Es singt und menschelt in Reykjavik

Umjubelte Premiere von Carmen Priegos Flughafen-Revue

Foto: Theater Bielefeld

 

"Zwischenlandung" - ein Stück von Carmen Priego

 

(Bielefeld. Wasa) Alles hat seine zwei Seiten – Gut und Böse, Yin und Yang usw. – wer würde das bestreiten? Aber dieses Prinzip ausgerechnet an „Über den Wolken muss die Freiheit wohl grenzenlos sein“ zu demonstrieren – darauf muss man erst mal kommen!

 

Genau das tut Carmen Priego, wenn sie dieses Lied von zwei bunten Typen singen lässt, die unterschiedlicher nicht sein können: Da ist einmal Prajit Kumar Gupta (Guido Wachter), ein vergnügter Globetrotter von sonnigem Gemüt und buddhistischer Gelassenheit, der Verspätungen liebt, weil er dann sein beschauliches Leben in Wartesälen, den „Kathedralen der Menschheit“ genießen kann. Da ist aber auch Johannes Lüling (Jan Kämmerer), getriebenes Produkt und dynamischer Akteur der Globalisierung im Manager-Anzug und mit Macher-Glatze, allerdings mit so manchen Macken ausgestattet – nicht zuletzt mit panischer Flugangst!

 

Diese beiden singen also Reinhard Meys Flughafen-Lied, und man kann nur staunen, wie scharfsichtig Carmen Priego dieses Text seziert und wie genau sie die Einzelteile wunderbar passend auf die beiden Akteure verteilt hat – ein Höhepunkt ihres ... ihrer ... ... ja, was denn eigentlich?

 

„Liederabend“ heißt es im Pressetext; aber ein Liederabend verhält sich zu dieser Veranstaltung ungefähr so wie eine Postkutschenstation zu einem Flughafen. Aber apropos Flughafen - berichten wir doch erst einmal, um was es geht:

 

Ein Passagierflugzeug muss wegen technischer Probleme zwischenlanden; der Ausfall des Gepäckbandes, ein Unfall, das Nachtflugverbot .... verhindern wieder und wieder den Weiterflug – und das ausgerechnet in Reykjavik, das sich die Autorin wohl nicht nur wegen des Schluss-Gags ausgesucht hat, sondern weil hier („1 Terminal, 3 Start- und Landebahnen“) den Gestrandeten weit weniger an Zerstreuung geboten wird als meinetwegen in Dubai oder Singapur. Ihnen bleibt also nichts anderes übrig, als sich mit sich selbst und mit ihren Leidensgenossen zu beschäftigen. Dass im Ergebnis aus fünf Reisenden und drei Flughafenangestellten dann vier Paare werden ist nicht allzu spektakulär und vermutlich absehbar.

 

Viel interessanter ist jedoch der Weg dahin: Und der führt eben nicht nur über einen einfachen „Liederabend“ sondern besteht aus einer Show, einer Revue, die einem roten Faden folgt, einen einigermaßen nachvollziehbaren Plot bietet, worin sich die unterschiedlichsten Songs organisch einfügen. Vor allem erhalten die Darsteller Gelegenheit, als Typen, ja sogar als Charaktere zu glänzen. Das fängt schon an, wenn die Zuschauer allmählich in den Saal kommen: da treffen sie bereits auf ein paar gelangweilte/genervte Paxe, die in der öden Halle rumhängen; vor allem aber schiebt Oliver Baierl als verträumter Putzmann seinen Besen mit einem dermaßen elegant-erotischen Hüftschwung über den Boden, dass sich allein deshalb schon ein Besuch lohnt. Später wird sein Putzwagen gekonnt zum Schlagzeug umfunktioniert (und natürlich singt er auch selbst: „Ich bin ein Gänseblümchen im Sonnenschein“).

