Ein erhellender Blick in einen alten Spiegel
Millers „Hexenjagd“ am Münchner Residenztheater
Autor und Stück
g.WaSa - München - Arthur Miller (1915 – 2005) ist einer der schärfsten Beobachter und Analytiker der US-amerikanischen Gesellschaft seiner Zeit. Dabei spielt sein (neben dem „Tod des Handlungsreisenden“) bekanntestes Stück in ferner Vergangenheit: In „Hexenjagd“ („The Crucible“, eigentlich: die „Feuerprobe“ oder auch der „Schmelztiegel“) beschreibt er einen Justizskandal aus dem Jahr 1692:
Die fundamentalistisch-christliche Gemeinde Salem (Massachusetts) verfällt in einen kollektiven Hexenwahn, in Millers Nacherzählung ausgelöst durch eine Gruppe pubertierender Mädchen, die vom fanatisch-abergläubischen Pastor nachts im Wald beim Tanz erwischt werden; für die radikalen Puritaner wäre das allein schon Sünde genug, aber dann ist (mindestens) eine sogar nackt, und darüber hinaus haben sie – der Gipfel an sündiger Verderbtheit! – auch noch Geister, womöglich gar den Teufel beschworen. Anführerin der Mädchen ist Abigail, Nichte und Mündel des Pastors, so verführerisch-schön wie raffiniert-verlogen. Und die findet einen Weg, der Strafe zu entgehen: sie bekennt sich schuldig, vom Teufel verführt worden zu sein, simuliert Reue und beschuldigt gleich andere der Hexerei. Ab da werden mehr und mehr Mitbürger und (natürlich vor allem) Mitbürgerinnen des Umgangs mit dem Teufel und der Hexerei bezichtigt; ein selbstherrlich- bigotter Gerichtshof nimmt jede Anschuldigung als unumstößlichen Beweis für die Schuld, mögen private Motive für die Vorwürfe (Rache, Habgier, …) noch so offensichtlich sein. Und die derart „Überführten“ können sich nur vor dem Galgen retten, indem sie ihre „Schuld“ bekennen und in einem Akt tätiger Reue weitere Schuldige benennen.
Ein Stück aus dem finstersten Mittelalter also (auch wenn das eigentlich mit der Entdeckung Amerikas zu Ende war) – und doch von Miller im Jahr 1952 als Gegenwartsstück verfasst. Auch wenn er die Hexenjagd durch die braven Christen der Gründerzeit beschreibt, so meint er eigentlich die Hexenjagd, die das „anständige“ Amerika unter Führung des Senators Joseph McCarthy in den Jahren um 1950 veranstaltet: die Verfolgung von „un-amerikanischen Umtrieben“, eine ausgedehnte Gesinnungs-Inquisition gegen alles, was „links“, „sozialistisch“ oder gar „kommunistisch“ sein könnte, wobei die Verdachtsschwelle ebenso niedrig liegt wie einst beim Salemer Hexen-Tribunal.
Textnahe Inszenierung: beeindruckend
Tina Lanik bleibt in ihrer Inszenierung sehr dicht am Originaltext. Stefan Hageneiers Kostüme erinnern ebenso an die Zeit der Pilgerväter wie seine Bühne: ein düsteres, wie aus rohen Holzbalken zusammengezimmertes Ambiente. Und so könnte man sich durchaus in der naturalistischen Aufführung einer Historientragödie glauben.
Vielleicht deshalb wurde Laniks Inszenierung vorgeworfen, sie sei langweilig, zäh, und vor allem: sie würde die sich aufdrängenden aktuellen Bezüge ignorieren. Mag sein, dass man – zumal mit Blick schräg über die Maximilianstraße, wo in den Kammerspielen gerade ein Leitungswechsel von Johan Simons zu Matthias Lilienthal stattgefunden hat (vgl. „Event“ in Detmold) – eine Inszenierung langweilig findet, die ein gutes Stück einfach von Anfang bis Ende handwerklich ordentlich auf die Bühne bringt. Ich fand die Aufführung spannend (na gut – ein paar kleine Längen nach der Pause): eine Inszenierung, die der literarischen Qualität des Textes gerecht wird, seine dramaturgische Wucht beeindruckend auf die Bühne bringt, die auch einfach als „so eine alte Geschichte“ fasziniert – nicht zuletzt natürlich auch dank all der überzeugenden Resi-Schauspieler!
