… und am Schluss erschießt sich der Dichter

Metzgers Käthchen-Inszenierung: ideenreich, rätselhaft, morbide

 

Es war, als hätt´ der Himmel
Die Erde still geküßt …
Und meine Seele spannte
Weit ihre Flügel aus.
Flog durch die stillen Lande,
Als flöge sie nach Haus.


 (J. v. Eichendorf: Mondnacht)

 

Detmold     -     g.wasa     -      „DIESES Stück hätt’s ja nicht grad sein müssen, aber sie haben das Bestmögliche daraus gemacht!“    -   so lautet die Quintessenz aus den Kommentaren einiger Bekannter nach der Premiere am Landestheater Detmold.

 

Warum grad „dieses Stück“?

(Alle Fotos: Landestheater Detmold)

„Das Käthchen von Heilbronn oder die Feuerprobe – Ein großes historisches Ritterschauspiel“ – schon der marktschreierische Titel lässt eine gar schröckliche Rittersleut-Schmonzette erwarten, so wie sie in der sich damals rasant ausbreitenden Trivialliteratur (vulgo: Schund) alltäglich war. - Aber lassen wir meine Vorbehalte gegen dieses „Käthchen“ ( die habe ich bereits zur Genüge ausgebreitet ) – fragen wir lieber Kay Metzger, was ihn an dem Stück so reizt, dass er es in unserem Interview als sein Lieblingsstück, direkt neben dem „Parsifal“, bezeichnet hat.

 

Im Pressegespräch schwärmt er vom „prallen Theater“ und dem „Märchen für Erwachsene“; was sein Dramaturg Christian Katzschmann ergänzt durch die Forderung, der Zuschauer möge sich auf „Phantasie“ einlassen – die würden wir ja schließlich auch bei „Game of Thrones“ akzeptieren!

 

Die Bühne: eine Mauer

Auf die „Phantasie der Zuschauer“ setzt auch Bühnenbildner Jörg Kiefel; schließlich muss er – Stichwort: Reisebühne! – die von Kleist vorgegebene „Vielzahl dramatischer Schauplätze in einem integrieren“. Das kriegt er ganz gut hin. Die Bühne ist düster, was – wie wir noch sehen werden – durchaus zur Inszenierung passt. Und die Bühne ist leer – leer, bis auf eine riesige Mauer (Berlin? Palästina? Trump? Oder gar Kafka?). In ihrem oberen Teil beherbergt diese Mauer eine Art Loggia – Refugium der Femerichter ebenso wie Schauplatz der Käthchen-bedrohenden Feuersbrunst. Vor allem aber beherrscht diese Mauer die Bühne, ist mal hier, mal dort, wechselt ihren Standort wie von selbst, von einer geheimnisvollen Kraft bewegt – oder aber mühsam geschoben von den Protagonisten im Schweiße ihrer Angesichter … Und manchmal ist die Mauer auch Zuflucht für die Darsteller vor oder nach ihren Auftritten: so wird hier ganz nebenbei das Rätsel gelöst, wo denn Kunigundes Zofe Rosalie so überraschend herkomme: sie tritt einfach aus der Mauer!

 

 

Die Inszenierung: gestrafft

 

 

 

 

 Muss der Bühnenbildner eine Vielzahl von Schauplätzen meistern, so sieht sich der Regisseur mit einer Unmenge an (Neben-)Handlungssträngen konfrontiert. Da hat er nur drei Möglichkeiten: streichen, streichen, streichen. In Metzgers Worten: „die ausufernde Geschichte stringent konzentrieren“. Das bringt so manchen Zusatznutzen: für den Zuschauer, dass er nach 2 ½ Stunden entlassen wird; für den Regisseur (der in diesem Fall ja gleichzeitig Intendant, also auch oberster Personalchef und wirtschaftlich Verantwortlicher ist): dass eine Menge an Nebenrollen eingespart werden. Im Personenverzeichnis meiner Reclam-Ausgabe stehen 30 Einzelpersonen sowie „alte Tanten …, Boten, … Knechte und Volk“; da sind – beispielsweise – die „vier Mohren“ noch gar nicht enthalten, die in der Schlussszene einen Baldachin tragen. – Metzger kommt mit 11 Schauspielern aus (bei nur wenigen Doppelrollen), mit zwei Statisten und einem Tenor (dazu später mehr). Allerdings wurde nicht immer der Text der neuen Personenkonstellation angepasst, wenn beispielsweise Eleonore, die Cousine des Grafen, durch die Haushälterin Brigitte ersetzt, diese aber dann als „Fräulein“ angesprochen wird, eine Anrede, die nur Adligen zustand (wie der Theaterfreund spätestens seit Gretchens „Bin weder Fräulein …“ weiß).  

