In Coronazeiten zwischen Wien und Peking
Puccini ist der Verdi des kleinen Mannes,
und Lehár ist dem kleinen Mann sein Puccini. …
Brot und Spiele ... Na, da spieln mir halt.
- Lehár, mein Lehár, wie lieb ich dich –!“
Peter Panter (= Kurt Tucholsky)
„Immer nur lächeln“ anstatt „Nessun dorma“
g.wasa - Detmold. - Es hat eine gewisse Tradition, die Spielzeit am Landestheater Detmold mit einer bedeutenden Oper zu eröffnen. So sollte es auch 2020/21 sein: Auf dem Plan stand Puccinis letzte Oper. Es ist die Geschichte der grausamen chinesischen Prinzessin Turandot, welche dem Volk Pekings verbieten lässt, zu schlafen, bevor das Rätsel um den fremden Prinzen gelöst sei („nessum dorma – keiner soll schlafen“) – Große Oper, zweifellos!
Zuu groß für Pandemie-Zeiten. In der Planungsphase wusste keiner, wie zur Premiere, die behördlichen Corona-Auflagen sein würden: Wie viele Personen dürfen gleichzeitig auf die Bühne? Welche Abstandsregeln gelten für die Musiker im engen Orchestergraben? Zu unsicher! Notgedrungen hat man Turandot in die übernächste Spielzeit verschoben.
Vorerst also: kein schöner Prinz Kalaf, kein Opfertod der treuen Liù, keine Ping-Pang-Pong-China-Folklore. Aber dennoch gibt es zum Saisonauftakt einen exotischen Prinzen, eine unglückselige Liebesbeziehung und vor allem: Bei der Spielplan-Präsentation versprach Musik-Dramaturgin Elisabeth Wirtz: „Wir bleiben in der Region“: im „Land des Lächelns“. Regisseurin Guta Rau (die bereits etwas ostasiatisches Flair in ihren „Vetter aus Dingsda“ hinein-inszeniert hat) wird Franz Lehárs „romantische Operette“ auf die Bühne bringen.
Die Geschichte
Die Wiener High Society ist in Party-Laune. Grafentochter Lisa findet ihren angestammten Verehrer Gustl zu bodenständig-fad. Mehr exotischen Glamour verspricht der chinesische Prinz Sou Chong. Als der dann auch noch Ministerpräsident seines Heimatlandes – und damit eine unzweifelhaft „gute Partie“ – wird, gibt’s für das Wiener It-Girl kein Halten mehr: sie heiratet ihren Prinzen und geht mit ihm nach Peking.
War schon die gräfliche Familie in Wien alles andere als begeistert, dass ihre Tochter einen Chinesen heiratet, so schlägt der Fremden in Peking blanke Abneigung entgegen. Da schwindet die romantische Liebe schnell dahin. Die Tradition, dass ihr Ehemann noch vier Mandschumädchen zu heiraten hat, gibt dann der eh integrationsunwilligen Europäerin den Rest.
Wo aber Not ist, wächst das Rettende auch – in Gestalt des alten Verehrers Gustav von Pottenstein, besser bekannt als Gustl: Er hat sich als Militärattaché an die Botschaft in Peking versetzen lassen und kommt gerade recht, die Unglückliche heim nach Österreich zu holen. Da die Operette nun mal auch ein Buffo-Pärchen braucht, beginnt er erst noch ein Techtelmechtel mit der Schwägerin seiner einst Verehrten. Und da es noch eines dramatischen Höhepunktes bedarf, kommt es am Schluss zum Showdown zwischen den Fluchtwilligen und Sou Chong, der sie nicht gehen lassen will. Aber offenbar hat sich der chinesische Prinz einen gewissen Bassa Selim zum Vorbild genommen, so dass letzten Endes die Entführung aus dem chinesischen Serail doch noch gelingt. Irgendwie unhappy end, doch der Verlierer zeigt Haltung: „Immer nur lächeln. – (Und) wie’s da drin aussieht, geht keinen was an“.
Do yellow manners matter?
Muss man in einer Zeit engagierter Rassismus-Diskussionen nach rassistischen Tendenzen in einer Exoten-Operette fragen? Immerhin thematisiert das Landestheater die Rolle Lehárs im Nationalsozialismus und erinnert an den Tod des Mit-Autoren Fritz Löhner-Beda in Auschwitz. Und die eurozentristische Sicht des Jahres 1929 auf „die Gelben“? „Wir wollen keine Blackfacing-Debatte führen“, erklärte Regisseurin Guta Rau. Wobei man durchaus auch mal würdigen sollte, dass es - meines Wissens - in Detmold nie „Whitefacing“-Vorwürfe gegeben hat, wenn etwa ein englischer Lord von einem Chinesen oder der „Wirt zum Wilden Mann“ von einem Koreaner gesungen wird. Zum „Land des Lächelns“ hat nun das Regieteam einen vielversprechenden Zugang gefunden:
Anstatt Unterschiede zwischen Wien und Peking herauszustellen, konstatiert Guta Rau: „Beide ticken gleich!“ – Hier wie dort wird die Tradition hochgehalten. Hier wie dort akzeptiert, vielleicht sogar: schätzt man Fremde als interessante Exoten – will sie aber nicht als Mitbürger auf Dauer im Land behalten – geschweige denn in die eigene Familie aufnehmen.
