Faszinierende "Zauberflöte" an der Berliner Komischen Oper

Singspiel und Stummfilm, Moritat und Comic

"Die Zauberflöte" als Ausstattungs-Oper

Bregenzer Festspiele: Zauberflöte (2013/14) - Foto: Bregenzer Festspiele

WaSa.     -     Warum geht man in die „Zauberflöte“? Noch nie hat mir jemand als Begründung dafür die spannende Handlung, den logisch-klaren Aufbau des Librettos genannt. Natürlich lautet die Standard-Begründung: „Mozarts himmlische Musik!“ – Doch gelegentlich mag auch mal die Ausstattung ein wesentliches Motiv für den Besuch einer Aufführung sein – bei den Bregenzer Festspielen etwa, wo die in den Bodensee hinein gebaute „Seebühne“ alle Jahre wieder mit spektakulären Kulissen und – gerade im Fall der Zauberflöte – mit phantastischen Kostümen lockt.

 

Für Freunde der „Zauberflöte“ im Allgemeinen und für Fans einer außergewöhnlichen Ausstattung im Besonderen müsste Berlin zur Zeit das Mekka sein – spielen doch schon seit geraumer Zeit alle drei Opernhäuser ihre ganz spezelle Version dieser meistgespielten Oper. 

Staatsoper unter den Linden: Zauberflöte - Foto: Staatsoper

Als ich in der Staatsoper unter den Linden vor ein paar Jahren (noch im „Stammhaus“, unmittelbar vor dem umbaubedingten Umzug ins Schillertheater) Everdings „Zauberflöte“ gesehen hatte, störte mich die ganze Zeit die – wie ich fand – „altbackene“ Ausstattung. Erst hinterher habe ich dann nachgelesen, dass sich Bühnenbildner Fred Berndt und Köstümbildnerin Dorothée Uhrmacher an der Ausstattung einer berühmten „Zauberflöten“-Inszenierung aus dem Jahr 1816 orientiert hatten. Damals hatte der wohl berühmteste Baumeister des preußischen Klassizismus, Karl Friedrich Schinkel, die Bühne gestaltet; Regisseur war damals Graf Brühl, der Intendant der königlichen Theater, der auch die Kostüme entwarf (mehr dazu in einem „Hintergrundgespräch“ mit Everding, Berndt und Uhrmacher). 

 

Die Everding-Zauberflöte in den Schinkel-Kulissen der Linden-Oper läuft schon seit 1994; die Deutsche Oper hat noch die von Günther Krämer 1991 inszenierte Zauberflöte im Repertoire. Eigens für die Berliner „Waldbühne“ hat die Deutsche Oper von Gerlinde Pelkowski eine Open-Air-Version der Zauberflöte inszenieren lassen; leider hatte ich noch keine Gelegenheit, dieses – (jeweils?) einmal im August aufgeführte – hochgelobte Spektakel zu besuchen. 

Opernhaus des Jahres – Regisseur des Jahres

Dafür war ich aber kürzlich in der Zauberflöte der Komischen Oper. Die ist erst ein gutes Jahr alt (Premiere war am 25.11.2012), und gilt als Sensation – nicht unbedingt wegen der Musik (womit keineswegs etwas gegen die musikalische Qualität gesagt sein soll; dass der Sarastro in „meiner“ Aufführung ziemlich schwach war, war wohl eine Ausnahme). Nein, diese Zauberflöte erregt Aufsehen wegen ihrer ... ja, was eigentlich? – der Inszenierung? der Ausstattung? der Animation? – Oder wie soll man das sonst nennen? Dieser verblüffende Mix aus Moritat und Comic, dieser geniale Dialog zwischen Stummfilm und Singspiel, diese spektakuläre Kombination von Versatzstücken aus Liebes-Romanze, Drachen-Fantasy, Horror-Sturmnacht, Vogelfänger-Komödie und Edelmenschen-Philosophie?

Komische Oper, Berlin: Zauberflöte - Fotos: Komische Oper

Nennen wir’s: Konzeption;  so steht’s auch im Programmheft, und dahinter die Namen „»1927« (Susanne Andrade, Paul Barritt) und Bernd Kosky“. 

 

Der Australier Barrie Kosky ist seit der Spielzeit 2012/13 Intendant und Chefregisseur der Komischen Oper. Nach seiner ersten Spielzeit wurde sein Haus „Opernhaus des Jahres“ bei der Kritikerumfrage der Opernwelt.  Im April 2014 wurde Kosky bei den  "International Opera Awards" in London zum „Regisseur des Jahres“ gewählt (Gegenkandidaten waren etwa Calixto Bieito oder Martin Kušej). Er inszenierte diese Zauberflöte – und holte sich dafür die Unterstützung von »1927«

 

»1927« ist eine englische Theater(?)gruppe, die sich nach dem Jahr 1927 nennt: damals kam der erste Tonfilm heraus, oder anders herum: es begann das Ende der Stummfilmzeit. Die Gruppe um die Regisseurin und Schauspielerin Suzanne Andrade und dem Animationskünstler Paul Barritt arbeitet nach eigenen Worten „mit einer Mischung aus Live-Performance und Animation“ und „integriert den Film“ ins Bühnengeschehen: „Unsere Shows scheinen der Welt der Träume, bisweilen auch der Alpträume entsprungen, erinnern ...  aber immer wieder auch an die Welt des Stummfilms.“  (mehr )

 

Was dabei herauskommt, wenn die sich zusammen mit dem Regisseur des Jahres an Mozarts beliebtester Oper versuchen, ist ein einzigartiger Augenschmaus! 