 

Die Inszenierung: ideenreich

Aber gewichtiger als eine solche kleine Schlamperei sind die guten Ideen, die Metzger in seine Inszenierung eingebracht hat. Einerseits will er damit „die Kraft des  Theaters durch das große Gefühl“, wo nicht gar das „Wunder der Liebe“ zeigen. Das gelingt ihm in besonders anrührender Weise in der Holunderbuschszene (wo, wenn nicht da!) durch Verwendung eines einfachen dünnen Vorhangs, der zunächst die Liebenden – eher symbolisch – trennt, um sie dann am Ende vereint zurückzulassen. 

 

Andererseits richtet er ein besonderes Augenmerk auf „Dinge, die stutzig machen, aber ganz dicht an uns dran sind“, indem er sie aus einem neuen, verblüffenden aber nachvollziehbaren Blickwinkel zeigt. So seine vielleicht auffälligste und sicher eine der besten Regie-Ideen: Kleist schildert Kunigunde als das abstoßend-künstliche Produkt der kosmetischen Industrie (um eine heutige Formulierung zu verwenden); Metzger besetzt die Rolle mit einem Mann (phänomenal: Lukas Schrenk) und macht sie so zur tragischen Figur, auf der Suche nach ihrer geschlechtlichen Identität zwischen den (potentiellen?) Liebespartnern Friedrich und Rosalie.

 

Schließlich die fragwürdigste Gestalt des Stücks: ein Cherub, der nicht nur als Kuppler herhalten muss, sondern auch Käthchen aus dem Feuer rettet (dazu hat Lessing 30 Jahre früher seinen Nathan schon das Nötige sagen lassen!). Den hat Metzger durch den Tenor Ewandro Stenzowski besetzt (ersetzt?) und dadurch den himmlischen Beistand ins Symbolische überhöht: die Rettungsszene beispielsweise spielt hinter dem geschlossenen eisernen Vorhang, während Heines „Du bist wie eine Blume“ in der Vertonung Schumanns ertönt:

 

„Mir ist, als ob ich die Hände
Auf’s Haupt dir legen sollt’,
Betend, daß Gott dich erhalte
So rein und schön und hold.“

 

Unerfindlich bleibt allerdings, warum sich währenddessen Graf Wetter mit heftigen Kopulations-Zuckungen auf Kunigunde werfen muss.

 

Die Inszenierung: verrätselt

Das ist nur eines von vielen Rätseln, die Metzger dem Zuschauer aufgibt. Das fängt mit Kleinigkeiten an: Wenn Rosalie in einer nebensächlichen Bemerkung die nebensächliche Figur „Mariane“ erwähnt und den französisch geschriebenen Namen auch französisch ausspricht („Marian“), so wird sie hier (anders als in Kleists Text) korrigiert: „Marianne“. Was soll das? Ein Insider-Späßchen? –

Noch so ein Rätsel: Im Lauf des Abends werden immer mehr Gesichter immer mehr eingefärbt; mal denkt man dabei an Masken, mal an blutende Augen. – Was will uns der Regisseur damit sagen? – Oder: Warum muss der Graf in der Briefszene derart das Rumpelstilzchen geben? (Apropos: Die Briefverwechslung erscheint hier – verkürzt – an noch dünneren Haaren herbeigezogen als im Original.) -  Gravierender: In seinem ersten großen Monolog schwärmt Graf Wetter vom Strahl geradezu überglücklich: „Ich bin geliebt!“ Richtig - das stand mal in einer früheren Textversion, aber Kleist hat das dann gestrichen – mit gutem Grund, denn hier kann der Graf von Käthchens Liebe eigentlich noch gar nichts wissen, geschweige denn, dass er diese Liebe bereits  erwiderte. Was soll das also? –

 

Umgekehrt am Schluss, wenn eigentlich längst klar ist, wer wen bekommt (zu bekommen hat): Bei Kleist nimmt der Graf Käthchens Hand, bricht gar in Tränen aus vor Rührung über deren Unschuld und küsst ihre Stirn; bei Metzger kniet er vor Kunigunde und küsst die Giftmischerin („Pest, Tod und Rache“ (?)). Dass daraufhin ein heftiger Platzregen auf die Detmolder Bühne niederprasselt, ist ja fast schon wieder folgerichtig.