Die Parallelität der Verhaltensweisen zwischen Wien und Peking versuchen die Detmolder in der Rollenbesetzung abzubilden, indem entsprechende Positionen auf beiden Seiten mit denselben Darstellern besetzt werden. Da kann man es fast als Statement ansehen, wenn Graf von Pottenstein kein chinesisches Pendant / Widerpart hat. Gustl als Mittler zwischen den Kulturen? Zur Belohnung bekommt er in Detmold – lehár-widrig – ein kleines Happy End!
Musik: aus silbernen Operetten-Zeiten
Die Zeit der Weimarer Republik wird gelegentlich als die „silberne Ära der Operette“ bezeichnet, nach der „goldenen“ Zeit der klassischen Wiener Operette, auf die einige Walzerklänge auch im „Land des Lächelns“ noch zurückdeuten. Vor allem den späteren Werken Lehárs wird zugestanden, sich an die Oper anzunähern, so auch „Land des Lächelns“ (Erster Kapellmeister György Mészáros: „Grenzstück in der Geschichte der Operette“), etwa in der Instrumentierung oder auch im Verzicht auf ein („operettenseliges“) Happy End. Aber keine Angst – es fehlen auch nicht die operettentypischen „Schlager“, allen voran das – dem damaligen Startenor – Richard Tauber auf die Stimmbänder geschriebene „Dein ist mein ganzes Herz“.
Und Corona?
Natürlich war es eine „Herausforderung, eine Lovestory mit zwei Meter Mindestabstand zu inszenieren“ klagt Regisseurin Rau, die sich gleichzeitig freut, „dass wir das Stück nicht nachträglich ummodeln mussten, sondern es von Anfang an unter Corona-Bedingungen entwickeln konnten“.
Dennoch musste man „unfassbar viel nachdenken“, z. B. über den Einsatz des Orchesters im engen Graben. Und das unter immer wieder neuen Regeln. So waren zu Beginn der Proben 15 Orchestermitglieder erlaubt; nach neuester Mitteilung sind es inzwischen 18 plus Dirigent – immer noch erst ein Bruchteil der „normalen“ Orchestergröße.
Aber offenbar überwiegt die Freude, wieder auftreten zu können: „Wir waren wild entschlossen, das hinzukriegen. Die Bühne hat uns allen doch sehr gefehlt“ (Rau).
Und:: „Angesichts der strengen Auflagen ist ein Theaterbesuch jetzt deutlich sicherer als Einkaufen“, verspricht György Mészáros.
Dazu noch eine Bitte an die Besucher: Kommen Sie frühzeitig ins Theater. Denn eine der Auflagen verlangt einen zeitversetzten Einlass in kleinen Gruppen.
Landestheater Detmold:
Das Land des Lächelns
Romantische Operette in drei Akten von Franz Lehár (Coronagerechte Inszenierung)
Musikalische Leitung: György Mészáros
Inszenierung: Guta G. N. Rau
Choreografie: Kirsteen Mair
Bühne: Markus Meyer
Kostüme: Maren Steinebel Chor: FrancesJco Damiani
Dramaturgie: Elisabeth Wirtz und Anna Neudert
Graf Ferdinand Lichtenfels / Tschang, Oheim des Prinzen:
Irakli Atanelishvili / Seungweon Lee
Lisa, des Grafen Tochter:
Emily Dorn / Arminia Friebe
Prinz Sou Chong:
Stephen Chambergs / Ji-Woon Kim
Graf Gustav v. Pottenstein:
Jakob Kunath / Nando Zickgraf
Lore, Nichte von Lichtenfels / Mi, des Prinzen Schwester:
Xenia Cumento / Rebecca Oh
Exzellenz Hardegg / Obereunuch:
Dorothee Bienert / Lotte Kortenhaus
Fini / Feng:
Ye-Ri Park / Tatjana Yang
Walli / Wenwen:
Andrea Drabben / Almut Orthaus
Balduin / Beilong:
Lifan Yang
Fotonachweis: Landestheater Detmold / Marc Lontzek
Premiere: 11. September 2020, 19:30 Uhr, Großes Haus
Weitere Termine:
16. + 17. Sept.
1., 6., 16., 18., 20., 21., 25., 30., 31. Oktober
6., 11. Nov.
26., 31. Dez. 2020