Wo bleibt das Heute?
Aber dürfen wir uns damit zufrieden geben? Das Residenztheater scheint das nicht zu glauben, kündigt vielmehr an, „in unserer Gegenwart Millers aggressives Stück neu zu befragen“. Aber dann scheint der Gegenwartsbezug ins Programmheft ausgelagert zu sein:
„Und wir? Wir sind seit 9/11 … hysterisch damit beschäftigt, den mühsam erkämpften Rechtsstaat aufzuweichen. … In einer Mischung aus konkreten sozialen Nöten, wuchernden Vorurteilen, politisch instrumentalisierten Entsolidarisierungstendenzen und geschürter irrationaler Angst schreit man … gegen den vermeintlichen Untergang eines mythisch umrissenen Abendlandes an. Noch ist nicht abzusehen, wann der Spuk ein Ende findet.“
Klare Worte! Überzeugende Diagnose! Beherzigenswerte Vorwürfe! Warum nicht auf der Bühne? - mag man fragen.
Das Heute im Spiegel von Damals – ein Denkanstoß!
Falsche Frage – das alles findet sich auf der Bühne, wenn auch gespiegelt in der alten Geschichte, so wie Miller die Sozialistenjagd der 50er Jahre in der alten Geschichte gespiegelt hatte!
Wenn Reverend Parris den Wert eines Menschen daran bemisst, wie oft er in seinen Gottesdienst kommt, wenn Pastor Hale den christlichen Glauben daran prüft, ob jemand die zehn Gebote auswendig kann – dann denkt der heutige Zuschauer leicht an das islam(ist)ische Gebot, den Koran wörtlich zu befolgen, oder auch an die Weigerung fundamentalistisch-baptistischer Familien, ihre Kinder am Sexualkundeunterricht teilnehmen zu lassen.
Und wenn – als höchste Autorität – ein bornierter Gerichtshof Hexerei und einen persönlich auftretenden Teufel als unbezweifelbar real, sozusagen naturgesetzlich vorgegeben voraussetzt und alle rationalen Gegenargumente an seiner abergläubischen Selbstherrlichkeit abperlen lässt, so erschließt sich uns heutigen „Aufgeklärten“ gerade an einem solchen Beispiel die Absurdität von „absoluten Gewissheiten“; und mancher mag etwas kritischer auf ebensolche „ewigen Wahrheiten“ blicken, die uns heute vorgebetet werden – von religiösen Dogmen über politische „Selbstverständlichkeiten“ bis hin zu einem von „fünf Weisen“ verkündeten quasi-religiösen Heils-Glauben ans ewige Wirtschaftswachstum …
Fazit
Drei spannende, bewegende Stunden. - Hingehen, ansehen, genießen (soweit möglich, bei diesem Thema – ansonsten:) nachdenken!
Residenztheater München:
Hexenjagd
Von Arthur Miller
Deutsch von Hannelene Limpach, Dietrich Hilsdorf, Alexander F. Hoffmann
Regie: Tina Lanik
Ausstattung: Stefan Hageneier
Komposition + Live-Musik: Polly Lapkovskaja
Licht: Gerrit Jurda
Dramaturgie: Angela Obst
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Jörg Lichtenstein: Reverend Parris
Friederike Ott: Mercy Lewis
Valery Tscheplanowa: Abigail
Genet Zegay: Betty Parris
Juliane Köhler: Ann Putnam
Wolfram Rupperti : Thomas Putnam
Valerie Pachner: Mary Warren
Thomas Loibl: John Proctor
Ulrike Willenbacher: Rebecca Nurse
Michele Cuciuffo: Giles Corey
Thomas Lettow: Reverend John Hale
Valentina Schüler: Tituba
Sibylle Canonica: Elizabeth Proctor
Simon Werdelis: Ezekiel Cheever
Norman Hacker: Danforth, Stellvertreter des Gouverneurs
Arnulf Schumacher: Richter Hathorne
Polly Lapkovskaja: Live-Musik
Nächste Vorstellungen:
Mi 13. Apr 16, 19:30 Uhr
Di 19. Apr 16, 19:30 Uhr
Mo 02. Mai 16, 19:00 Uhr
Mi 11. Mai 16, 19:00 Uhr
Mi 25. Mai 16, 19:00 Uhr