 

Dann ist da beispielsweise Katrin Nowak als sexy Zahnärztin, die nicht lange fackelt und einen Mitreisenden im Gepäckraum vernascht („Sexgeräusche“). Oder Nicole Paul als liebenswertes Schusselchen, das aus seiner Selbstdiagnose „dass ich so durchschnittlich bin“ die Konsequenz zieht: „Ich glaub, ich zieh nach Hannover“ – und dafür vom Bielefelder Publikum begeisterten Szenenapplaus bekommt (wohl aus Dankbarkeit dafür, dass sie nicht „Bielefeld“ gesagt hat ...). –

 

Beeindruckend ist auch Julia Friede als Boden-Stewardess. Man ist zwar zunächst etwas verwirrt, wenn sie mit ihrem Chef telefoniert und diesen als Antreiber mit wüsten Schimpfworten belegt, wenn dann aber plötzlich eben dieser Gesprächspartner zu ihrem Geliebten mutiert, der allerdings verheiratet ist und seine Freundin mit billigen Versprechungen hinhält. Das Los dieser unglücklichen Geliebten wird so eindringlich dargestellt, dass sie Beifallsstürme erntet, wenn sie den Typen schließlich mit dem zornigen Lied „Bitte Bitte“ zur Hölle wünscht („spring doch vom Balkon, egal ob Braunschweig oder in Bonn ... Bitte, bitte nimm dir einen Strick, In München oder in Osnabrück“) – da hat sie offenbar einen Nerv getroffen!

 

Einen Nerv trifft auch G. Wachter, wenn er als Weltenbummler die isländische Nationalhymne singt – derart von Herzen kommend und zu Herzen gehend, dass sich Rührung nicht nur auf der Bühne ausbreitet!

 

Und das war’s noch lange nicht! Unter der souveränen musikalischen Leitung von Bettina Koch am Piano kommentieren gut zwei Dutzend eingängige Lieder unterschiedlichster Art das Geschehen (einige Höhepunkte erst als Zugaben!). Dabei bleibt’s nicht immer bei den Originaltexten (zumindest Sinatras Fassung von „Strangers in the night“ reimt sich nach meiner Erinnerung nicht auf „waiting for their flight“) – sollte Carmen Priego nicht nur wunderbare Schauspielerin und eifrige Stückeschreiberin sein, sondern womöglich auch begabte Song-Texterin?

 

Und außerdem gibt’s: vertraute Klischees (der Sturz vom Apfelbaum) und grandiosen Schmalz (O. Baierls Liebeserklärung). Zitate („Jetzt hat er’s“) und witzige Wortspiele: wenn der Fakir „seinen Beruf an den Nagel hängt“ oder wenn L. Graser mit den Katzen miaut und mit den Libellen libellt (oder womöglich liebelt?); ein als „Air-Magazin“ geschickt gemachtes Programmheft ... Und vor allem: immer wieder überraschende Wendungen, so, wenn sich der Putzmann plötzlich als Arzt entpuppt oder wenn sich im Verlauf des Stücks herausstellt, welche Art „Paartherapeut“ der Psychologe wirklich ist.

 

Das soll aber hier nicht auch noch verraten werden; ebensowenig der bereits erwähnte „Schluss-Gag“ – dafür müssen Sie schon selbst in die Vorstellung gehen! (Es lohnt sich!)

 

 

Inszenierung  Franz Burkhard
Bühne  Jürgen Höth
Kostüme  Brit Daldrop
Musikalische Leitung  Bettina Koch
Dramaturgie Marcus M. Grube

Frederica Vallinsdottir, Flughafenangestellte Julia Friede
Abu Raed Oliver Baierl
Jürgen Schlunz, Psychologe Lukas Graser
Ute Antonie Wiedemann, Zahnärztin Katrin Nowak
Johannes Lüling, Büromann Jan Kämmerer
Johanna Knirr, Vulkanologin Nicole Paul
Prajit Kumar Gupta, blinder Passagier Guido Wachter


Weitere Vorstellungen:

22.11.2012, 20:00 Uhr   Eintritt: 20 - 23 € 
29.11.2012, 20:00 Uhr   Eintritt: 20 - 23 € 
01.12.2012, 19:30 Uhr   Eintritt: 20 - 23 € 
08.12.2012, 19:30 Uhr   Eintritt: 20 - 23 € 
31.12.2012, 17:00 Uhr   Eintritt: 40 - 45 € 
31.12.2012, 21:00 Uhr   Eintritt: 50 - 55 € 

 

13.01.2013, 19:30 Uhr
30.01.2013, 20:00 Uhr
28.02.2013, 20:00 Uhr
28.03.2013, 20:00 Uhr