„In einem dichten Birkenwald, Nebel“

Trilogie ost-westlicher Befindlichkeiten ?

Henriette Dushes dadaistische „Bühnenelegie“ in Detmold uraufgeführt

(alle Fotos: Landestheater Detmold)

 

 

Alle Männer: „Die Welt wird 

vom Stumpfsinn aufgefressen.

Alle Frauen:  Man bemerkt es nicht sogleich.

Alle Männer: Nein, man muss sich

ein wenig darauf besinnen

g.WaSa     -     Detmold     -     Jetzt ist also die Hoffnung auch noch gestorben.

Grabbe-Preis für Dada … oder gaga?

Anfang 2015 wurde der Christian-Dietrich-Grabbe-Preis an Henriette Dushe für ihre sogenannte „BühnenelegieIn einem dichten Birkenwald, Nebel verliehen. Als ich anlässlich der Preis-Verleihung den Text zum ersten Mal las, stand mein Urteil schnell fest: ein neo-dadaistischer Versuch, das absurde Theater der 50er Jahre wiederzubeleben. Oder womöglich nicht einmal das, nicht Dada, sondern einfach nur gaga (?).  

Sechs Personen suchen einen Sinn  

Dieses zusammenhanglose, ungelenke Nebeneinanderherreden von sechs Personen – einfach nur öde. Einer hatte einen Auffahrunfall. Na und? Den hatten schon viele. Anderen hat’s den Urlaub im Süden verregnet. Ach du meine Güte! Einer erkennt seine eigenen Kinder nicht mehr. Soll ich das jetzt glauben? Und einer hat keine Lust mehr, seine Arbeit zu tun. Wer kennt dieses Gefühl nicht (im Moment empfinde ich das ganz stark)?! Und wenn diese Arbeitsunlust krankhaft wird – soll er doch zum Arzt gehen, anstatt mich mit seinem wehleidigen Gejammer zu behelligen. Zum Arzt gehen sie dann irgendwann tatsächlich. Aber kommt was bei raus? Womöglich ein Sinn?

 

Womöglich handelt es sich um eine Beziehungstragödie, frage ich mich, als mal wieder Strindbergs „Totentanz“ zitiert wird – aber zitiert wird viel, sogar fast dissertationsgerecht mit römisch durchnummerierten Fußnoten: von Shakespeare bis Monika Maron, vom FDJ-Liederbuch bis zu den Toten Hosen … Aber kommt was bei raus … ach so, das hatten wir ja schon.

Eine Trilogie der west-östlichen Befindlichkeiten (?)

Christian Katzschmann hat jetzt als Dramaturg die Uraufführung des „Birkenwalds“ betreut; zuvor hatte er als Mitglied der Grabbe-Preis-Jury an der Auswahl des Gewinnerstücks mitgewirkt; und bei der Preisverleihung hat er die Laudatio gehalten. Die ist jetzt, rechtzeitig vor der Premiere, im Grabbe-Jahrbuch noch einmal nachzulesen. Da erfahre ich dann, dass es zwei frühere Stücke der Autorin gibt, in denen es ebenfalls um drei Frauen geht (nicht unbedingt „die“ drei Frauen). Das erste spielt wohl noch in der DDR, beim zweiten lässt schon der Titel („Von der langen Reise auf einer heute überhaupt nicht mehr langen Strecke“) einen Übergang vermuten. Jetzt, im „Birkenwald“ (den es übrigens auch schon in den früheren Stücken gab) ist man „aus der sozialistischen ‚Disziplinargesellschaft‘“ übergewechselt in eine „freiheitlich konsumistische Wirklichkeit, die es wenigstens partiell zu verstehen gilt“.

 

Haben wir da den Sinn? Die jüngere Entwicklung des deutschen (Selbst-)Bewusstseins? Eine Trilogie der west-östlichen Befindlichkeits-Geschichte? Kann schon sein. Vielleicht braucht man ja ein bisschen Ossi-Biografie, um dieses Stück verstehen oder gar goutieren zu können. Mir ist das alles zu beliebig. Ein Wandel wird nicht analysiert, sondern allenfalls illustriert – und das mit reichlich banalen Beispielen, einem belanglosen Auffahrunfall, etwa, dessen Folgen der Laudator dann mit einer geradezu philosophischen Wucht überhöht:

 

„… seitdem gibt es ein Davor und Danach und vor allem jetzt auch erst den Gedanken an ein grundsätzliches, ein definitives Danach …“. Wow!

