Mozart im Wilden Westen
Turrinis "Da Ponte in Santa Fe"
Peter Turrini:
Da Ponte in Santa Fe
Auftragswerk der Salzburger Festspiele - Koproduktion mit dem Berliner Ensemble
2002 - Uraufführung
Mozarts „Don Giovanni“, für ein amerikanisches Saloon-Orchester bearbeitet und in einem Western-Saloon im Santa Fe des frühen 19. Jahrhunderts aufgeführt – ja schau! Dies dargestellt aus der Sicht des italienischen Librettisten in einem Stück des österreichischen Nestbeschmutzers Turrini, inszeniert von jenem Piefke Claus Peymann, der 13 Jahre lang als Direktor des Wiener Burgtheaters („der Burg“) die brave österreichische Theaterszene aufgemischt hatte und seit seinem Rückzug ins preußische Berlin keine Gelegenheit ausließ, die Wiener im Besonderen und die Österreicher im Allgemeinen zu schmäh’n – ah geh! Das Ganze gewürzt mit ein paar boshaften Spitzen gegen die Österreicher im Allgemeinen („Denk ich mir, Antisemit bin ich schon - werd ich Österreicher“) und gegen die Salzburger im Besonderen (Mozart „hatte Mundgeruch, wie alle Salzburger“) – jo mei: Dass da dös fesche Salzburger Premierenpublikum mit Empörung und Buhs antworten wird, dös wor eh scho kloar! Die Kritiker schlossen sich dem an und verrissen den „Premieren-Flop“ (SPIEGEL) gründlich, woraufhin sie von Peymann postwendend als „Arschlöcher“ tituliert wurden.
Sieben Tage und sechs Aufführungen später im charmanten Salzburger Landestheater: In den Foyergesprächen halten sich österreichische und deutsche Dialekte die Waage, die größte Aufregung hat sich gelegt und einer gespannten Erwartung des „Skandalstücks“ Platz gemacht.
Von Skandal dann keine Spur! Rolf Glittenbergs Bühnenbild: ironisch-spießig. Miro Paternostros Kostüme: brav (auch die Bolero-Girls, die sich Turrini „halbnackt“ gewünscht hatte, unterschreiten keinesfalls die Grenze des Schicklichen). Mozarts Musik: auch in Franz Wittenbrinks „Bearbeitung für amerikanisches Saloon-Orchester“ noch schön klassisch, gar mit ein paar Belcanto-Kostproben (Christoph Homberger als Don Giovanni alias Manuel Rodriguez García und Michael Rothmann als singender Gangster und Billeteur). Nur wenn’s dem ungebildeten Western-Publikum gar zu langweilig wird, muss dasselbe mit ein paar Hillbilli-Takten bei der Stange gehalten werden.
Der Inhalt?
Weniger eine Geschichte als eine Beschreibung: Der greise Lorenzo da Ponte ist mit einer Amerikanerin verheiratet, die ihr Geld dem Sauerkraut-Imperium ihres Vaters verdankt. Die finanzielle Abhängigkeit von seiner Frau sucht Da Ponte zu mildern, indem er an Opernbesucher Brandy verkauft – ohne großen Erfolg. In Wirklichkeit geht es ihm auch eher darum, seinen „Kindern“ nahe zu sein, vor allem seinem „Don Giovanni“. Nur leider: Auf dem Theaterplakat nimmt der Name des Produzenten die Hälfte der Fläche ein. Der Name des Titelhelden (sowie die Tatsache, dass dieser mehr als 2000 Frauen verführte) und der Name des Tenors sind noch gut lesbar, der des Komponisten nur noch mit Mühe. Und der Librettist? Interessiert doch eh keinen! Dass Bürgermeister und Sheriff als Ehrengäste die Vorstellung nur durchstehen, wenn man ihnen zwischendurch ein paar Huren in die Loge schickt, sei nur am Rande erwähnt – immerhin werfen derartige Details ein paar interessante Schlaglichter auf das, was wir heute als „Entstehungsprozess einer eigenständigen amerikanischen Kultur“ betrachten können. Im Übrigen schadet’s uns europäischen Kultur-gepachtet-Habern auch nicht, einmal mit dem elenden Schicksal des alten Da Ponte konfrontiert zu werden (ehrlich – wer von denen, die Mozarts Lebenslauf runterschnurren können, weiß von seinem Librettisten mehr, als dass er eben Mozarts Librettist war?).
Jürgen Gudzuhn versteht es, uns diesen Da Ponte nahe zu bringen und wurde dafür – zumindest in „meiner“ Vorstellung – vom Publikum enthusiastisch gefeiert, ähnlich Tobias Moretti als Mozart. Auch die andern Darsteller erhalten reichlich Beifall – obwohl Heribert Sasse in der eigentlich prallen Rolle des Yankee-Operndirektors recht blass bleibt. Dafür erweckt Axel Werner den fast stummen schwarzen Garderobier zu einem faszinierenden Leben. Und Annika Kuhl begeisterte das Publikum mit ihrer anrührenden Gestaltung der Dolly Delors. Diese liebe Klosterschülerin hat den braven Entschluss gefasst, von den beiden Berufen, die Frauen im Wilden Westen offenstehen: Sängerin oder Hure, den der Sängerin zu ergreifen; ein naiver Instinkt sagt ihr aber, dass die wichtigsten Requisiten für ihre Karriere wohl Verhütungsmittel sein werden. Dazu gibt’s noch ein paar hübsche Miniaturen, in denen etwa Gerd Kunath als Bürgermeister und als Mafioso sowie Georgios Tsivanoglou als Sheriff und als Journalist auch ihre Wandlungsfähigkeit unter Beweis stellen dürfen – und so weiter ....
Natürlich darf man über das Gesamtergebnis geteilter Meinung sein. In der Pause hörte ich einen gesetzten Österreicher – auf durchaus peymännischem Niveau - tönen: „Das ist ein Scheiß!“ (seine Auslassungen über Turrini lasse ich lieber aus). Am Schluss aber, beim Anstehen an der Garderobe, vernahm ich nur Zustimmung, nicht selten Begeisterung – durchaus zu Recht, fand ich, hat Turrini doch ein amüsantes Stück mit Tiefgang geschrieben, welches Peymann als pralles Spektakel inszeniert hat.
- Claus Peymann Inszenierung
- Rolf Glittenberg Bühne
- Miro Paternostro Kostüme
- Franz Wittenbrink Musikeinrichtung
- Konrad Lindenberg Licht
- Hermann Beil Dramaturgie