

 

Ist das zweite Bild eindeutiger? „Blau ist die Treue“. Aber die blauen Elemente sind „auf Distanz“, durch einen schwarzen Streifen getrennt. Durch einen finsteren Abgrund? Aber – ein Vorgriff auf’s nächste Bild? – es gibt Hoffnung: die beiden Blaus werden zusammengehalten von weißen Fäden; der düstere Abgrund von hellen Brücken überspannt …   

 

 

 

 

 

 

 

 

Grün ist die Hoffnung“: Das Schwarz ist in den Hintergrund verbannt, wird großenteils verdeckt vom hoffnungs-symbolisirenden Grün – fast wie ein Vorhang, der (stabilisiert durch einen weißen Mast) nur darauf wartet, vollends zugezogen zu werden, das Dunkel zu verdecken …

 

 

 

Wie jede Interpretation (erst recht, wenn sie sich auf den – umstrittenen – Symbolwert von Farben bezieht) mag auch diese in Frage gestellt werden.

 

 

 

Aber wie auch immer: Wie wir früher schon mal geschrieben hatten: Angelika Leßmeier-Neuling erweist sich (wieder einmal) als souveräne Herrscherin über die Farbpalette. Wenn es ihr darum ging, die Strahl-„Kraft der Farben im Kontrast zu Schwarz-Weiß“ herauszustellen, so ist dies überzeugend gelungen.

 

> 10 Meter    oder:    Abstand = Tierschutz

 

Schwelgt Leßmeier-Neuling in großformatiger Farbigkeit, so konzentriert sich Heike Flörkemeier auf schwarz-weiße skizzenartige Miniaturen. Diesmal auf Zeichnungen von Vögeln, welche ein bisschen an Picassos skurrile Tierzeichnungen erinnern mögen.

Ungeachtet des kühnen Vergleichs mag hier der appellative Charakter des Werks seinen künstlerischen Wert in den Schatten stellen: Mit „Der richtige Abstand“ illustriert Flörkemeier eine Empfehlung des NABU (Naturschutzbund): vor allem während der Brutzeit einen Abstand von mindestens 10 Meter zu Vögeln einzuhalten.  

 

30 Jahre   oder:   Damals wie heute: authentisch

25 – 30 Jahre Abstand liegen zwischen den Fotos, die Karin Hattenkerl auf Rügen gemacht hat:

 

Kurz nach der Wende „fotografiert (sie auf Rügen) mit dem Abstand und Blick der Außenstehenden alltägliches Leben auf Schwarz-Weiß-Film. … 2016/18 und 2023 hält sie ihre ganz persönlichen Eindrücke von den Veränderungen … in farbigen Digitalfotos fest".

 

Leider sind in der Ausstellung nur wenige Beispiele zu sehen: Das nüchterne Schwarz-Weiß-Foto eines Fischers vermittelt den Eindruck von Authentizität; ein Bild von der Binzer Seebrücke dokumentiert die Entwicklung Rügens zum Tourismus-Hotspot.

 

Nehmen Sie sich Zeit für das ausliegende Foto-Buch, das weitere Bilder „nicht in chronologischer Abfolge, sondern dramaturgisch gegenübergestellt“ präsentiert.

 

Abstand zu was?    oder:    Da gibt’s noch mehr 

Manchmal wünscht man sich mehr Information zum jeweiligen Begriff „Abstand“ … und überhaupt …! So bei Christel Linkerhägner deren „organisch anmutende Objekte aus Holz“ schon mal durch ihre handwerkliche Perfektion beeindrucken (was lobend hervorzuheben ist in einer Zeit, da so mancher „Künstler“ meint, mit seiner „Kreativität“ sei er über handwerkliches Können erhaben). Allerdings ist die Erläuterung im Ausstellungsflyer gar zu knapp, zu kryptisch geraten: „… Objekte, die in zeitlichem Abstand zu ihren heutigen Arbeiten stehen“. Wem das nicht reicht, der muss sich auf www.linkerhaegner.de umsehen, um das breite Spektrum ihrer gestalterischen Arbeit kennenzulernen. Unter www.linkerhaegner.de/film/Abstand.mp4 findet man auch einen (darf man sagen: heiteren?) Film, welcher ihre Holzobjekte animiert in einer Waldkulisse zeigt.

 

Schauen Sie doch mal rein. Ist ganz spaßig!

 

50 Meter   oder:   Ist das Kunst?

Die Fragen nach der Bedeutung von „Abstand“ und nach „Kunst oder Banalität?“ überlagern sich bei Monika Möllers „raumgreifender Installation“ im Burggraben. Ist die (wahllose?) Aneinanderreihung von „Holz, Asche, Fundstück, Moos, Buchensprösslingen“ bereits Kunst? Und schon sind wir bei der ebenso alten wie unbeantworteten (und bei „Künstlern“ verpönten) Frage Was ist Kunst?

 

Laut dem Kunstwissenschaftler und Ausstellungspraktiker Robert Fleck schafft Kunst „Erlebnisse jenseits dessen, was man sieht“. Die Wirkung eines Kunstwerkes erklärt er so: „Man versteht es nicht recht, wird aber innerlich berührt“  (Robert Fleck: Was kann Kunst?. – Edition Konturen. Wien Hamburg 2014. S. 7 ff.)  – Tut mir leid, aber das ist mir zu großzügig, oder besser: zu nichtssagend. Kunst erklärt sich also aus individuellem Empfinden. Natürlich ist das nur eine weitere Formulierung der uralten These, Schönheit (oder eben: Kunst) liege im Auge des Betrachters. Aber macht man es sich damit nicht zu einfach? Überlässt der Beliebigkeit die uneingeschränkte Herrschaft?

 

 

Immerhin: Fleck versucht zu erklären, was die „innerliche Berührung“ auslöst: „Es ist ein zusätzliches Moment vorhanden“, ein „Plus“, das „über das, was man sieht, hinaus fasziniert“. Natürlich ist damit nicht viel gewonnen. Die Frage bleibt: was ist dieses Plus?

 

Ist das Plus hier der Abstand von geschätzt 50 Meter zwischen Werk und Betrachter? Oder – etwas gehaltvoller – die „Einsicht durch Abstand“, den erzwungenen Abstand, da dem Publikum das Betreten des Burggrabens verboten ist? „Der Abstand ermöglicht eine veränderte Perspektive und verlangt von den BesucherInnen, sich der Installation auf anderen Ebenen anzunähern“. – Überlassen wir’s dem Betrachter, hier (oder gerne auch ganz woanders) das entscheidende „Plus“ zu finden. Oder eben nicht zu finden.

 

pickArt

pickArt – das ist eine Gruppe von einem guten Dutzend bildender Künstlerinnen aus Detmold und  Umland, die sich 1991 zusammengefunden haben und seither durch eine Reihe eindrucksvoller Projekte aufgefallen sind: durchaus mal politisch („Künstler gegen Ausländerfeindlichkeit“, 1993;  „Hände für den Frieden“, 2002). 

 

Mal geben sich die lippischen Künstlerinnen feministisch, mal zeigen sich auch der Region verbunden – nicht nur in Form der Homonymie zwischen dem Gruppennamen und dem lippischen Nationalgericht: z. B. widmeten sie sich in ihrer Ausstellung „weit weg – verflixt nah“ (2013 im Ziegeleimuseum Lage) der – für die lippische Sozialgeschichte so bedeutsamen – Wanderarbeit.