 

... die Müdigkeitsgesellschaft der negativen Potenz eingedenk der Dignität mit weniger Pathos …

Überhaupt muss Dr. Katzschmann (den ich immer für seine distanziert-nüchternen Analysen, seine klaren Worte geschätzt habe!) tief in die rhetorische Soßenschüssel greifen, um dem weniger verständigen Leser auf die Sprünge zu helfen (die Fußnoten Nr. 63 – 74 im folgenden, leicht gekürzten Auszug unterschlage ich Ihnen, Sie können Sie im Grabbe-Jahrbuch 2015, S. 25 ff. nachlesen):

 

Eine solche Negativität, mündend in Hinweise auf den ultimativen „Abschied“, gegeben mit sarkastischer Unerbittlichkeit, „Langmut“ oder (Auto-)Aggression, entfaltet sich in Dushes allmählich gelichtetem Birkenwald, wenn dort nach der deprimierenden „Erschöpfungsmüdigkeit“ als „Müdigkeit der positiven Potenz“, die „unfähig [macht], etwas zu tun“, dem Ausstieg aus der Leistungsgesellschaft, nun die kontemplative „Müdigkeit, die inspiriert“, ausgekostet wird, „eine Müdigkeit der negativen Potenz, nämlich des nicht-zu“, „eine Zwischenzeit […], eine Zeit ohne Arbeit, eine Spielzeit“ … Derart „der Aktivgesellschaft entgegengesetzt“ zu „spielen“, zu sein, ist der „Trumpf“ jener „Gesellschaft der Müden …“ die  als „Müdigkeitsgesellschaft“ der Skeptiker und Illusionslosen, der Nachdenker anlässlich zur gemeinsamen „Lichtung“ zusammenfindet. Und diese erlaubt es einem, sei es nun „unschlüssig“, „ernst“ oder „auf die allereinfachste Philosophie reduziert“, sich dem „Nichts“ zu stellen, und zugleich, damit konfrontiert und deseingedenk, sich mit … spielerischen Optionen der Kontemplation wie dem offensichtlichen Schönen der Erinnerung in ihr selbst Dignität mit mehr oder auch „weniger Pathos“ zu bewahren …“

 

Alles klar?

 

 

Immer noch „gaga“

Als ich das Stück kurz vor der Uraufführungs-Premiere ein weiteres Mal – numehr im Lichte der Katzschmannschen Ausführungen - las, sah ich keinen Anlass, mein Erst-Urteil („gaga“) zu revidieren.

 

Jedoch hegte ich immer noch die Hoffnung, ein gewitzter Dramaturg und ein geschickter Regisseur könnten auch aus dieser Textwüste noch einen unterhaltsamen Theaterabend machen. Die Hoffnung stirbt eben zuletzt!

 

Die Hoffnung …. siehe oben.

 

Die Inszenierung: Das Beste draus gemacht  

Dabei haben sie sich wirklich bemüht! Indem sie zunächst einmal den Text auf aushaltbare 60 Minuten zusammengekürzt haben. Beispielsweise die monotone, gefühlte 100 Posten lange Aufzählung von Psychopharmaka -  weg damit! Dafür ein paar gelungene Versuche, geistige Befindlichkeit materiell zu demonstrieren – am effektvollsten: wenn Glühbirnen wie Illusionen platzen – immer wieder, fast schon ein running gag! Und die beiden einzigen Witzchen des Abends habe ich im Originaltext auch nicht wiedergefunden:

 

Wenn die mittlere Frau darauf beharrt: „Ich entschuldige mich nie“, und dann ein (zusätzliches) „Entschuldige mal!“ anfügt, sorgt das immerhin für einen Lacher. Oder:

 

Was passiert, wenn man eine Nadel ins Wasser schmeißt? – Sie bekommt Wasser ins Öhr!“ – Nun ja.

 

Sagen wir so: Sie haben das Beste herausgeholt. Viel mehr war einfach nicht drin.

 

 

Die Darsteller-innen – Respekt!

Da hab ich noch nicht mal mehr große Lust, die Darsteller zu loben, obwohl die das redlich verdient haben, so souverän, wie sie sich durch diesen Birkenwald ohne roten Faden gekämpft haben. Dabei hatte ich gelegentlich den (zugegeben: womöglich meinem Vorurteil geschuldeten!) Eindruck, auch sie hätten dieses Stück nicht so ganz ernst nehmen wollen: wenn mal einer ganz offen seine Unlust am Lernen des Textes bekundet, mal eine – etwas verschämter – neben dem Originaltext her-improvisiert …

 

 

 

 

Landestheater Detmold (Sommertheater):

 

In einem dichten Birkenwald, Nebel

Schauspiel von Henriette Dushe    (Uraufführung)

 

Premiere:

Freitag, 15. Januar 2016, 19.30 Uhr, Detmolder Sommertheater

 

Regie und Ausstattung:        Malte Kreutzfeldt

Dramaturgie:                          Christian Katzschmann

Ältere:            Heidrun Schweda

Junge:            Karoline Stegemann

Weder noch Marie Luisa Kerkhoff

 

Mann 1:         Stephan Clemens

Mann 2:         Roman Weltzien

Mann 3:         Henry Klinder

 

Weitere Vorstellungen:

Mi, 20.1./ Do, 28.1./ Fr, 5.2./ Mi, 10.2./ Sa, 13.2./ Sa, 2.4./ Fr, 8.4.2016