 

Ebenso folgerichtig wie Käthchens Tod? Auch bei Kleist „sinkt sie“, steht aber schon bald wieder, um vom Kaiser höchstselbst zur Kirche geleitet zu werden. In Detmold bleibt sie liegen – leblos. Tot? Oder nur „wie tot“?

 

Heines „Dichterliebe“, vom Cherub / Tenor vorgetragen, gibt da auch keine eindeutige Antwort:

 

Ich hab im Traum geweinet,
Mir träumte, du lägest im Grab.

Ich hab im Traum geweinet,
Mir träumte, du bliebest mir gut.
Ich wachte auf, und noch immer
Strömt meine Tränenflut

 

Die Inszenierung: morbide

Ein solcher Tod würde zur morbiden Grundstimmung dieser Inszenierung passen, zu der „Grundgestimmtheit zwischen Liebe und Tod“, die Metzger „dieser Zeit“ (= der Entstehungszeit des Stücks, also um 1810) zuschreibt, und der er mittels Schumannscher Gedichtvertonungen (um 1840) Ausdruck verleihen will; neben den bereits erwähnten zum Beispiel (ausgerechnet unter dem Holunderbusch) Friedrich Rückerts

 

„… O du mein Grab, in das hinab

Ich ewig meinen Kummer gab …“

 

Und ganz zum Schluss erschießt Kunigunde – inzwischen unverkennbar ein Mann -  zunächst (ihre/seine heimliche Geliebte?) Rosalie, anschließend sich selbst. – Unmöglich, dabei nicht an Heinrich von Kleist zu denken, der sich und seine totkranke Begleiterin Henriette Vogel am 21. November 1811 in Berlin am Kleinen Wannsee erschossen hatte.

 

Fazit:

Das Premierenpublikum hat begeistert applaudiert – zu Recht, ist es Metzger & Co. doch gelungen, aus dem … nun ja, sagen wir mal: schwierigen Stück eine einigermaßen nachvollziehbare Geschichte herauszuholen und diese als anrührendes „Märchen für Erwachsene“ auf die Bühne zu bringen.

 

Nicht zu vergessen: die wunderbaren Darsteller, die ihren erklecklichen Teil zu dem Erfolg beigetragen haben.

 

 

 

 

Landestheater Detmold:

Das Käthchen von Heilbronn oder Die Feuerprobe

Ein großes historisches Ritterschauspiel von Heinrich von Kleist

 

Inszenierung:                                                Kay Metzger

Bühne:                                                           Jörg Kiefel

Kostüme:                                                      Torsten Rauer

Dramaturgie:                                                 Christian Katzschmann

 

Der Kaiser:                                                  Henry Klinder

Friedrich Wetter Graf vom Strahl :           Hartmut Jonas

Gräfin Helena, seine Mutter:                     Kerstin Klinder

Gottschalk, sein Knecht:                           Holger Teßmann

Brigitte, Haushälterin der Gräfin:             Natascha Mamier

Kunigunde von Thurneck:                        Lukas Schrenk

Rosalie, ihre Kammerzofe:                       Karoline Stegemann

Theobald Friedeborn,
    Waffenschmied aus Heilbronn:            Markus Hottgenroth

Käthchen, seine Tochter:                          Nicola Schubert

Maximilian, Burggraf von Freiburg /
Rheingraf vom Stein,                                
Hubertus Brandt
     Verlobter Kunigundens:

Georg von Waldstätten /
Eginhardt von der Wart:                           
Jürgen Roth

Räte des heimlichen Gerichts:                 Hubertus Brandt / Jürgen Roth / Holger Teßmann

Cherub:                                                       Ewandro Stenzowski

musikalische Begleitung:                          Boram Ahn / Sachie Mallet