Nationaltheater Weimar

Faust – ein Fragment

Hasko Webers Text-Rest

(Alle Inszenierungsfotos: Matthias Horn, DNT)

„Doctor Faustus ist

eines Bauwern Sohn gewest,

zu Rod, bey Weimar bürtig...“

(Johann Spies: „Historia von D. Johann Fausten“,

Frankfurt/M, 1587)

 

 

g.Wasa     -     Faust und Weimar – die gehören nun mal zusammen. Gleich das erste literarische Werk über das Lebens des „weitbeschreyten Zauberers und Schwartzkünstlers“, das Volksbuch von 1587, nennt  „Rod bey Weimar“ als Geburtsort. Und natürlich: Goethes Monumentalwerk, das aus dem frühneuzeitlichen Teufelsbündler den Prototypen des modernen, „immer strebenden“ Menschen macht, ist in großen Teilen hier, in der Residenz des aufgeklärten und kunstsinnigen Herzogs Carl August, entstanden. So ist es nur konsequent, dass so gut wie immer Goethes „Faust“ auf dem Spielplan des „Deutschen Nationaltheaters Weimar“ steht (des Theaters also, dessen Vorläufer einst von Goethe geleitet wurde).

Webers "Faust I" - ein Fragment

Der derzeitige Weimarer „Faust I“ ist inzwischen zwei-ein-halb Jahre alt und war der „Einstand“ des General-Intendanten Hasko Weber (Premiere: 06.09.2013). Man weiß ja nie, wie weit sich eine Inszenierung im Lauf der Monate „abschleift“, aber die Aufführung, die ich kürzlich gesehen habe, hat mich entsetzt angesichts des respektlosen Umgangs mit  Goethes Text. Natürlich muss auch ich – schweren Herzens! – zugestehen, dass für eine zuschauerverträgliche Aufführung ein erklecklicher Teil dieser 4.600 Verse (plus zwei Prosaseiten) gestrichen werden muss, aber ich kann mich an keine Inszenierung erinnern, in welcher der Text derart brutal auseinandergehackt wurde wie hier. Ist das einfach nur ungeschickt? Oder unsensibel? Oder gar böse Absicht? Letzteres - dass Weber ganz bewusst die Erwartungen eines bildungsbürgerlichen Publikums enttäuschen will - zeigt er explizit an einem der bekanntesten Zitate, welches er von Mephisto zunächst ganz klassisch deklamieren, dann aber abbrechen lässt:

 

„(Ich bin) ein Teil von jener Kraft

Die stets das Böse will und schnnnrrrrdddllllmmmffft“

 

So ähnlich klang das früher, wenn einem Plattenspieler plötzlich der Strom abgestellt wurde. Und so ähnlich geht das weiter: andauernd wird mitten in einem Gedankengang einfach abgebrochen und an einer passenden oder – häufig! – unpassenden Stelle halt weitergemacht. Man könnte meinen, Regisseur und Dramaturgin haben sich einen Sport daraus gemacht, möglichst viele Sinnzusammenhänge zu kappen. Wer Goethes Text im Hinterkopf mit ins Theater gebracht hat, wird’s trotzdem verstehen, aber für alle anderen wird der Inhalt unverständlich. War das womöglich die Intention von Intendant Webers erstem Weimar-Auftritt: klar zu machen, dass „sein Faust“ für ein klassisch gebildetes Bildungsbürgertum gedacht ist? Nach dem Motto: Sind die Blöden doch selber schuld, wenn sie nix kapieren!

 

Wohlgemerkt: es geht um die Zerstörung inhaltlicher Zusammenhänge und nicht um die schiere Menge der Kürzungen. Da hätt’s stellenweise sogar ein bisschen mehr sein können, bringt Weber doch auch jene beiden Teile des Gesamt-Faust-I auf die Bühne, die selbst mir (neben dem „Walpurgisnachtstraum“) als einzige wirklich entbehrlich erscheinen: die „Zueignung“ und das „Vorspiel“.

 

Einen Jux will er sich machen … Oder?

Und mit diesen beiden setzt Weber sein Publikum auch gleich einem Wechselbad der Inszenierungsstile aus: erst tritt ein braves Gretchen im braven Bürgerkleidchen auf die leere Bühne und deklamiert brav die „Zueignung“. Darauf folgt eine rotzfrech verfremdete Version des – ohnehin schon satirisch-aufmüpfigen – „Vorspiels auf dem Theater“ (inklusive Parodie des Gifttodes aus Schillers „Kabale“). Ein herrlicher Jux! Noch bin ich begeistert.

 

Ein göttlicher Faust ?

Aber dann folgt übergangslos (die Erzengel haben heute frei) die Diskussion zwischen dem Herrn und Mephisto, die mittendrin abgebrochen wird, indem Gott (Lutz Salzmann), der soeben noch seinen „Knecht“ Faust gepriesen hat, mir-nichts-dir-nichts herab fährt zur Erde, um als ein drogenabhängiger Schwächling depressiv auf einer leeren Bühne herumzuliegen und Fausts nicht-enden-wollenden Monolog auszukotzen, allenfalls unterbrochen von ein paar fragmentarischen Wagner-Sätzen in nervigem Ami-Sprech und von den Zurechtweisungen eines Erdgeistes, hinter welchem sich kein anderer verbirgt als der dauerpräsente Mephisto.

