Schlechter Roman als gutes Theater??

Theater Bielefeld holt aus Austers „Winterjournal“ das Bestmögliche heraus

(alle Fotos: Theater Bielefeld)

WaSa     -     Schon als Jugendlicher war ich enttäuscht darüber, wie wenig von Karl Mays tollem „Schatz im Silbersee“ in der Verfilmung übrig blieb. Seither habe ich immer wieder meine Vorbehalte gegen die Dramatisierung guter Romane dargelegt. Auf dem Weg vom Buch auf die Bühne geht einfach zu viel verloren, noch viel mehr als bei Verfilmungen – an Inhalt, an Atmosphäre, an Charakteren. Immerhin ein Gutes haben solche Inszenierungen von guten Romanen: man sieht sich veranlasst, das zugrundeliegende Buch (mal wieder) zur Hand zu nehmen. Nur weil „Jenseits von Eden“ auf dem Spielplan des Bielefelder Theaters stand, habe ich Steinbecks großen Roman nach 30 Jahren (gerne!) wieder gelesen; und Feuchtwangers wundervolles Gesellschaftspanorama aus dem München der 20er Jahre würde ich ohne die Bielefelder „Erfolg“-Inszenierung bis heute nicht kennen!

 

Soweit zum Thema „gute Romane auf der Theaterbühne“. – Wie stehts nun aber mit schlechten Romanen? Einem grottenschlechten Roman gar, wie Paul Austers „Winterjournal“ (wenn man das als Roman bezeichnen kann!)? Es war mir eine Zumutung, zur Vorbereitung auf die Bielefelder Premiere diese 250 Seiten voller Banalitäten lesen zu müssen! (... mehr dazu  ... )

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Und was ist auf der Bühne des Bielefelder TAM daraus geworden? Immerhin ein einigermaßen unterhaltsamer Theaterabend!

 

Eigentlich ist das gar nicht so erstaunlich: Wenn von einem guten Roman 60 – 75 % gestrichen werden, so ist das ein Verlust. Dagegen im umgekehrten Fall: wenn ein schlechter Text auf 1/4 - 1/3 zusammengekürzt wird, dann müsste das Ergebnis ja drei- bis viermal besser sein als das Original!

 

Natürlich darf man so nicht rechnen!

 

Doch jedenfalls ist es Christian Schlüter und Viktoria Göke gelungen, eine Menge langweiliger Seiten zu streichen. Allerdings gelangen immer noch mehr als genug Nichtigkeiten auf die Bühne. Dessen sind sich die Bielefelder Theatermacher durchaus bewusst - sie versuchen sogar, dies zu verteidigen, indem sie behaupten, „Theater (müsse) nicht aufregender sein als das Leben“ (wozu gehe ich dann ins Theater?) und die „Banalitäten machen die Geschichte universell“ (dann kann man gleich den Duden vorlesen – was gäbe es Universelleres?); schließlich wird sogar Tabori mit den Worten zitiert, man müsse „aus seinem privaten Mist eine allgemeine Angelegenheit machen“ – aber damit wollen Schlüter/Göke doch hoffentlich nicht „Winterjournal“ auf eine Stufe stellen mit „Mein Kampf“ oder „Goldberg-Variationen“?! Doch schließlich kann Auster nichts dafür, dass er nicht Taboris Biografie hat, der selbst in einem seiner „privatesten“ Stücke – „Mutters Courage“  - mehr Weltgeschichte in einen Nachmittag hineinlegen kann, als Auster in einen sich über 64 Jahre hinziehenden vielfachen Wohnungswechsel.     

 

Schon der Beginn der Bielefelder „Winterjournal“-Inszenierung weckt Befürchtungen. Wird da doch Austers Eingangsabsatz zitiert, in dem der den Leser warnt, der möge hier nichts Außergewöhnliches erwarten; vielmehr sei „all das genau so, wie es jedem anderen passiert.“ Und diese fünf langen Buchzeilen werden fünfmal wiederholt – jeweils einmal von jedem/jeder der fünf Darsteller-innen, die den Erzähler Auster auf der Bühne vertreten. 

 

Danach wirds zum Glück dann doch etwas flotter. Das bisschen Sprachwitz, das in dem Buch steckt, wird von Schlüter/Göke zielsicher herausgeholt, so dass das Publikum zwischendurch auch mal was zu lachen hat. Und die Aufspaltung des einen Erzählers in fünf Personen (zwei weiblich, drei männlich) ermöglicht es, unterschiedliche Facetten einer Person nebeneinander (gegeneinander?) zu stellen. Dass das kurzweilig, ja stellenweise durchaus interessant ist, ist gleichermaßen der Textauswahl durch das Regieteam und der Spielfreude und dem professionellen Können der fünf Akteure zu verdanken!  Dass zusätzlich Stimmung durch Videoeinspielungen auf der Rückwand der Bühne geschaffen wird, wäre da schon fast gar nicht mehr nötig. 

 

Und dann ist da noch ein vielsagendes Bild, ein gelungener Regieeinfall, der sich durch den ganzen Abend zieht: Gleich zu Beginn tragen die Darsteller einen Tisch herein, den sie in die Mitte der (sonst fast leeren) Bühne stellen. Darauf: eine Schreibmaschine (es ist nicht zu erkennen, ob es sich dabei um ein Modell jener „Olympia“ handelt, die Auster als sein über ein halbes Jahrhundert funktionstüchtiges Handwerkszeug preist). Diese Schreibmaschine ist in einen großen Eisblock eingefroren, der während der Vorstellung langsam vor sich hin schmilzt – und schließlich von den fünf Auster-Vertretern mit brachialer Gewalt in Stücke geschlagen wird, so dass das Schreibgerät wieder verfügbar wird – eine schöne Allegorie auf Austers langwährende Schreibblockade, die (wie er gegen Ende seines Buches beschreibt) durch ein aufwühlendes Erlebnis aufgebrochen wird. 

Theater Bielefeld – Theater am Alten Markt (TAM):

 

WINTERJOURNAL

 

nach dem Roman von Paul Auster,

bearbeitet von Viktoria Göke und Christian Schlüter

 

BESETZUNG

 

Inszenierung:   Christian Schlüter

Bühne:   Jochen Schmitt

Kostüme:   Franziska Gebhardt

Video:   Konrad Kästner

Dramaturgie:   Viktoria Göke

Mit:

Lukas Graser

Stefan Imholz

Nicole Lippold

Doreen Nixdorf

Thomas Wolff