Erfolg! - Erfolg?

Theater Bielefeld versucht sich an Feuchtwangers bayrischem Sittengemälde

(Foto: Theater Bielefeld)

(Mehr Fotos: www.kulturinfo-lippe.de)

 

 

WaSa   -   Bielefeld.   Das Schlimme (oder womöglich: das Schöne?) an Vorurteilen ist, dass sie sich immer wieder bestätigen. So auch folgendes: Es ist Blödsinn, unbedingt einen Roman dramatisieren zu wollen; denn schließlich gibt es Dutzende sehr guter und Hunderte guter bis mittelmäßiger Stücke, die eigens für die Bühne und ihre speziellen Anforderungen geschrieben wurden; wogegen ein Roman in seiner „epischen Breite“ nun einmal jedes Bühnenformat sprengt.

 

Es gehört in Bielefeld schon zur Tradition, regelmäßig ein Meisterwerk der Welt-Romanliteratur in Stücke zu hacken, um ein paar Fragmente auf die Bühne zu bringen – wobei nicht geleugnet sein soll, dass dabei schon beeindruckende Abende herausgekommen sind (so man es denn schafft, keinen Vergleich mit dem originalen Vorbild zu ziehen, oder idealerweise dieses erst gar nicht gelesen hat).

 

Jetzt hat Intendant Heicks die eben beginnende Spielzeit unter das Motto „Erfolg“ gestellt. Da muss es ihm wie ein Gottesgeschenk erschienen sein, dass unter genau diesem Titel ein namhafter Autor einen Roman veröffentlicht hat, der zwar in Vergessenheit geraten ist, aber alles aufweist, was einen guten, ja: sehr guten Roman ausmacht: einen spannenden Plot vor einem interessanten regionalen und zeitgeschichtlichen Hintergrund und vor allem eine herrliches Personaltableau, ja geradezu ein Panoptikum von armen und reichen, liebenswerten und verächtlichen, langweiligen und hippen, kultivierten und primitiven, skurrilen und typischen Gestalten – von denen viele auch noch den Vorzug haben, über historische Vorbilder zu verfügen, unter denen man selbst heute noch den einen oder andern wiedererkennt (Karl Valentin und Ludwig Thoma, etwa, Hitler und Ludendorf sowieso; Spezialisten für die politische und Kulturgeschichte jener Epoche identifizieren auch die führenden Politiker aus der Zeit des frühen Aufstiegs der NSDAP, außerdem Brecht, Ganghofer und wohl auch den einen oder anderen Maler aus der Münchner Bohème).

 

In aller Kürze der Romaninhalt: München, Anfang der 20er Jahre; die Zeit der Räterepublik ist überstanden, in Bayern herrscht wieder die Reaktion. Da stört der modern gesinnte, noch aus der Räterepublik übriggebliebene Direktor der Staatsgalerie, Martin Krüger. In einem konstruierten Meineidsprozess wird er zu drei Jahren Zuchthaus verurteilt und somit „entsorgt“. Johanna Krain, seiner Freundin ist klar, dass innerhalb der politisch gesteuerten Justiz keine Gerechtigkeit zu erwarten ist. Deshalb sucht sie Eingang in die „Münchner Gesellschaft“, um über Beziehungen etwas für den Freund zu erreichen. Und damit entfaltet sich ein großartiges zeitgeschichtliches Panorama mit zahlreichen Facetten, vor dem Hintergrund des Aufsteigs der „Wahrhaft Deutschen“ (=NSDAP). Doch alle Bemühungen bleiben erfolglos – am Ende stirbt Krüger in der Haft. Als einziger „Erfolg“ bleibt der Freundin, diesen Fall von himmelschreiender staatlich-bayerischer Ungerechtigkeit republikweit anzuprangern.

