„Marmorstein und Eisen bricht …“

Paartherapie in Coronazeiten in der Südsee im Detmolder Theaterhof

g.wasa     -     Detmold.     -     Das Bemerkenswerte an dieser Aufführung ist, dass sie stattfindet.

 

Theater in Corona-Zeiten – eine neue Normalität?

(Fotos: Landestheater Detmold, Jochen Quast)

Wochenlang zwang Corona das Landestheater, sein Publikum auszuschließen. Im Juni wagte man einen vorsichtigen Neuanfang im großen Haus: mit einem Symphonischen Orchester auf Sparflamme und mit Abstand. Es folgte „Pauline“, die eigens geschaffene Musical-Revue zum 200. Todestag von Fürstin Pauline zur Lippe – das konnte man „im Paulinejahr nicht verschieben“, betonte Intendant Heckel bei der Spielplanpräsentation.

 

Ausstatterin Sievers und Regisseurin Trosits (Foto: g.wasa)

Und jetzt tastet man sich mit einem „normalen“ Repertoire-Stück an einen Spielbetrieb heran, wie er unter Corona-Bedingungen zum Standard werden könnte: Aus dem geschlossenen Raum des Sommertheaters hat man die ersten Aufführungen in den Hof verlegt – und tatsächlich: ein frisches Lüftchen während der Premiere bläst (hoffentlich) die Aerosole weg. Mit Verzicht auf eine Pause, mit Maskenpflicht und Einhaltung der Abstandsregeln (1,5 Meter zwischen den Zuschauern, 4 Meter zwischen Darstellern und Publikum) bemüht man sich um weitere Risikominimierung.

 

Was bei den Vorbereitungen zu beachten war, schildern (auszugsweise) Regisseurin Kristin Trosits und Dramaturgin Sophia Lungwitz: Probenzeit von sechs auf drei Wochen halbiert, Proben teilweise online anstatt live, und natürlich auch auf der Bühne: strikte Einhaltung der Abstandsregeln. Da war es geradezu ein Geschenk der Theatergötter, dass das Ehepaar im Stück auch im wirklichen Leben ein Paar ist, das schon mal auf Tuchfühlung gehen darf. Im Übrigen wurden die Sicherheitsvorkehrungen geschickt in die Aufführung integriert, indem die Handlung kurzerhand in die Coronazeit verlegt wurde, so dass man etwa ein Handy vor der Weitergabe ganz selbstverständlich desinfizieren kann.

 

So durfte man sich bei der Premiere (fast) wie an einem ganz normalen Theaterabend fühlen. Sogar das hoftheater-übliche Bier mit Bratwurst gab‘s vor Beginn und am Ende applaudierten die Zuschauer zufrieden der kleinen Schauspielerriege und dem Leitungsteam. Ein gelungener Auftakt, also!

Ach so, ja: Das Stück

„Die Wunderübung“, eine Komödie des Erfolgsschriftstellers Daniel Glattauer, wartet mit einer derart alltäglichen Geschichte auf, dass man sich fast scheut, sie zu erzählen:

Joana und Valentin haben sich vor 20 Jahren beim Tauchen in der Südsee kennengelernt. Auf das harmonische Zusammenwirken unter Wasser folgte Liebe und Leidenschaft an Land, und darauf folgten wiederum Hochzeit, zwei Kinder und Ehealltag mit gegenseitigem Anöden: „Nur in der Polemik sind die beiden (immer noch) ein perfekt eingespieltes Team und bleiben einander nichts schuldig“, stellt der Eheberater fest, den die beiden (immerhin!) gemeinsam aufsuchen.

 

Der (Reklame-)Trick des Beraters: Er lädt seine Klienten nicht in seine Null-acht-fünfzehn-Therapeuten-Räume, sondern an deren Lieblingsplätze, gerne an herausragende, exotische Orte. Man muss allerdings gut hinhören, wenn vor Beginn der Theaterhof zurückhaltend mit Radiomusik beschallt wird, damit man zwischendurch den entsprechenden Werbeblock heraushört: „Ich behandle Sie gern an Ihrem Wunschort“. – Wie auch immer: Joana und Valentin treffen sich zum Zwecke der Eherettung am Südseestrand von damals (glaubt man zunächst).

