Tragödie mit Fragezeichen ...

Schillers "Kabale und Liebe" am Theater Bielefeld

Fotos: Philipp Ottendörfer - Theater Bielefeld

WaSa – Bielefeld.   Im Haus des Musicus Miller wird gesungen – und zwar der wohl zuversichtlichste Choral der (protestantischen) bürgerlichen Christenheit:   


„Und wenn die Welt voll Teufel wär
und wollt uns gar verschlingen,
so fürchten wir uns nicht so sehr,
es soll uns doch gelingen.
Der Fürst dieser Welt,
wie sau’r er sich stellt,
tut er uns doch nicht;
das macht, er ist gericht’:
ein Wörtlein kann ihn fällen.“


Welch ein Irrtum! Zwar muss „der Fürst dieser Welt“ - der hier Präsident genannt wird - tatsächlich fürchten, dass „ein Wörtlein“, nämlich die Veröffentlichung seiner Machenschaften, ihn fällen wird, doch verfügt er über genügend Hilfsteufel, um seine Intrigen („Kabalen“ hieß das zu Schillers Zeiten) zum Erfolg zu führen. Und so nimmt also die Tragödie ihren Lauf: Aus der Liebe zwischen dem jungen Baron und der bürgerlichen Musikantentochter kann nichts werden; zu festgefügt sind die Standesunterschiede, zu mächtig der Dünkel des herrschenden Adels.

Allerdings lässt Christian Schlüters Inszenierung dieser Tragödie so manche Frage offen. Ein Grund dafür sind zweifellos die kräftigen Striche, die Schillers frühes Meisterwerk auf zwei pausenfreie Stunden zusammenschnurren lassen. Unvermeidlich, dass dabei jede Menge Inhalt verloren geht! So vor allem der ganze Schluss. Luise muss noch dramatisch-qualvoll sterben; dabei kommt sie vor lauter Schmerzens- (und/oder Verzweiflungs-)Schreien nicht einmal mehr dazu, dem Freund die ganze fiese Intrige aufzudecken. Um so unverständlicher dessen fortgesetztes Gejammer: „Warum fühl ich nichts?“, das sich in Bielefeld so anhört, als bereite ihm paradoxerweise gerade diese Fühllosigkeit angesichts des Todes der Geliebten schmerzlichste Herzenspein  - wogegen er sich bei Schiller einfach nur wundert, dass das Gift bei ihm noch nicht wirkt. Aber damit ist dann auch Schluss. Es kommt nicht mehr zum Showdown mit dem Vater. Der verharrt mit den anderen Verhinderern des jungen Glücks im Hintergrund.

Mindestens ebenso gravierend wie die inhaltlichen Lücken sind die kürzungsbedingten Verluste an Atmosphäre, wodurch auch die Personen an Charakter einbüßen. Gleichzeitig verlieren die zwischenmenschlichen Verhältnisse an Tiefenschärfe, so vor allem zwischen Präsident (überzeugend: Guido Wachter) und Ferdinand sowie zwischen Miller und Luise. Gestrichen ist zum Beispiel, wie Vater Miller gleich zu Beginn dem Sekretär Wurm seine Verachtung ins Gesicht schleudert - damit geht einerseits Millers (Stefan Imholz) ehrlich-grobe Facette verloren, andererseits wird Wurm durch solche Kürzungen verharmlost. Zwar gelingt es Lukas Graser durchaus, dem Wurm eine glatte Fiesigkeit zu verleihen, doch um ihn so richtig als Schwein vorführen zu können, muss ihn die Regie in der Briefszene auch noch zum geilen Grabscher machen.

Am meisten leidet die Rolle der Lady Milford (Hannah von Peinen) unter den Kürzungen. Von ihrem vielschichtigen Charakter (edle Britin mit Herz fürs Volk in der Ferdinand-Szene / arrogant-überlegene Adlige gegenüber Luise / mütterliche Herrin ihrer Dienerschaft ...) bleibt kaum etwas übrig (natürlich ist die Kammerdienerszene gestrichen, und damit Schilleres heftigste Attacke auf die brutale Allmacht des absolutistischen Adels); der Lady bleibt fast nur das – ebenfalls stark gekürzte – Gespräch mit Ferdinand, und da muss sie unbeweglich-steif, geradezu statuarisch an einer Stelle verharren, und ihren Text deklamieren oder eigentlich nur: aufsagen. Die spätere Konfrontation mit Luise bringt da auch nichts mehr; und dass nach ihrem Abgang aus dem Off ein Schuss zu hören ist, ist ein weiteres Rätsel dieser Inszenierung.

