Highlights zwischen Banalitäten

Offene Ateliers 2015

Detmold: Vielfältiges Kulturangebot

g.WaSa     -     Detmold / Lippe     -     „Kulturstadt im Teutoburger Wald“ lautet der stolze Titel, den sich die Stadt Detmold selbst verliehen hat. – Warum nicht? Wenn er sich denn bestätigt! Am ersten November-Wochenende war es nicht zu übersehen: das Kulturangebot war mal wieder größer, als ein Normalmensch nachfragen kann. Während in Bielefeld die Reichen, die Schönen und ihr Anhang beim „Ball der Wirtschaft“ Wiener Walzer tanzten, gab es in Detmold (ganz nach Hilmar Hoffmanns immer noch beherzigenswerten Motto) Kultur für alle: Das Landestheater hatte so unterschiedliche Angebote wie „La Bohème“ und „Mordshunger“ auf dem Spielplan, das Sommertheater lockte mit dem Fishing-for-Compliments-Titel „Keine Kunst“ zum Kabarettabend mit Thomas Quasthoff und Michael Frowin; und wer dort vor der ausverkauften Kasse wieder umdrehen musste, konnte sich auf den Weg in (fast hätt‘ ich gesagt: irgendeine) Detmolder Kneipe machen, wo – nunmehr im 20. Jahr – der „Ohrenschmaus“ geboten wurde – ein vielfältiges Musikprogramm, an dem sich diesmal 21 Lokale beteiligten; die waren häufig auch total überfüllt, aber jeder durfte rein, sogar umsonst.

66 offene Ateliers

www.offeneateliers-lippe.de

 

Wer nach einer langen Musiknacht am Samstag etwas spät aus dem Bett kam, musste sich dann sputen, wenn er auch nur einen Teil der „offenen Ateliers“ abklappern wollte, die an zwei Tagen kunst- und kulturinteressierte Besucher willkommen hießen: allein in Detmold waren es ungefähr 20 (in ganz Lippe mehr als fünf Dutzend) Kreative, die ihre jüngeren Werke zur Schau und zur Diskussion stellten.

 

Der Schwerpunkt lag wieder bei der Malerei, doch waren neben Textilarbeiten und Skulpturen auch einige interessante Fotoarbeiten zu sehen.

 

Klar: nicht alles lohnte die Anfahrt! In diesen (doch großenteils: Freizeit-) Ateliers hing auch mal banale Abstraktion, mal grobschlächtiger Realismus oder gar kontemplationsseliges Mandala  … Aber wie auch nicht, wo doch auch renommierte Museen ihre Wände mit immer mehr Banalitäten zuhängen. - Und hier gab es unter den Werken von rund einem Dutzend Künstlern und (ganz überwiegend) Künstlerinnen, zu denen ich den Weg gefunden habe, immerhin so manches Sehenswerte und zwei oder drei echte Höhepunkte (das Fest der Farben einer Ruth Heuwes-Ahlers etwa - siehe ganz unten).

 

 

Zwei Beispiele aus Lage-Heiden:

Vera Kunas    und    Karin Kintzel

Vera Kunas   –   Lage-Heiden – www.verea-kunas.de

Karin Kintzel   –   Lage-Heiden   -   05232 64739

 

Vera Kunas: Daintree Boardwalk - 2015 - Acryl / Leinwand - 100x100 cm (Foto: Veranstaltungs-Katalog)

Ein Bild von Vera Kunas hatte ich zuletzt in der Utopie“-Ausstellung in der Detmolder Christuskirche gesehen.  In jenem Ambiente ließ sich das Bild (das auch noch unter dem Titel „Paradies“ gezeigt wurde) problemlos als mythischer, utopischer Garten Eden interpretieren. Jetzt, im Kontext von Kunas‘ anderen Werken – großenteils semirealistische Landschaften aus der engeren Region – erweist sich dieses „Paradies“ als ein ziemlich genaues Abbild einer zwar fernen, exotischen aber sehr realen Landschaft: Ergebnis einer Australienreise, genauer: eines Aufenthalts in einer einsamen Unterkunft inmitten eines kaum erschlossenen tropischen Schutzgebietes. Bei den transparenten Menschengestalten handelt es sich nicht um Adam und Eva, sondern um die australischen Freunde der Malerin, die bestrebt sind, die (beinahe) unberührte Natur möglichst wenig zu kontaminieren …

 

Wenige Kilometer weiter besticht Karin Kintzel durch die Vielfalt ihrer Stile (von denen ich leider nur zwei Beispiele zeigen kann, da die Künstlerin ihre Werke nur äußerst ungern fotografieren lassen wollte).