 

Der Rest ist Eheleben, wie es der Theaterfan spätestens seit Strindberg kennt, nur ein bisschen banaler. Die Handlung oszilliert zwischen verbalen Anwürfen, Slapstick (wenn die Klienten von der Hängematte fallen) und Klamauk (wenn sie sich auf offener Bühne prügeln). Für die Intellektuellen im Publikum gibt’s noch ein Stück selbstreferentieller Ironie: Die Südseekulisse, welche Ausstatterin Nina Sievers so wunderschön aufgebaut hat, ist auch innerhalb der Story genau das: Kulisse! Auch hier hat Corona eingegriffen und den geplanten Therapie-Ausflug in die Südsee verhindert. Aber andererseits: „Wenn die Theater wegen Corona stillliegen – warum sollten wir dann die überflüssig gewordenen Kulissen nicht für unsere Therapie verwenden?“. Wo er Recht hat, hat er Recht, der Berater …

… der ansonsten viel Therapeuten-Gewäsch absondert: „Sehr schön …Einen Versuch ist es wert … lösungsorientiert … Ich lade Sie ein … Finden wir zur Ruhe zurück …“ 

 

Und so weiter! Bei all dem kann es nicht ausbleiben, dass Lääängen entstehen, dass es sich ziiiieht ….! Wie lange dauert eigentliche eine übliche Therapie-Sitzung? 45 Minuten? Hier sind‘s 1 ½ Stunden. Irgendwas dazwischen wäre besser gewesen.

 

Die Darsteller

Immerhin: ein bisschen über die Längen hinweg zu trösten vermögen die Schauspieler-Leistungen: Das Detmolder Publikum weiß, dass Natascha Mamier und Hartmut Jonas ihr Handwerk beherrschen und erwartet eine überzeugende Präsentation des Problem-Paares – und wird nicht enttäuscht! Der Berater muss sich als Fremder irgendwie zwischen den verheirateten Kontrahenten zurechtfinden – und das muss der „Neue“ Marius Borghoff zwischen den altgedienten Detmoldern – was ihm ganz gut gelingt.

 

Und wie geht’s denn nun aus?

Als dramaturgisch wie auch psychologisch interessante Wendung erweist sich, dass der Paartherapeut plötzlich mit eigenen Partnerschafts-Problemen „rüberkommt“. Plötzlich haben wir die spannende Diskussion, was für eine Beziehung besser sei: eine penetrant-sanft-verständnisvolle Anpassung, die in (gefühls-)kalte Gleichgültigkeit umzuschlagen droht, oder dauernde Reibung, deren Hitze auf Dauer nicht zu ertragen ist. Für Joana ist klar: „Lieber dreimal verglühen als einmal erfrieren!“

 

Ob dieses Credo hilft, ihre Ehe zu retten? „Was ist geblieben“ vom Schlager-kitschigen „Ti amo“? Ist am Schluss die Liebe doch stärker als Drafi Deutschers „Marmorstein und Eisen“? Oder trennen sie sich, wie vom Therapeuten – am Ende seines Lateins! – empfohlen? Aber war der wirklich am Ende seines Lateins? Oder hat er – im Gegenteil - besonders „tief in seine Therapeuten-Trickkiste gegriffen“? Schauen Sie selbst!

 

Eine Frage bleibt in jedem Fall: Wovon lebt ein Berater, wenn er seine Klienten schon nach der ersten Sitzung entlässt und dafür noch nicht mal Geld verlangt?

 

PS: Das Programmheft – eine ernste Angelegenheit! 

Eine Komödie ist „die Wunderübung“ ja schon laut Ankündigung. Ist sie auch eine Satire auf Berater-Allmachts-Einbildung? Eine Veräppelung von Psychologen-Sprech? Als Therapeuten-Skeptiker möchte man das Stück gerne so sehen. Wenn da nicht das Programmheft wäre, das im Wesentlichen aus einem „Interview mit einem (Therapie-) Experten“, einem Prof. Dr. U. Clement, besteht, ursprünglich erschienen in „Geo Wissen“, das also dem Ganzen eine seriöse, fast schon wissenschaftliche Anmutung verleiht. – Ach Gottchen, ach Gottchen, musste das wirklich sein? 

 

 

 

Landestheater Detmold (Hoftheater):

 

Die Wunderübung

Komödie von Daniel Glattauer

 

 

Inszenierung: Kristin Trosits
Bühne und Kostüme: Nina Sievers
Dramaturgie: Sophia Lungwitz / Lea Redlich

 

Der Berater: Marius Borghoff

Joana: Natascha Mamier

Valentin: Hartmut Jonas

 

Premiere: 13. August 2020, 19:30 Uhr, Hoftheater

 

Fotonachweis: Landestheater Detmold / Jochen Quast

 

Nächste Aufführungen:

Sa, 15.08.2020, 19:30 – Hof

So, 16.08.2020, 18:00 – Hof

Fr, 28.08.2020, 19:30 – Hof

Sa, 29.08.2020, 19:30 – Hof

Do, 03.09.2020, 19:30 – Hof

Fr, 04.09.2020, 19:30 – Hof

Do, 31.12.2020, 19:30 – Sommertheater