Am wenigsten verstanden habe ich die Figur des Ferdinand (Anton Pleva). Im Programmheft wird er geradezu hymnisch gefeiert als fortschrittlicher, edler „Schwärmer mit hochfahrenden Plänen, revolutionären Idealen und voller Verachtung für die begrenzte Welt seiner Herkunft ...“. Was ich auf der Bühne gesehen habe, erinnerte mich eher an ein nachrangiges Mitglied einer zweitklassigen türkischen Jugendgang ...

Immerhin versucht man, den Personen das, was ihnen mit Schillers Text weggenommen wurde, auf andere Weise wiederzugeben: mit einer Choreografie (Gundula Peuthert), die einzelnen Figuren durch tanzartige Bewegungen im Hintergrund etwas Farbe (wenn auch nicht Charakter) verleiht.

Und mit Hilfe des Bühnenbildes (Jochen Schmitt): Die ansonsten leere Bühne wird beherrscht von einer langen weißen Rampe, die von ganz hinten bis zwischen die ersten Sitzreihen hinein führt. Und diese Rampe erlaubt effektvolle Auftritte und Abgänge. Am anschaulichsten gelingt dies beim eitel-stutzerhaften Hofmarschall von Kalb (Janco Lamprecht), der wie ein Model auf dem Catwalk einherstolziert. Geradezu herzzerreißend ist der lange Abgang der verzweifelten Luise, wenn sie den Raum verlässt, um die verhängnisvolle Limonade zuzubereiten.

Ohnehin ist Luise der Star dieser Inszenierung. Isabell Giebeler gibt sie zunächst verliebt, dabei ein bisschen naiv, aber – bei aller Akzeptanz ihrer gesellschaftlichen Stellung - auch selbstbewusst und lebenspraktisch. Später zeigt sie überzeugend, wie sie mit der brutalen Zurückweisung durch den Hof fertig werden muss. Und schließlich, in der schrecklichen letzten Szene mit Ferdinand, ist sie das brutal misshandelte wehrlose Geschöpf – ein Erlebnis!!

Ebenfalls ein Erlebnis ist Nicole Paul, die aus ihren kurzen Auftritten als Mutter Millerin alles herausholt. Sie gibt sich hochmütig gegen den verachteten „Sekertare“; und sie ist die Löwin, die ihr Kind verteidigt – und dessen vermeintliche Chance auf eine gute Partie.

Dem Premierenpublikum hat’s insgesamt gefallen. Es gab langen, begeisterten Schlussapplaus.


Kabale und Liebe – von Friedrich Schiller

Regie:       Christan Schlüter
Bühne:   Jochen Schmitt
Kostüme:   Ester Krapiwnikow
Choreografie:   Gundula Peuthert
Dramaturgie:   Franziska Betz

Präsident von Walter, am Hof eines deutschen Fürsten:   Guido Wachter
Ferdinand, sein Sohn, Major:   Anton Pleva
Hofmarschall von Kalb:   Janco Lamprecht
Lady Milford, Favoritin des Fürsten:  
Hannah von Peinen
Wurm, Sekretär des Präsidenten:   Lukas Graser
Miller, Stadtmusikant:   Stefan Imholz
Millerin, dessen Frau:   Nicole Paul
Luise, dessen Tochter:   Isabell Biebeler


Nächste Vorstellungen:

Do. 21.02.2013 um 20:00 Uhr    
Fr. 22.02.2013 um 20:00 Uhr    
So. 24.02.2013 um 15:00 Uhr - NACH DEM APPLAUS im Gespräch mit dem Ensemble   
Fr. 01.03.2013 um 20:00 Uhr    
Sa. 02.03.2013 um 19:30 Uhr    
Mi. 13.03.2013 um 20:00 Uhr    
Do. 14.03.2013 um 20:00 Uhr    
Sa. 23.03.2013 um 19:30 Uhr    
Fr. 29.03.2013 um 19:30 Uhr    
Di. 02.04.2013 um 20:00 Uhr    
So. 07.04.2013 um 19:30 Uhr    
Di. 09.04.2013 um 20:00 Uhr    
Do. 11.04.2013 um 20:00 Uhr    
Mi. 08.05.2013 um 20:00 Uhr Vorstellung entfällt -  Stattdessen: HOFFMANNS ERZÄHLUNGEN.   
Do. 23.05.2013 um 20:00 Uhr    
Di. 28.05.2013 um 20:00 Uhr    
So. 23.06.2013 um 19:30 Uhr    
Mi. 17.07.2013 um 20:00 Uhr