Ein Paradiesvogel in der Jungen Oper

 

 

Christiane Koum Kingue – Atelier der Jungen Oper

 

Kulturfabrik Hangar 21 – 32756 Detmold-Hohenloh

 

www.christianekoumkingue.de

 

www.jungeoper.de

So ein bisschen wie ein liebenswerter Paradiesvogel wirkte Christiane Koum Kingue auf mich, die im Hangar 21 für die „Junge Oper“ arbeitet und ihre phantastisch anmutenden Bühnenbilder, Kostüme und Masken beispielsweise für die "Zauberflöte" zeigt . (Diese „Junge Oper“ hat es sich zum Ziel gesetzt, „Kinder, Jugendliche und auch Erwachsene an die Welt der Oper heranzuführen“ und damit gleichzeitig „Sprache und Kognition zu fördern“ sowie jungen Sängern Praxiserfahrung zu ermöglichen – ein interessantes und begrüßenswertes Konzept, das es wert ist, demnächst mal ausführlicher hier vorgestellt zu werden).

Gemeinschaftsausstellung „Wasser“

13.14produzentengalerie   - 

 

Richthofenstraße 16   -   32756 Detmold   -   05231 4302

Öffnungszeiten:  Mi.  15 - 18 Uhr, Sa.  11 - 14 Uhr   

 

www.13punkt14produzentengalerie.de

Galeriebesucher als Künstler - hinten links: das Besucherbild vom Vortag

Gerade rechtzeitig zu den Tagen der offenen Ateliers eröffnet die 13.14produzentengalerie ihre neue Gemeinschaftsausstellung: „Wasser“.  Ein Bonbon in dieser Galerie: die Besucher dürfen sich selbst mal als Maler versuchen. Fasziniert beobachten wir, wie J. G. Ludwig einem begeisterten Jungen die Grundlagen der Mischtechnik nahebringt.

 

In einer Ankündigung heißt es: „Die sieben kunstschaffenden Mitglieder nähern sich (in ihrer Gemeinschaftsausstellung) auf unterschiedliche Weise dem Thema“. – Und ob!

 

Neben völlig nichtssagenden Exponaten findet sich sowohl „genialisches“ Gekleckse, welches immerhin das Thema deutlich zum Ausdruck bringt (Brill: „Tosende Brandung“) als auch die Verlegenheitslösung, bei der nicht einmal die Malerin per Titel einen Bezug zu Wasser herstellen möchte und allenfalls – ganz banal - die Farbe Blau an Wasser erinnert (Brede: „O.T. 1-2“ – dabei kann die doch viel mehr).

Auch Johann Georg Ludwig arbeitet eigentlich ganz gern „ohne Titel“. „Das ergibt sich aus meiner Arbeitsweise“, erläutert er, „die von den Farben ausgeht: Ich beginne mit einer Farbe, wähle dann – je nach Stimmung – eine dazu passende aus, und fahre so fort … Erst gegen Ende sehe ich selbst, was sich daraus ergibt.“ Und dieses „sehen, was sich daraus ergeben hat“ will er auch dem Betrachter überlassen, ohne ihn durch eine Titelvorgabe zu bevormunden (ein Verfahren, das der Beliebigkeit der Kunst Vorschub leistet und über das man daher trefflich streiten könnte).

 

So entschuldigt er sich beinahe dafür, dass er für seine „Ursuppe“ eine Ausnahme gemacht und diesem Bild nicht nur einen Titel gegeben, sondern auch noch eine Erläuterung beigefügt hat, welche die Theorie von der Entstehung des Lebens in einer heißen Chemiebrühe kurz referiert.   

Bei einem weiteren Bild Ludwigs verzeihe selbst ich den Verzicht auf einen Titel – ist das Sujet doch klar: eine mediterrane Landschaft mit einer mächtigen Stadt in einem kargen Umland, am tiefblauen Meer und unter einem fast schon bedrohlich düster-blauen Himmel … Eindeutig!  … für mich! – andere mögen das ganz anders sehen …  Aber auch dann bleibt die aussagestarke Komposition, die Kraft der Farben in ihrem Mit- und Gegeneinander. 