Stummfilm-Reminiszenzen

Denken Sie sich eine große helle Wand; davor agieren die Darsteller, teilweise auf dem Bühnenboden, häufig aber in schwindelnder Höhe. Dafür öffnen sich wie von Zauberhand – ansonsten fast unsichtbare – Luken in der Wand, in denen die Sängerinnen und Sänger erscheinen. Da stehen sie dann, meist recht statuarisch (in den erhöhten Positionen ginge es auch gar nicht anders) und singen.

 

Dazu sind sie als Stars der Stummfilmzeit zurechtgemacht: Pamina und Tamino erinnern an Louise Brooks und Gregory Kelly in „The Show Off“ von 1926;  Papageno gleicht Buster Keaton und Monostatos wirkt wie ein Zwillingsbruder Nosferatus. Für die jüngere Generation gibt’s die drei Knaben als drei Harry Potters.  

Die Bühne als Projektionsleinwand

Von der Kostümierung abgesehen gibt es nichts. Keine Kulissen. Keine Requisiten. Braucht es auch nicht. Denn das Schau-Spiel, die Spiel-Show findet rings um die Personen herum statt: als Projektion auf der Wand!

 

Das sind im einfachsten Fall nostalgisch gestaltete Zwischentitel, die in Stummfilmmanier die Handlung erläutern. Das sind aber auch bunte Blumen, die sich um Pamina und Papageno ranken. Das ist ein Schwarm blutroter pochender Herzen, die von den drei Damen auf Tamino fliegen. Das ist die Zauberflöte in Gestalt einer wunderschönen (Pamina nachempfundenen) nackten Libellenfrau, die Tamino umflattert und ganze Notengirlanden freisetzt. Das ist – während Papageno und Papagena von reichem Kindersegen träumen – eine rasch anschwellende Schar kleiner Papagenas und Papagenos, die das ganze Haus bevölkern ... Oder das ist Karl-Heinz, Papagenos Kater, der schnell zum Publikumsliebling avanciert! 

Kaum einmal war Taminos Furcht / Flucht so glaubhaft-schauerlich, wie hier vor einem veritablen Comic-Drachen. Kaum einmal war seine Ohnmacht so gruselig wie hier, wo er sich, vom Drachen verschlungen, im geräumigen Innern des Untiers wiederfindet wie einst Jonas im Wal – inmitten von Knochenbergen, die von seinen weniger glücklichen Vorgängern als einziges übrig geblieben sind ... 

Und wie faszinierend ist das, wie punktgenau die Handlungen, die Bewegungen der Darsteller auf ihre projizierte Umgebung abgestimmt wird.

 

So, wenn Nosferatu-Monostatos seinen aus mehreren Mäulern geifernden Höllenhund auf die arme Pamina hetzt.

 

Oder – immer wieder ein Höhepunkt -: wenn die als Spinne gestaltete Königin der Nacht auf ihren acht Beinen tanzt ...

Ich wusst‘ es wohl: der Versuch, all das mit dürren Worten zu schildern, kann nur scheitern. Selbst die Fotos geben höchstens einen vagen Eindruck davon, was da abläuft! Schauen Sie sich den Trailer an.  Ach was – gönnen Sie sich die Reise nach Berlin, besorgen Sie sich Karten; die diesjährigen Vorstellungen sind zwar so gut wie ausverkauft. Aber wenn Sie sich beeilen, gibt’s noch welche für 2015.

Komische Oper, Berlin:

Die Zauberflöte

Große Oper in zwei Aufzügen von Wolfgang Amadeus Mozart (KV 620)

Libretto von Emanuel Schikaneder

 

Musikalische Leitung:    Henrik NánásiKristiina PoskaHendrik Vestmann

Inszenierung:   Suzanne AndradeBarrie Kosky

Animationen:   Paul Barritt

Konzeption:   »1927« (Suzanne Andrade und Paul Barritt) und Barrie Kosky

Bühnenbild, Kostüme:   Esther Bialas

Dramaturgie:   Ulrich Lenz

Chöre:   David Cavelius

Licht:   Diego Leetz

 

Nächste Vorstellungen:

 

November 2014:    Fr   21.

 

Dezember 2014:   Mi   10.;   Fr   19.;   Fr   26.

 

Januar 2015:    Fr   16.;   Do  22.

 

Februar 2015:   Fr  20.;   Sa  28.

 

März 2015:    Fr  27.

 

April 2015:    Fr  3.;   Sa  25.

 

Mai 2015:   Sa 23.