 

Diese Geschichte erzählt Lion Feuchtwanger auf 860 Seiten in fünf „Büchern“ und über 100 Kapiteln, in welchen wohl ebenso viele prägnante Personen agieren. Irgendwann muss den Bielefeldern klar geworden sein, dass das alles nun wirklich nicht Platz auf den Theaterbrettern hat. Und so hat man sich auf das erste Buch mit dem Titel „Justiz“ beschränkt: der Darstellung des Prozesses, die 70 der 90 Theaterminuten in Anspruch nimmt. Damit wird dann auch die Überschrift „Erfolg“ obsolet, die Feuchtwanger seinem Roman insgesamt und darin speziell dem letzten Teil gegeben hat! Für den gezeigten Ausschnitt wäre „Gerechtigkeit“ der angemessenere Titel (wobei es in Wahrheit natürlich um Ungerechtigkeit geht – so, wie der „Erfolg“ auch eher ein Mißerfolg ist). Als eine Art Anhang folgen dann noch Berichte über den Tod Krügers im Zuchthaus und über den Tod des meineidigen Hauptbelastungszeugen bei einer Wirtshausschlägerei – soviel Genugtuung muss einfach sein (auch wenn dem Theaterbesucher das Fegefeuer vorenthalten wird, in dem Feuchtwanger seinen falschen Zeugen schmoren lässt).

 

Und die – gefühlt – 100 Personen des Romans? Sind größtenteils gestrichen; und der kleinere Rest wird von gerade mal vier Darstellern übernommen: Julia Friede gibt eine angemessen naiv-engagierte Johanna Krain; Thomas Wolff verkörpert die Justiz; Thomas Wehling spielt – neben einigen anderen - den Schriftsteller Tüverlin (in dem sich Feuchtwanger selbst porträtiert, der aber auch Züge von Thomas Mann trägt). Die bayrische Politik wird allein durch den Minister Flaucher vertreten, den Guido Wächter mit einem herrlichen bayrischen Zungenschlag (ohne dabei in Dialekt zu verfallen) spielt und den er auch mal in Goebbels-Manier geifern lässt. Die eigentliche Hauptperson, das Justizopfer Krüger, tritt überhaupt nicht auf.

 

Ebensowenig spielt – zum Beispiel - der Nationalsozialismus eine Rolle, dessen allmähliches Einsickern in die brave bayrische Gesellschaft Feuchtwanger so beklemmend schildert. Somit wirken auch die plötzlichen „Heil!“-Rufe am Ende des Stücks ziemlich aufgesetzt – es sei denn, man habe das Sujet des überdimensionalen Kaufhaus-Gemäldes, welches das Bühnenbild beherrscht, als Königsee und Watzmann erkannt, und diese Lokalität (gegenüber Hitlers Obersalzberg) als Menetekel genommen.

 

Auch die gelegentlichen Jodelversuche sind nur ein schwacher Ersatz für Feuchtwangers bayrisches Panoptikum. Es wurde der Inszenierung vorgeworfen, dass sie stellenweise wenig dramatisch agiert, sondern (eben!) in episches Berichten verfällt. Feuchtwanger-Fans mögen solche Stellen dagegen als Höhepunkte goutieren. Wenn etwa Thomas Wolff den Wirtshausstreit im (beinahe) O-Ton vorträgt: da gewinnt man einen kleinen Eindruck von dem sprachlichen und atmosphärischen Reichtum der Vorlage.

 

Mein persönliches Schlusswort: Allerherzlichsten Dank an Michael Heicks dafür, dass er „Erfolg“ auf den Spielplan gesetzt hat. Denn ohne das wäre ich wohl nie auf die Idee gekommen, diesen herrlichen Roman zu lesen!

 

(Eine ausführliche Darstellung des Romans folgt in Kürze).

 

 

 

Theater Bielefeld (Theater am Alten Markt):

„Erfolg“ von Lion Feuchtwanger – für die Bühne bearbeitet von Marcus Grube und Christian Schlüter

 

Inszenierung:            Christan Schlüter

Ausstattung:            Jürgen Höth

Dramaturgie:            Marcus Grube

 

Weitere Vorstellungen:

08.01.2013

09.01.2013

10.01.2013

21.01.2013

22.01.2013

23.01.2013