I. Schramm-Biermann: Wasser 1-3 ... - Pigment, Acryl / Leinwand - 40+60+80 x 120 cm

Viel Substanz und Witz bringt auch Irene Schramm-Biermann auf die Leinwand, die zu dieser Gemeinschaftsausstellung ihr „Wasser 1 – 3: Lebensraum, Lebensquell, Aggregatszustand“ beigetragen hat – ein durchaus typisches Werk für diese Malerin, die man allerdings – um das ganze Spektrum ihres Werks zu erleben - an diesen „Tagen der offenen Ateliers“ zu Hause (oder ersatzweise auf ihrer Homepage) besuchen sollte. Ihre Ausbildung zur Mathematikerin möchte sie nicht verleugnen: Den Escher-Fans werden ihre „Irritationen“ gefallen;  Zahlenfreaks werden von „Fibonacci 1-3“ fasziniert sein; hier deutet sich bereits an, was zu einer ihrer Spezialitäten werden soll: „irreale Landschaften“ - Bilder aus dem Zwischenbereich zwischen geometrischen Mustern, (fast) abstrakten Farbflächen und (fast) realistischen Landschaften mit Abstechern ins Surrealistische. Dabei scheint es ihr ein besonderes Vergnügen zu bereiten, ihre „irrealen Landschaften“ durch ein winziges realistisches Detail im Hier und Heute zu verankern: durch eine winzige Mondsichel (s. a. ihren Beitrag zu „Utopien“), durch eine „Wasseramsel“ oder die Wasserschlange im „Lebensraum Wasser“.  

Vom Laubhaufen zum Höllenschlund … oder?

Der Farben-Rausch der Ruth Heuwes-Ahlers   

Ruth Heuwes-Ahlers   -   Detmold   -   05231 3012010

Kommt man in Ruth Heuwes-Ahlers‘ Atelier, so ist man auf den ersten Blick, bei den ersten Blicken beherrscht von den Farben: diesem leuchtenden, reich abgestuften Blau, dem grellen Grün, den gezielt dazwischen-gestreuten Gelb-Braun-Tönen. Und immer wieder: dem Rot: dem (eher seltenen) zarten hellen Rot, dem aggressiven Tief-Rot, dem düster-dräuenden Dunkelrot … Angesichts dieses Farben-Festes macht man sich zunächst die Formen kaum bewusst, geschweige denn Inhalte … das ist halt alles abstrakt.     -     Oder?

 

 

Vielleicht ist es ein Merkmal wahrer Kunst, dass man auf den ersten Blick beherrscht, begeistert ist von dem Offensichtlichen … so begeistert, dass man nicht nur einen zweiten, sondern viele weitere Blicke investiert – und dabei immer noch wieder Neues, Erstaunliches, Berührendes entdeckt.

Natürlich hat Ruth Heuwes-Ahlers auch gegenständlich gemalt: den bunten herbstlichen Laubhaufen. Und diese Tür, die sich in einer grauen Wand öffnet und einen halben Blick erlaubt hinaus, eine fast surrealistisch anmutende Perspektive bietet ... und wenn man dann auch noch entdeckt, dass diese Wand sich ablöst … so viel zum Thema Realismus.

Oder diese Orgie in Rot – ganz klar: der Eingang zur Hölle: hinter den roten Dämpfen, die hier hervorquellen, zwischen düsteren Felsen heraus, ahnt man das Lodern des ewigen Feuers … aber vielleicht ist es ja nur die Öffnung eines Vulkans, begrenzt von einer schroffen Gesteinsformation … in der man, je länger man hinschaut, ein Gesicht erkennt, das Gesicht eines Verzweifelten (?) … also doch Hölle?  Oder?

 

„Kunst entsteht im Auge, im Gehirn des Betrachters“ – eigentlich mag ich dieses Mantra der zeitgenössischen Kulturwelt nicht, da es allzu oft nur der Rechtfertigung von allzu Beliebig-Banalem dient. Hier finde ich es mal berechtigt, da Heuwers-Ahlers‘ Bilder tatsächlich ein breites Spektrum an Interpretationen erlauben, erzwingen.

 

 

Das geht so weit, dass die Besucher lange darüber diskutieren, ob ein Bild nun waagerecht zu hängen sei (Landschaft mit See, Wald, Wolken und unter-/aufgehender Sonne) oder vielleicht doch senkrecht (Phönix aus der Asche … oder Wolfsschlucht?)