Undiabolischer Mynheer Peeperkorn als Regisseur

Und wie präsent dieser Mephisto (Sebastian Kowski) ist. Wie bühnen-beherrschend!  So habe ich mir immer den Mynheer Peeperkorn auf dem Zauberberg vorgestellt; vielleicht noch angereichert durch ein paar Mafia-Paten-Charakterzüge. Anstatt sein Opfer mit dem Versprechen von „kleiner und großer Welt“ zu ködern, verführt dieser Teufel mit einer Verheißung von (Karel) Gott:

 

„Einmal um die ganze Welt

und die Taschen voller Geld
dass man keine Liebe und kein Glück versäumt“

 

Faust hat keine Chance gegen diesen undiabolisch-lässig-eleganten Mephisto; mehr noch: der schwingt sich schnell zum Regisseur des ganzen Spiels auf; benötigt er zunächst noch eine Trillerpfeife, um seine Mitspieler anzutreiben, so genügt ihm dafür bald schon ein lässiges Finger-Schnipsen. Und zu Beginn der zweiten Hälfte stellt er sich gleich seinen Regie-Stuhl vor die Bühne, nicht ohne über das ganze Stück zu spotten, was Goethe nur dem „Walpurgisnachtstraum“ vorwerfen ließ:

 

„Ein Dilettant hat es geschrieben,
Und Dilettanten spielen's auch.“

 

 

Unsäglich: Auerbachs Keller & Walpurgisnacht

Dass Dilettanten das verbrochen haben, könnte man tatsächlich glauben bei der Szene „Auerbachs Keller“, so unsäglich albern kommt die daher; und doch ist sie nur ein schwacher Vorgeschmack auf die Walpurgisnacht, die endgültig in ärgerlich-sinnlosem Videogeflimmere untergeht. Aber das sei Weber verziehen – denn wann kriegt schon mal ein Theater eine wirklich überzeugende Walpurgisnacht hin?

Sehenswerte Gretchen-Tragödie – sehenswerte Nora Quest

Bildquelle: Wikipedia

 

Ansonsten ist die zweite Hälfte durchaus sehenswert, die ganz im Zeichen Gretchens steht.

 

Das fängt an mit dem neuen Bühnenbild: eingerahmt von einem kitschig-nostalgisch anmutenden Portal, überschrieben mit Gretchens „weh-weh-wehe“-Klage, erkennen wir als Hintergrund ein Paar überdimensionaler nackter weiblicher Schienbeine, die allmählich nach unten sinken und mehr und mehr, aber nur langsam einen Frauenakt erahnen lassen.

 

Erst nach langer Zeit, bei weit fortgeschrittener Handlung erkennt man das Bild: Hans Baldung Griens Memento-Mori-Gemälde „Der Tod und das Mädchen“, gemalt im Lutherjahr 1517.

Und davor agiert, immer noch im braven Bürgerkleidchen, mit bravem weißem Krägelchen, dieses einfache Mädchen, Gretchen: die junge Nora Quest, welche die Textlücken, die auch ihrer Rolle angetan worden sind, einfach überspielt und somit als faszinierende Person in Erinnerung bleibt: vom ängstlich-neugierigen Herantasten an diesen fremden Eindringling in Marthes Garten über den verzweifelten, vom Gebet („Ach neige, du Schmerzensreiche“) konterkarierten Abtreibungsversuch, bis zur souveränen Abfuhr, die sie den beiden Verführern in der Kerkerszene erteilt.

Das heißt eine Welt …

Gretchen (N. Quest) und der tote Faust (L. Salzmann): inzwischen gibts in Weimar auch Webers "Faust II"- Inszenierung - sehenswert!

Wenigstens erwähnt werden sollen die (nur!) fünf übrigen Schauspielerinnen und Schauspieler (s.u.), die diese ganze „kleine“, bei Goethe so figurenreiche „Welt“ bevölkern: als komödiantische Marthe zum Beispiel (Nadja Robiné, die für die nach Stuttgart abgewanderte Birgit Unterweger eingesprungen ist – als herrliche Kontrastfigur zu Gretchen) oder gar als eine – von Goethe so natürlich nicht vorgesehene – wichtigtuerische Abonnentin (Roswitha Marks).

 

 

 

 

 

 

 

 

Deutsches Nationaltheater Weimar:

Faust. Der Tragödie erster Teil

von Johann Wolfgang Goethe

 

 

Hasko Weber                  Regie

Oliver Helf                       Bühne

Syzzy Syzzler                  Kostüme

Bahadir Hamdemir         Video

Beate Seidel                    Dramaturgie

 

Lutz Salzmann                Der Herr, Faust

Sebastian Kowski           Mephisto

Nora Quest                      Margarethe

Elke Wieditz                    Theaterdirektor, Hexe u. a.

Nadja Robiné                  Marthe, Lustige Person u. a.

Krunoslav Šebrek           Dichter, Wagner, Valentin u. a.

Roswitha Marks              Abonnentin, Hexe, Lieschen u. a.

Fridolin Sandmeyer        Schüler, Böser Geist u. a.

 

 

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